Mein Kiez, dein Kiez

Soziale Netze kontrastieren wie die Viertel einer Stadt: Von jeweils individuellen Einwohnermixturen bevölkert und mit verschiedener Infrastruktur ausgestattet bringen sie eigene Kulturen hervor. Wir haben uns die Quartiere von einheimischen Führern zeigen lassen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 23 Min.
Von
Inhaltsverzeichnis

Was macht eigentlich den ungeheuren Reiz sozialer Netze aus, dem täglich Abermillionen Nutzer erliegen? Wer nutzt solche Dienste? Wofür eignen sie sich gut, wofür weniger? Wie unterscheiden sie sich? Hierfür gibt es viele Antworten; auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen sie sich nicht.

Die Unschärfe fängt bereits bei der Benutzerstruktur an. Es gibt zwar Netze, die ein relativ scharfes Benutzer- und Altersprofil besitzen sollten. schülerVZ etwa richtet sich ausschließlich an Pennäler. Laut AGB darf den Dienst nicht betreten, wer älter ist als 21 Jahre. Kommen Nutzer in das Studierenden-Alter, sollen sie auf das StudiVZ, noch ältere Nutzer auf MeinVZ ausweichen.

Allerdings halten sich die Benutzer nicht so recht an diese Vorgaben, wenn man den Zahlen des Google Ad Planners glauben darf (siehe Abbildung S. 109). So verbleibt der eine oder andere im Netz, obwohl er eigentlich nicht mehr hinein darf: Man will ja nicht den Kontakt zu seinen Freunden verlieren, die noch auf schülerVZ verweilen – auch wenn man selber zu alt ist. Bei den Benutzern jenseits der 30 wiederum, die Google innerhalb von schülerVZ ausmacht, dürfte es sich größtenteils um Eltern oder Lehrer handeln, die ein Auge darauf haben wollen, was die Erziehungsobjekte so treiben.

Auch wenn sich signifikante Unterschiede in der Altersstruktur der Netze zeigen – eine wirklich scharfe Abgrenzung gibt es nicht. Für die eigenen Dienste weist Google keine Zahlen aus.

(Bild: Quelle: Google Ad Planner)

Genauso wenig wie über die Altersstruktur lassen sich die Dienste in sinnvoller Weise über ihren Funktionsumfang charakterisieren. Eine typische c’t-Feature-Tabelle würde kaum weiterhelfen, denn fast alle Dienste verfügen über die Kernfunktionen, mit denen sich Mitglieder kennenlernen und verknüpfen können, Bilder veröffentlichen oder Gruppen betreiben lassen.

Fehlen solche Features, etwa bei Twitter, ist das nicht unbedingt ein Nachteil. Bei Twitter wird die Schlichtheit sogar als Stärke wahrgenommen, als Konzentration auf das Wesentliche. Abgesehen davon steht für Funktionen, die Dienste von Haus aus nicht anbieten, meist eine Armada an Drittanbietern bereit.

Will man die Faszination der Netze, ihre Stärken und Schwächen, die Unterschiede im sozialen Austausch erfassen, muss man sie aufsuchen und sie sich von ihren Nutzern zeigen lassen. Das haben wir für eine Auswahl der Dienste getan, die die Bandbreite des Themas veranschaulichen: Buzz, Facebook, Latitude, schülerVZ, Twitter, wer-kennt-wen.de und Xing.

2004 als digitales Abbild des Facebooks der Universität Harvard gestartet, also des Printwerks mit den Gesichtern und den Namen der Studenten eines Jahrgangs, ist der Online-Dienst Facebook mit 400 Millionen Nutzern weltweit zum größten sozialen Netzwerk gewachsen. Der universitäre Ursprung spielt mittlerweile keine Rolle mehr; Mitglied kann jeder werden, der mindestens 13 Jahre alt ist. Glaubt man den Zahlen von Alexa, entspricht die demografische Zusammensetzung der Gemeinschaft ungefähr der des gesamten Webs. Facebook hat es geschafft, zu einer Art „Netzwerk für jedermann und jeden Zweck“ zu wachsen.

Teilnehmer können sich 1:1 untereinander vernetzen oder Gruppen Gleichgesinnter mit einem eigenen Diskussionsforum bilden. Sie veröffentlichen Bilder, Termine, Status-Updates – also kurze Nachrichten an alle „Freunde“, sie chatten und spielen. Dabei wird Facebook sowohl für die berufliche als auch die private Kontaktpflege eingesetzt.

