US-Strafverfolger nutzen soziale Netzwerke für verdeckte Ermittlungen

Die Electronic Frontier Foundation (EFF) hat von US-Behörden Dokumente erstritten, wonach Strafverfolger und Finanzbeamte aktiv Dienste wie Facebook oder Twitter für ihre Arbeit nutzen und teils mit Falschangaben operieren.

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Die Electronic Frontier Foundation (EFF) hat von US-Behörden Dokumente erstritten, wonach Strafverfolger und Finanzbeamte aktiv Dienste wie Facebook, MySpace oder Twitter für ihre Arbeit einsetzen, Nutzer gezielt ausspähen und dabei teils verdeckt mit gefälschten Profilen operieren. So werden in einer über 30-seitigen Präsentation (PDF-Datei) der für Computerstraftaten und geistiges Eigentum zuständigen Abteilung des US-Justizministeriums, deren Herausgabe die US-Bürgerrechtsorganisation im Rahmen einer im Dezember eingereichten Klage auf Basis des "Freedom of Information Act" erlangt hat, soziale Netzwerke als "wertvolle Quelle" zur Informationssammlung bezeichnet. Unter dem Motto "Wissen ist Macht" werden Ermittler angehalten, möglichst viele Zeugen auf einschlägigen Seiten im Auge zu behalten oder zu befragen.

Klare Grenzen für die Polizeiarbeit in sozialen Netzwerken zeigt die Handreichung nicht auf. So wird unter dem Punkt "Undercover-Ermittlungen" zwar erwähnt, dass die Nutzungsbedingungen etwa bei MySpace die Anlage falscher Profile untersagen. Zugleich wird aber nur die Frage in den Raum gestellt, ob Strafverfolger "anderweitigen illegalen Aktivitäten" nachgehen, wenn sie gegen derlei Auflagen verstoßen. Die Geschäftsbedingungen von Online-Gemeinschaften sind in der Regel recht weit gestrickt und lassen Interpretationsspielraum. Facebook etwa will verhindern, dass Konten für andere Personen "ohne Erlaubnis" der Betroffenen angelegt werden. Twitter verbietet es Nutzern offiziell, täuschende oder falsche Informationen zu verbreiten. MySpace drängt auf "wahrheitsgemäße und akkurate" Daten.

Die Präsentation beschreibt zudem die Kooperationswilligkeit der Betreiber sozialer Netzwerke mit Ermittlungsbehörden. So freuen sich die Verfasser darüber, dass MySpace Informationen über die eigenen Nutzer "unbegrenzt" aufbewahre und selbst Daten gelöschter Profile noch ein Jahr vorhalte. Man achte bei jeder Informationsherausgabe aber auf die Einhaltung des Rechtswegs, betonte ein Datenschutzbeauftragter des Unternehmens dazu gegenüber US-Nachrichtenagenturen. Auch Facebook ist dem Dokument nach zumindest "oft kooperativ bei Anfragen in Notfällen". Schwieriger sei es bei Twitter, Nutzer- oder Verbindungsdaten zu erhalten. IP-Adressen etwa würden nur für die jeweils letzte Sitzung gespeichert, Daten nicht ohne rechtliche Verpflichtung aufbewahrt.

Ein Trainingspapier (PDF-Datei), das die EFF von der US-Finanzverwaltung Internal Revenue Service erhalten hat, zeigt, dass auch Steuerfahnder in virtuellen Gemeinschaften recherchieren. Sie werden etwa angehalten, Einträge über Auftritte von Künstlern über Facebook oder Twitter zu verfolgen. Da die private Nutzung sozialer Netzwerke in Finanzbehörden nicht erlaubt ist, müssen sie dafür erst eine Entsperrung entsprechender Webseiten in den hauseigenen Filtersystemen beantragen. Zudem betont das Manual, dass die Steuerprüfer keine Profile unter falschen Namen anlegen dürfen. Da andere angefragte US-Einrichtungen wie die Drogenfahndung keine Dokumente für den Umgang mit "Social Networks" gefunden hätten, fürchten die Bürgerrechtler, dass es dort zumindest keine schriftlichen Nutzungseinschränkungen gebe.

Wissenschaftler warnen derweil – auf Basis der jüngsten Forschungsergebnisse über die leichte Identifizierbarkeit von Anwendern von Web-2.0-Diensten – verstärkt davor, leichtfertig Informationen über Facebook & Co. zu veröffentlichen oder unbedacht Vernetzungsanfragen zu akzeptieren. "Die persönliche Privatsphäre kann man nicht mehr länger als Angelegenheit eines Individuums bezeichnen", zitiert die New York Times den Informatikprofessor Harold Abelson vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). In der heutigen Online-Welt sei der Sinnspruch vieler Mütter, dass man Leute an ihren Freunden einschätzen könne, zutreffender als je zuvor. Jon Kleinberg, ein Kollege Abelsons von der Cornell University, hält Bemühungen der US-Handelsaufsicht, der Federal Trade Commission (FTC), und des Kongresses zur Einschränkung der Ausspähung von Mitgliedern sozialer Netzwerk für wenig sinnvoll. Besser sei es, sich bei jeder Handlung im Internet klarzumachen, dass man in einem öffentlichen Raum agiere. (jk)