Reden wir über Methan

Aus dem ostsibirischen Meer tritt unerwartet viel Methan aus. Auch wenn das keine Katastrophe ist – dieses Treibhausgas wird immer noch unterschätzt.

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Von
  • Niels Boeing

Im Vergleich zu CO2 führt das Treibhausgas Methan (CH4) ein Schattendasein. Es ist zwar bekannt, dass Methan deutlich stärker wirkt als CO2 und ist für manchen Witz über furzende Rinderherden gut. Aber in der öffentlichen, nicht-wissenschaftlichen Diskussion spielt es eigentlich noch keine Rolle.

Ein Paper eines russisch-schwedischen Forschungsteams in Science hat das Methan in der vergangenen Woche nun kurz aus der Versenkung geholt. Messungen zwischen 2003 und 2008 zeigen, dass aus dem flachen Meer im Nordosten von Sibirien wesentlich mehr Methan austritt als bislang für möglich gehalten: rund acht Millionen Tonnen pro Jahr, so viel wie aus allen anderen Ozeanen zusammengenommen. Im Verhältnis zu den gesamten jährlichen Methan-Emissionen von 440 Millionen Tonnen (davon ca. 54 Prozent aus menschlichen Aktivitäten – zum Beispiel die Zucht furzender Rinder) ist das allerdings nicht viel.

Interessant ist jedoch, dass das Methan aus den Permafrost-Sedimenten unter dem arktischen Meeresboden ausgast, was man so nicht erwartet hatte. Weil das Meer über dem Ostsibirischen Kontinentalschelf im Durchschnitt nur 45 Meter tief ist, wird das aufsteigende Methan auf der kurzen Strecke an die Wasseroberfläche nicht oxidiert, bleibt also als Treibhausgas wirksam, wenn es das Wasser verlässt. Die Autoren um Natalia Shakhova wollen nicht die Alarmglocken schlagen, halten den "Permafrost-Deckel" aber für "deutlich durchlöchert".

Auch der Chicagoer Meeres- und Klimaforscher David Archer schreibt im RealClimate-Blog, der Befund sei noch kein Grund zur Besorgnis, weil der beobachtete Methanausstoß global betrachtet gering sei. Allerdings nimmt der Methangehalt in der Atmosphäre seit 2007 wieder zu, nachdem er zwischen 1993 und 2007 konstant blieb (mit einem kurzen Ausreißer nach oben im El-Niño-Jahres 1998), unter anderem als Folge des wirtschaftlichen Niedergangs im ehemaligen Ostblock.

In unterseeischen und in Land-Permafrost-Böden ist bekanntlich ein enormes Methaneis-Reservoir eingeschlossen, im ostsibirischen Kontinentalschelf sogar dreimal soviel wie in der gesamten sibirischen Tundra. Shakhova und ihre Kollegen weisen daraufhin, dass die unterseeischen Permafrostböden leichter tauen könnten als solche an Land, weil letztere 12 bis 17 Grad kälter sind (unter null natürlich). Schon eine geringfügige Erwärmung kann am Meeresgrund das Ausgasen von Methan verstärken, während sie an Land noch alles beim Alten lässt.

Die große Frage ist: Könnte eine globale Erwärmung hier eine positive Rückkopplung auslösen, wenn immer mehr Methan ausgast und den Treibhauseffekt weiter verstärkt? David Archer ist skeptisch. Dafür müsste Methan rasch und in "katastrophalem" Maßstab freigesetzt werden, wofür bislang kein Mechanismus bekannt sei (außer vielleicht in Frank Schätzings "Der Schwarm").

Wer Klimaforscher allesamt für politisierte Alarmisten hält, wird also von den Science-Autoren und von Archer eines Besseren belehrt. Sie bleiben nüchtern, und das ist erfreulich – erst recht nach der "Email-Affäre" von Anfang Dezember 2008.

Einen Schönheitsfehler gibt es für mich aber, wenn auch Archer Methan unter anderem deshalb als undramatisch abtut, weil es in der Atmosphäre rasch zu CO2 und Wasserdampf wird. Unser vordringlichstes Problem ist das Kohlendioxid, wird auch Archer nicht müde zu betonen.

Es stimmt, dass eine Tonne Methan in der Atmosphäre bereits nach etwa acht Jahren zur Hälfte abgebaut ist. Nach 50 Jahren ist sie fast verschwunden, während von einer Tonne CO2 nach dieser Zeit noch über 40 Prozent übrig sind. Da scheint es nicht so ins Gewicht zu fallen, dass das Treibhauspotenzial von Methan als 25 Mal so stark wie das von CO2 angesetzt wird.

In einem Paper Anfang 2008 haben die französischen Wissenschaftler Benjamin Dessus, Bernard Laponche und Hervé Le Treut dieses Verhältnis allerdings genauer aufgedröselt. Der Faktor 25 gilt nur dann, wenn man eine Tonne Methan und CO2 – jeweils zur selben Zeit ausgestoßen – über einen Zeitraum von 100 Jahren miteinander vergleicht.

Für die aktuelle Klimapolitik ist aber das Jahr 2050 wichtiger: Bis dahin müsste die Menge an Treibhausgasen in der Atmosphäre stabilisiert werden, um vielleicht mit einer globalen Erwärmung um zwei Grad davonzukommen. Vergleicht man das Treibhauspotenzial der beiden Gase für einen Zeitraum von 40 Jahren (2010 – 2050), ist das von Methan 49 Mal höher; auf 20 Jahre bezogen gar 72 Mal. Denn je kürzer man den betrachteten Zeitraum ansetzt, desto stärker fällt der noch nicht abgebaute Anteil der einen Tonne Methan ins Gewicht.

Das bedeutet aber: Um den Schwung des zusätzlichen Treibhauseffektes frühzeitig abzubremsen, könnte man einiges erreichen, wenn man den Methan-Emissionen zuleibe rückte – umso mehr, weil sie leichter zu reduzieren sind als der CO2-Ausstoß.

Was im arktischen Meer und in der Tundra passiert, sollte sicher genau beobachtet werden. Mit dem schnellen Übergang zu einer nachhaltigen, methanarmen Landwirtschaft könnten wir aber selbst etwas dafür tun, dass ein möglicher Kipppunkt beim Permafrost-Methan Sciencefiction bleibt. (nbo)