Für viele Nutzer ist die Facebook-Timeline die wichtigste Informationszentrale im Netz. Sie enthält die Statusmeldungen und Miniaturen neuer Bilder der Freunde, informiert, wer im Freundeskreis sich mit wem verknüpft hat und welcher Freund ein neues Level in einem der ungezählten Facebook-Spiele geschafft hat. Marko Bachl, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hohenheim, verbringt etwa die Hälfte der Zeit, die er in Facebook verweilt, damit, nachzusehen, was seine „Freunde so erledigen, Newsfeeds zu lesen und Bilder anzuschauen“.

Facebook übt auf seine Nutzer eine enorme Anziehungskraft aus. So besucht Bachl den Dienst zwar meistens nicht besonders lange, aber in hoher Frequenz: „Wenn ich am PC sitze, dann ist in der Regel meistens auch ein Tab mit Facebook offen. Wann immer ich die Gelegenheit dazu habe, werfe ich einen Blick in den Newsfeed, um zu schauen, was los ist“. Wer nicht regelmäßig vorbeischaut, den versucht Facebook mit regelmäßigen Status-Mails bei der Stange zu halten.

Ein Erfolgsfaktor von Facebook ist sicherlich die Offenheit der Plattform. Über eine Programmierschnittstelle können Drittanbieter Anwendungen innerhalb von Facebook veröffentlichen. Nach Angaben der Anbieter gibt es mehr als 500 000 Anwendungen für den Dienst, über 250 Anwendungen sind Nutzer-Millionäre.

Besonders erfolgreich darunter sind sogenannte Social Games, soziale Netzwerkspiele. Absoluter Spitzenreiter mit mehr als 80 Millionen Spielern ist FarmVille, bei dem es darum geht, einen virtuellen Bauernhof zu bewirtschaften [1]. Auch Bachl hat in der Vergangenheit Spiele wie Mafia Wars gespielt. Mittlerweile beteiligt er sich an den „offiziellen“ Spielen nicht mehr. Auch die Statusmeldungen blockiert er, weil sie sonst seine Timeline verstopfen würden.

Viel lustiger findet er die immer mal wieder in Facebook kursierenden Mem-Games, etwa das Doppelgänger-Mem, im Prinzip eine virtuelle Motto-Party. Dabei haben Benutzer ihr Profilbild durch das eines Prominenten ersetzt, dem sie (angeblich) ähnlich sehen. Da das sehr viele Leute aus seinem Netzwerk mitgemacht haben, war es „für ein paar Tage ein Riesenspaß und hat auch für extrem viele gegenseitige Hänseleien und Kommentare gesorgt.“

Bachl kennt fast alle seine Facebook-Kontakte persönlich. Mit vielen hat er aber wesentlich weniger direkten Kontakt als per Facebook: „Zum Teil, weil es internationale Bekannte aus meiner Uni-Zeit sind (Südafrika, Russland), die ich auch ganz praktisch nicht ‚real’ treffen könnte. Zum Teil, da ich in den letzten Jahren ziemlich häufig umgezogen bin und die Leute an meinen früheren Wohnorten nur noch von Zeit zu Zeit treffe – da ist Facebook eine sehr angenehme Variante, sich gegenseitig auf dem Laufenden zu halten.“

Seit etwa einem Jahr nutzt Bachl Facebook auch mobil. Von seinem Handy aus liest er die Timeline, gibt Statusmeldungen ab oder kommentiert die Einträge seiner Freunde. Facebook hat schon sehr früh Clients für alle erdenklichen mobilen Plattformen bereitgestellt, vom iPhone über Android und BlackBerry bis hin zur mobilen Homepage – die die Mitglieder gerne nutzen. Bereits 100 Millionen Anwender greifen mobil auf Facebook zu.

Alles in allem schafft es Facebook offenbar sehr gut, seine Benutzer bei der Stange zu halten. Wessen Freundeskreis ohnehin größtenteils auf Facebook verkehrt, der hat weder Zeit noch Lust, ein weiteres Netzwerk zu frequentieren. Bachl jedenfalls nutzt Facebook fast ausschließlich, weil sich sein „elektronisch-soziales Netzwerk in Facebook organisiert hat“ und er „alle Kommunikationen dort abwickeln kann“.

Auf den ersten Blick bietet Twitter sehr wenig. Die Benutzer senden maximal 140 Zeichen große Texte, Tweets, in die Welt hinaus; durch einen Abonnement-Mechanismus können sie aus den Nachrichten anderer Twitterer einen eigenen Nachrichtenkanal zusammenklicken. Twitterer nennen diesen Vorgang folgen oder neudeutsch followen, der Abonnent heißt Follower [2] .

