Wie sich Norddeutschland vor dem Meeresspiegelanstieg schützt

Wie bereiten sich deutsche Küstengebiete auf den Klimawandel vor? Dazu gab es nun ein Symposium im Hamburg.

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Sonnenuntergang über dem Meer

Der Sonnenuntergang am Südwestende der Insel Mauritius ist weltberühmt.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
Inhaltsverzeichnis

Norddeutschlands Deiche sind sicher, der Küstenschutz für den zunehmenden Meeresspiegelanstieg gewappnet. Das ist das Fazit von Küstenschutzexperten, die sich vom 5. bis 7. Juni zu einem Symposium in Hamburg trafen, um Erfahrungen auszutauschen und aktuelle Erkenntnisse der Klimaforschung einzuordnen und zu bewerten. Jedenfalls nach menschlichem Ermessen, zumal in den derzeitigen Schutzkonzepten auch die Unsicherheiten berücksichtigt werden, die statistische Vorhersagen mit sich bringen.

Wenn es nämlich ganz schlecht läuft, könnte der globale Meeresspiegel in 80 Jahren durchaus einen Meter höher sein als Ende des 19. Jahrhunderts. Darauf deutet nämlich das schlimmste Szenario des Weltklimarates hin. Haupttreiber sind die mit der Klimaerwärmung schneller schmelzenden polaren Festlandgletscher.

Dieser eine Meter ist bereits heute die Grundlage aller Küstenschutzmaßnahmen der Küstenländer. Dazu addieren sie einerseits Sicherheitsmargen für Sturmfluten, bauen die Deiche aber schon als sogenannte Klimadeiche mit Ausbaureserven von zwei Metern um, damit sie sich notfalls schnell anpassen lassen. Denn der Meeresspiegel steigt derzeit schneller als gedacht. Zwischen 1993 und 2002 stieg er um durchschnittlich 2,27 Millimetern pro Jahr, hat sich im vergangenen Jahrzehnt mit einem Anstieg von durchschnittlich 4,62 Millimetern pro Jahr aber fast verdoppelt.

Die Klimadeiche an Schleswig-Holsteins Westküste bauen auf den früheren Deicherhöhungen nach dem Generalplan Küstenschutz von 2001 auf. Seit 2014 wird ihr Profil nach und nach so angepasst, dass sich später noch eine Deichkappe obendrauf setzen lässt, die den Fluten standhalten soll, wenn der Meeresspiegel tatsächlich um einen Meter steigen würde. Sollte das nicht reichen, kann das Profil auf der Seeseite noch weiter erhöht werden, um auch noch höhere Anstiege zu verkraften.

In Niedersachsen plant man von vornherein eine breitere Grundfläche ein, so dass der Deich später zur Landseite hin höher aufgeschüttet werden kann. Die schleswig-holsteinische Variante ist zwar teuer, spätere Änderungen dafür aber billiger. Die niedersächsischen Klimadeiche dagegen sind preiswerter, die Kosten für spätere Erhöhungen aber höher.

Der Bremer Deichhauptmann Michael Schirmer, einst Professor für Aquatische Ökologie an der Universität Bremen, ist pragmatisch und findet, dass man nicht immer mit Extremszenarien arbeiten solle. "Dann kriegt man nur den Frust und bekommt das im Moment auch gar nicht finanziert, nicht mal geplant", sagte er in einem Statement. Es sei schon kompliziert genug, die Deiche für einen Meter Meeresspiegelanstieg in 2100 herzurichten. "Zusammen haben wir 1400 bis 1500 Kilometer Deichlinie vor Norddeutschland zu erhöhen", sagt er. "Die verläuft auch mitten durch die Städte Hamburg und Bremen. Und für die Erddeiche brauchen wir unglaubliche Kleimengen."

Außerdem dauere der Deichbau lange. "Im Winter ist Sturmflutsaison, da ruhen die Arbeiten. Dann müssen die Deiche vollständig und intakt sein." Das zu überprüfen ist die Aufgabe der ehrenamtlichen Deichhauptmänner, -vogte oder -grafen, die jeden Meter Deich im Herbst auf Schäden überprüfen.

Hochwasser- und Sturmflutschutz müsse aber Teil eines umfassenden Küstenschutzes sein, wie Peter Fröhle, einer der Experten, betonte. Er ist Leiter des Instituts für Wasserbau an der TU-Hamburg-Harburg. Dazu würde nämlich beispielsweise auch das Vorland gehören, mit Sandvorspülungen und Buhnen, die Schlick und Sand einfangen, das Land erhöhen, Strömungen verlangsamen und Sanderosionen ausgleichen. Hochwasser, Wellen und Sturmfluten treffen auf diese Weise nicht mit mehr mit voller Wucht auf die Deiche. Dazu tragen auch die Inseln und Halligen im Wattenmeer bei.

Hinzu komme ein angepasstes Wassermanagement im Hinterland, wie Schöpf- und Pumpwerke oder Flutschutztore vor Flüssen. In den Küstenstädten wie Hamburg sieht es etwas anders aus, wie Gabriele Gönnert vom Hamburger Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer erläutert. Die Aufgabe der Expertin, auch Professorin am Institut für Geographie der Universität Hamburg, ist es, wissenschaftliche Informationen zu bewerten und das Fachwissen für die Politik aufzubereiten.

"In Hamburg gucken wir schon jetzt auf 2150", sagte sie. Dennoch plant die Stadt erst einmal nur bis 2050 – einfach, um Zeit zu gewinnen, damit auch unsichere Zukunftsszenarien ausgewertet und in aktualisierte Ausbaupläne einfließen können. "In Hamburg brauchen wir rund 30 Jahre, bis wir einmal die ganze Küstenlinie fertig haben", rechnet sie vor. Das reiche, die Konzepte anzupassen.

Schon heute kalkuliert die Hansestadt mit besonders großen Wasserstandsspannen. An ihrer höchsten Stelle sind die Hochwasserschutzanlagen neun Meter hoch. "So können wir einen beschleunigten Meeresspiegelanstieg dann immer noch bewältigen", ist Gönnert überzeugt, selbst wenn über den Meeresspiegelanstieg noch eine Sturmflut obendrauf kommt.

Aber das Hauptproblem im Stadtstaat ist der Platz. "Vorsorgender Küstenschutz in Hamburg ist es, Flächen anzukaufen, wo man später dann die Deiche erhöhen oder andere Maßnahmen ergreifen kann", gab Gönnert zu bedenken.

Auch verwies sie auf die besonders hohen Kosten, denn beispielsweise kann die Innenstadt nur durch eine Hochwasserschutzanlage, eine begehbare Mauer aus Beton, geschützt werden: "Ein einziger Zentimeter Höhe der Schutzbauten kostet 12 bis 15 Millionen Euro."

Es gab einmal Ideen, die Flussmündungen von Elbe und Weser mit Sperrwerken ganz und gar zu blockieren. Doch davon hält Schirmer wenig, der das für die Weser durchgerechnet hat. "Wenn eine Sturmflut in die Deutsche Bucht kommt, die ja wie ein Trichter ist, staut sich das Wasser zurück. Dann müssen bis nach Cuxhaven hin alle Deiche nochmal um einen Meter erhöht werden", erläutert er. "Die Sturmflut würde dann auch in die Elbe reingehen, was Hamburg nicht bewältigen kann."

(bsc)