Polizeipräsident: Urteil zur Vorratsdatenspeicherung bremst Polizei aus

Uwe Binias, Polizeipräsident von Hannover, erwartet für das laufende Jahr spürbare Einschnitte bei der Kriminalitätsbekämpfung und bei der Gefahrenabwehr wegen der Aufhebung der Vorratsdatenspeicherung. Er fordert wie andere Polizeivertreter eine schnelle Neuregelung der anlasslosen Speicherung der Telekommunikations- und Internet-Verbindungsdaten aller Bürger.

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Von
  • Jürgen Kuri

Dass das Bundesverfassungsgericht die Vorratsspeicherung von Telekommunikations- und Internet-Verbindungsdaten gestoppt hat, bremst nach Einschätzung von Hannovers Polizeipräsident Uwe Binias die Fahnder aus. Binias bekräftigte damit die Kritik, die auch andere Polizeivertreter an dem Urteil übten. Unter anderem hatte der Bund Deutscher Kriminalbeamter gefordert, möglichst schnell ein dem Urteil entsprechendes Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung auf den Weg zu bringen.

Er erwarte für das laufende Jahr spürbare Einschnitte bei der Kriminalitätsbekämpfung und bei der Gefahrenabwehr. Der Kampf gegen Kinderpornografie im Internet oder den Warenkreditbetrug werde erheblich erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht, sagte Binias. Selbst auf die Aufklärung von Kapitalverbrechen oder die Bekämpfung organisierter Kriminalität könne das Urteil erheblichen Einfluss habe. Die Verzögerungen bei der Anpassung des Telekommunikationsgesetzes helfe ausschließlich den Verbrechern. Der Polizeichef rief die Bundesregierung auf, den Beamten schnell wieder einen Einblick in die Internetdaten von Verdächtigen zu ermöglichen.

Die Behinderung der Ermittlungsarbeit sei bereits jetzt konkret, sagte der Polizeipräsident. Im März hatte laut Binias ein Zeuge die Polizei informiert, dass in einem Chatroom kinderpornografische Fotos ausgetauscht wurden. War es zuvor möglich, über die nur kurzzeitig vergebenen dynamischen IP-Adressen die Verantwortlichen zu ermitteln, sind den Fahndern nun die Hände gebunden. "Jetzt bekommen wir von den Dienstleistern nur noch freundlich formulierte Standardabsagen auf unsere Anfragen", erklärt Binias.

Binias meinte zudem, dass Amokläufe an Schulen oftmals in einem Chatroom angedroht würden. "Ich mag mir gar nicht vorstellen, dass uns künftig die Hände gebunden sind, dass wir unter Umständen das Leben und die Gesundheit von Schülern nicht mehr schützen können." Der Polizeipräsident zeigte "keinerlei Verständnis für den einen oder anderen verantwortlichen Politiker in Berlin, der meint, ein Thema auf die lange Bank schieben zu können".

Binias ging nicht weiter darauf ein, ob ein Quick-Freeze-Verfahren – also das Einfrieren der etwa für Abrechungszwecke oder Netzmanagement vorhandenen Daten bei vorliegendem, konkretem Verdacht – den Strafermittlern die benötigten Daten liefern würde, ohne die Daten gleich aller Bundesbürger ohne konkreten Anlass für mehrere Monate zu speichern. Quick Freeze hatten nicht nur Datenschützer nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts als Möglichkeit für die Strafermittler ins Spiel gebracht, auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sieht eine solche Regelung als Alternative zu einem überarbeiteten Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung: "Andere Staaten kommen ohne Vorratsdatenspeicherung aus, zum Beispiel die USA", hatte die FDP-Politikerin mit Verweis auf das etwa in den USA eingesetzte Quick Freeze betont.

Leutheusser-Schnarrenberger besteht zudem darauf, einen eventuellen neuen Gesetzesentwurf entgegen dem Drängen von einigen Polizeivertretern und auch entgegen den Wünschen ihres Kabinettskollegen Thomas de Maizière in Ruhe vorzubereiten und die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts genau zu analysieren. Vor der Sommerpause will sie auf keinen Fall einen Gesetzentwurf vorlegen.

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(jk)