Listen sind ein erster Versuch von Twitter, ein wenig System in das chaotische Nutzergefüge zu bringen.

Über den Follower-Mechanismus hinaus bietet Twitter seinen Nutzern keine Möglichkeit, sich explizit zu vernetzen; für Selbstdarstellungszwecke steht dem Twitterer nur ein minimalistisches Profil mit einem Link zu einer anderen Homepage bereit. Die Möglichkeit, Bilder zu veröffentlichen, fehlt ebenso wie Benutzergruppen. Für Außenstehende mag es schwer nachvollziehbar sein, dass so etwas ein soziales Netz sein soll.

Das Soziale funktioniert aber äußerst effektiv, hat auch Wolfgang Sander-Beuermann erfahren. Der Betreiber der Suchmaschine Metager hat sich vor etwa einem Jahr einen Twitter-Account zugelegt, zunächst spaßeshalber. Er stellte aber schnell fest, „wie viele Leser man mit Twitter-Nachrichten erreicht, auch – oder gerade? – weil diese Nachrichten immer nur maximal 140 Zeichen kurz sind.“ Die Kürze führe Benutzer dazu, die Dinge „auf den Punkt zu bringen“.

Und „so was Kurzes wird wirklich gelesen.“ Dabei hat Sander-Beuermann, Benutzername wosabeu, nur gut 250 Follower. Den Meldungen populärer Twitterer, etwa denen des Bloggers Sascha Lobo, folgen mehrere Zehntausend. Eine solche Masse von Followern hat natürlich nichts mehr mit persönlichen Beziehungen zu tun. Sie beruht darauf, dass Twitter es sehr einfach macht, auch einem völlig Fremden zu folgen. Statt wie bei anderen Diensten erst eine „Willst-Du-mein-Freund-werden“-Anfrage starten zu müssen, die der andere auch ablehnen kann und die daher eine zusätzliche psychologische Hürde darstellt, folgt man einfach den Tweets, die einen interessieren.

Dass die eigenen Tweets wahrgenommen werden, zeigt sich durch die Reaktionen darauf. Follower antworten auf Postings, oder sie „retweeten“ sie, also veröffentlichen sie erneut. Dabei ist es gute Sitte, den Urheber zu nennen. Den mit einem @-Zeichen angeführten Benutzernamen wandelt Twitter in den Retweets automatisch zu einem Link zum Urheber um.

Mit sogenannten Hashtags – einem von einem Raute-Zeichen angeführten Begriff – hat die Nutzergemeinde zudem ein Mittel geschaffen, um Beiträge von Benutzern inhaltlich zu verknüpfen, die sich dafür nicht notwendigerweise folgen müssen. Indem beispielsweise die Teilnehmer einer Konferenz ihre Postings mit dem Hashtag #konferenzname versehen, können andere gezielt nach Tweets zu der Konferenz suchen. Jeder Freitag ist #FollowFriday, an dem Twitterer ihren Followern andere Kanäle empfehlen. Auf diese Weise entsteht durch Followerschaft, (Re-)Tweets und Hashtags ein engmaschiges Netz, das die Interessen der Benutzer und ihre Verbindungen untereinander sehr fein wiedergibt.

Mit Listen will der Betreiber helfen, eingehende Postings ein wenig zu sortieren. Der Benutzer kann damit die Postings aus seiner Timeline nach bestimmten Gebieten filtern, zum Beispiel „Kollegen“ oder „Hobby“. Listen lassen sich veröffentlichen – eine praktische Hilfe für Neueinsteiger, um folgenswerte Tweets zu einem bestimmten Thema zu finden. Sander-Beuermann, der auch dem Suma e.V. für freien Wissenszugang vorsitzt, unterhält eine Liste zum Thema seines Vereins [3] .

Twitter ist schnell, es hat seine Eignung als News-Seismograph bereits etliche Male unter Beweis gestellt. Als etwa ein Flugzeug im Hudson notwassern musste oder beim Amoklauf von Winnenden fanden sich schnell Augenzeugenberichte in Twitter, die sich über Retweets in Windeseile verbreiteten. Mittlerweile benutzen etliche Medien Twitter als zusätzlichen Kanal, um ihre Nachrichten zu verbreiten. Anders herum bevorzugen einige Journalisten Twitter mittlerweile als Newslieferanten. Auch Sander-Beuermann freut sich über „viele gute Tipps zum Lesen oder Nachschauen“.

