Europaparlament bläst zum Halali auf die Tauschbörsen-Nutzer

Die Mehrheit der EU-Abgeordneten hat einen umstrittenen Kompromiss zur Durchsetzung des geistigen Eigentums abgesegnet, der auch Softwarepatenten Tür und Tor öffnen könnte.

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Das Europaparlament hat am heutigen Dienstagnachmittag ein heftig umkämpftes "Kompromisspapier" des Rats der Europäischen Union zur "Richtlinie über die Maßnahmen und Verfahren zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum" in der entscheidenden Plenarabstimmung ohne große Debatte durchgewunken. Eine Mehrheit von über 300 Parlamentariern stimmte in Straßburg für das Paket, nur eine kleine Allianz aus Grünen, Radikalen und Sozialisten lehnte es ab. Änderungsanträge, die etwa vom fraktionslosen Italiener Marco Cappato oder von den Grünen eingebracht worden waren, erhielten nur ein Minderheitsvotum von rund 150 Stimmen.

Ziel der Richtlinie sollte es nach Willen der EU-Kommission ursprünglich sein, Inhabern und Verwertern von Urheber- und Markenrechten scharfe Sanktionsmittel gegen kommerzielle Fälscher und Produktpiraten in die Hand zu geben. Die Musik- und die Filmindustrie erkannte in dem Vorstoß aus Brüssel jedoch rasch ihre Chance, die drastischen Strafen des Entwurfs auch gegen Privatkopierer, CD-Brenner und die Nutzer von Online-Tauschbörsen in Stellung zu bringen, die sie hauptsächlich für die eigenen Geschäftsprobleme verantwortlich macht. So wurde der Geltungsbereich der Richtlinie mithilfe der Parlamentsberichterstatterin Janelly Fourtou und des EU-Rats deutlich aufgebohrt. Er beschränkt sich nun nicht mehr auf kommerzielle Verstöße, sondern macht illegales Kopieren generell zur Straftat -- zu privaten Zwecken begangene Urheberrechtsverletzungen sollen nun nicht, wie urspränglich vorgesehen, nur bei einem "nachhaltigen Schaden" für die Rechteinhaber geahndet werden. Einschränkende Formulierungen wie "Rechtsverletzungen zu gewerblichen Zwecken" wurden konsequent aus dem Gesetzestext gestrichen -- was Fourtou, Gattin des Vivendi-Chefs, von vielen Seiten Befangenheitsvorwürfe eingebracht hat.

Datenschützer, Verbraucherschützer, Bürgerrechtsverbände und Organisationen aus dem Umfeld der freien Softwarebewegung hatten seit längerem heftige Kritik an der Direktive geübt. Dementsprechend warnte Andreas Dietl von der "European Digital Rights"-Initiative (EDRi) nun gegenüber heise online vor dem Einzug von "US-Verhältnissen" bei der Verfolgung von Tauschbörsen-Nutzern in Europa. "Sturmtruppen" der Musikindustrie dürften seiner Meinung nach bald die Wohnungen von Surfern nach Beweismaterial für Urheberrechtsverstöße durchforsten. Auch andere Nutzerlobbys wie die Initiative Privatkopie.net oder das Grünen-nahe Netzwerk Neue Medien malen in einer gemeinsamen Stellungnahme Schreckensszenarien mit "Hausdurchsuchungen und Kontosperrungen bei Jugendlichen" an die Wand. Es sei eine "vollkommen unverhältnismäßige Richtlinie" auf den Weg gebracht worden, die "Tauschbörsen-Nutzer mit dem Organisierten Verbrechen gleichsetzt."

Unzufrieden zeigt sich auch Cappato mit dem Abstimmungsverhältnis. Der Abgeordnete der Radikalen monierte im Gespräch mit heise online vor allem den Prozess der Einigung zwischen den Parlamentsberichterstattern und dem Rat. Hinter verschlossenen Türen sei in Anwesenheit der großen Industrielobbys verhandelt worden, sodass die Richtlinie ohne echten Einbezug der Volksvertreter in aller Schnelle verhandelt worden sei. Trotz einiger begrüßenswerter Änderungen im Vorfeld biete das Gesetz nach wie vor Raum für einen "völlig fehlgeleiteten Crackdown gegen Nutzer sowie kleine und mittlere Unternehmen", fürchtet der Italiener. Schlicht als "desaströs" bezeichnete die österreichische Grünen-Abgeordnete Mercedes Echerer das im Plenum erzielte Ergebnis. Ihre größte Sorge ist neben der infrage gestellten Privatkopie die beschlossene Ausweitung des Geltungsbereichs der Richtlinie auf Patente. "Das Parlament hat ein Paradies für amerikanische Rechtsanwälte gebaut", kritisiert Echerer. Der Einführung trivialer Softwarepatente, der das Parlament im September die rote Karte gezeigt hat, stehe nun durch die Hintertür nichts mehr im Weg.

Als "sehr bedauerlich" empfindet auch Evelyne Gebhardt, SPD-Vertreterin im Europaparlament, den Versuch, "die klare Stellungnahme zu Softwarepatenten durcheinander zu bringen". Die Abgeordneten müssten in der 2. Lesung der entsprechenden Richtlinie über "computerimplementierte Erfindungen" darauf achten, dass die über den Umweg erfolgten Rechtsausweitungen wieder zurückgenommen würden. Als Grundproblem sieht Gebhardt ähnlich wie Cappato die große Hektik im Gesetzgebungsverfahren, die eine Schaffung anderer Mehrheiten verhindert habe. Bürgerrechtler sprechen gar von "Taschenspielertricks" der EU-Bürokratie angesichts der vorgezogenen Absprachen mit dem Rat. Die Richtlinie kann so schon am Donnerstag endgültig von dem Gremium der nationalen Minister abgesegnet und wenige Tage darauf amtlich veröffentlicht werden.

Die nationalen Regierungen müssen die Gesetzesinhalte dann in eigenes Recht umsetzen, wobei sich schon jetzt neue Konfliktherde für die zweite Stufe der Urheberrechtsnovelle hierzulande abzeichnen. Denn die Balance zwischen den Belangen von Autoren und Verwertern auf der einen sowie den Nutzern und der Öffentlichkeit auf der anderen Seite ist mit der neuen EU-Richtlinie weiter zugunsten der Lobby des geistigen Eigentums verschoben worden. Dennoch hat der Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft bereits in einer ersten Reaktion auf die Verabschiedung der Richtlinie Änderungsbedarf hierzulande angemeldet: Der Musikindustrie geht es demnach vor allem um eine zügige Regelung des von den Rechteinhabern geforderten Auskunftsanspruchs gegen Internet-Provider.

Siehe zur EU-Direktive zum Schutz geistigen Eigentums auch in Telepolis:

(Stefan Krempl) / (jk)