Ein ganzes Ökosystem von Drittanbietern lebt von den Schwächen von Twitter. So dampfen zum Beispiel URL-Verkürzer längliche Links Twitter-verträglich ein. Twitpic und weitere Bildhoster stellen Raum für Bilder zur Verfügung. Andere Anwendungen greifen über eine offene API auf die Inhalte von Twitter zu, zum Beispiel Desktop- oder Mobil-Clients wie Meebo oder Seesmic. Man kann, man muss das Drumherum aber nicht nutzen. Sander-Beuermann zum Beispiel verwendet nur gelegentlich Twitpic und setzt seine Tweets über das Web-Frontend von Twitter ab.

Ansonsten schätzt er die Zurückhaltung von Twitter. Er besitzt zwar auch Accounts bei Facebook und Xing. Im Unterschied zu Twitter sind ihm die Dienste aber zu aufdringlich. Sie nerven ihn oft per E-Mail mit „irgendwelchem Kram“, der ihn nicht interessiert. Wenn er die Nachrichten ignoriert, habe er dann aber doch ein „schlechtes Gewissen“, weil vielleicht irgend jemand sein „Freund“ sein will, und er niemanden „vor den Kopf stoßen“ möchte. Dann fühlt er sich unter Druck gesetzt, sich eben doch einzuloggen, und irgendwas tun, was ihn eigentlich nicht interessiert: „Twitter ist nur dann da, wenn man es haben will, aber nervt nicht, wenn man in Ruhe gelassen werden will. Xing und Facebook sind ‚push’ – Twitter ist ‚pull’. Das macht Twitter so angenehm.“

Wer als Teenager keinen Netzzugang hat, ist ein Außenseiter. Spätestens ab der sechsten, siebten Klasse ist es einfach gang und gäbe, einen Account bei schülerVZ zu unterhalten – oder bei einem der anderen Netze, die sich an Schüler richten, darunter Schueler.CC, Knuddels.de oder Kwick!. Dabei passiert auf den Netzwerken nichts Außergewöhnliches. Man spricht über die Themen, die auch auf dem Schulhof wichtig sind, gruschelt – also grüßt und drückt – sich, tauscht sich in Gruppen aus und spielt miteinander. Das Besondere bei schülerVZ ist, dass sich die Teens unter sich wähnen, was aber nur zum Teil stimmt – siehe Grafik auf Seite 109.

Auch Lena, die wir bereits im Jahr 2008 bei ihren Streifzügen im schülerVZ begleitet haben, ist noch dabei [4] . Allerdings nutzt sie schülerVZ nicht mehr so intensiv wie früher, sondern nur noch zwei, drei Mal pro Woche – das Interesse der Anfangszeit ist offenbar abgeflaut. Lena will wie vor zwei Jahren ihren echten Namen nicht veröffentlicht wissen. Um mit Freunden Nachrichten austauschen zu können, die nicht in Deutschland wohnen, hat Lena sich einen Facebook-Account zugelegt. Dort spielt sie „manchmal ein paar Quizze, wenn die lustig klingen“.

Im Jahr 2008, in dem schülerVZ fast explosionsartig gewachsen ist, gab es eine große Verunsicherung unter Eltern und Lehrern über die Plattform, die sie nicht kannten und die sie nicht betreten durften: Sind Kinder dort Gefahren ausgesetzt? Können sie dort Mist bauen? Und natürlich gibt es auf einer Plattform, an der Millionen von Kids teilnehmen, auch Missbrauch; da wird schon mal gemobbt oder ein unvorteilhaftes Foto eines unbeliebten Lehrers hochgeladen.

Der Plattformbetreiber ist redlich bemüht, durch Informationskampagnen Eltern die Ängste zu nehmen und Teilnehmern das richtige Verhalten beizubringen. Schwere Missbrauchsfälle sanktioniert er, zum Beispiel mit dem Rauswurf. Auch die Schulen haben auf die neuen Plattformen reagiert. In Lenas Schule zum Beispiel wurde ein Medienpädagoge eingeladen, der die „Risiken und Gefahren bei der Internetnutzung insgesamt und dann speziell bei schülerVZ erklärt hat“. Lena hat ihr Profil abgedichtet. Freizügige Fotos findet man auf ihren Seiten ebenso wenig wie ihren vollen Namen oder ihre Adresse. Ihr Profil macht sie nur ihren Freunden zugänglich.

Xing versteht sich als Netzwerk für Geschäftskontakte. Für diese Fokussierung verzichtet der Anbieter auf die schnelle Expansion, denn als eines der wenigen Netzwerke stellt Xing seinen vollen Funktionsumfang nur zahlenden Kunden zur Verfügung. Ein solcher Premium-Account kostet 60 Euro Jahresbeitrag. Dafür erhalten die Anwender im Unterschied zu Benutzern mit kostenlosen Accounts eine brauchbare Volltextsuche und eine Bedienoberfläche ohne Werbung. Schnickschnack wie Fotoalben oder Spiele fehlen. Dafür können sich Mitglieder detailliert mit ihren schulischen und beruflichen Werdegang sowie ihre Qualifikationen darstellen.

Die Xing-App ist wie ein selbst aktualisierendes Adressbuch zum Mitnehmen.

Egal, wie groß ein Unternehmen ist: Jeder Benutzer wird auf Xing gleich behandelt – eine Chance zum Beispiel Freiberufler oder kleine Unternehmen wie etwa Carola Sieling mit ihrer Anwaltskanzlei, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Sieling ist seit 2005 dabei und nutzt die Plattform fast täglich: „Ich nutze Xing zum Vernetzen und Ansammeln von Kontaktdaten von Kollegen, Kunden, Freunden und sonstige Kontakten, die vielleicht einmal interessant sein könnten.“ Mehr als 400 Kontakte sind auf diese Weise zusammengekommen.

Eine zusätzliche Möglichkeit, mit potenziellen Geschäftspartnern in Kontakt zu kommen, bietet die Teilnahme in Gruppen. So nimmt Sieling bei etwa 20 Gruppen passiv teil, drei Gruppen moderiert sie selber: „Mit ein paar Klicks kann man ein Event veranstalten, Einladungen versenden oder die Teilnehmer verwalten. Das ist alles ganz einfach.“ Um persönliche Kontakte aufzubauen, nimmt sie auch an innerhalb von Xing organisierten Events teil.

Sieling benutzt den Dienst auch als sich selbst aktualisierendes Adressbuch, insbesondere unterwegs mit Hilfe der App über ihr iPhone: „Man kann die Kontakte ohne Weiteres aus der App direkt anrufen oder eine E-Mail schreiben. Sehr angenehm.“ Sie beschränkt ihre Networking-Aktivitäten nicht auf Xing, sondern bloggt auch und kommuniziert auf Twitter – dort allerdings „halb privat, halb geschäftlich. Das erfordert dieses Tool auch, weil es um Kommunikation mit seinen ‚Followern’ in Augenhöhe geht.“

Buzz zeigt die Kommentare zu einem Posting direkt darunter an.

Im allgemeinen Hype um Googles Buzz und dessen Datenschutzprobleme beim Start sind dessen spezifische Fertigkeiten in der Berichterstattung ein wenig zu kurz gekommen. Dabei bietet der Dienst eine Reihe von nützlichen Funktionen, die ihn vom Vorbild Twitter abheben. So fehlt die Beschränkung auf 140 Zeichen. Und dass Buzz Kommentare direkt unter einem Beitrag anzeigt, erhöht die Übersichtlichkeit ungemein.

In Android-Smartphones ist Buzz in Google Maps eingebettet. Wer den Dienst daraus nutzt, kann der Allgemeinheit seinen Standort mitteilen – und sehen, welche Neuigkeiten es von Nutzern in seiner Umgebung gibt. Auch profitiert Buzz von der Integration anderer Google-Dienste. So kostet es nur ein paar Mausklicks, um ein Bild aus Picasa zu veröffentlichen. Will man ein Posting nur einem eingeschränkten Benutzerkreis zukommen lassen, lässt sich dafür aus den Kontakten aus Google Mail, in das Buzz eingebettet ist, eine Gruppe einrichten.

Für IT-Journalistin Christiane Schulzki-Haddouti ist Buzz durch seine Integration mit Googles Reader außerdem ein praktisches Werkzeug für die Kollaboration und das Wissensmanagement, wie sie in ihrem Blog beschreibt (siehe c’t-Link). So lassen sich schnell und einfach Gruppen einrichten, deren Mitgliedern man eine Information per Mail zukommen lassen kann, die alle Mitglieder der Gruppe – und nur die – dann in Buzz diskutieren können. Allerdings müssen alle Gruppenmitglieder via Google-Account an Buzz teilnehmen.

Ob sich Buzz auf breiter Basis durchsetzen kann, steht in den Sternen. Google verrät nicht, wie viele der derzeit etwa 150 Millionen Gmail-Nutzer Buzz aktiv verwenden. Viele Anwender probieren Googles Dienst derzeit aus, kaum einer steigt aber komplett um. Auch Schulzki-Haddouti nutzt weiterhin Twitter und Facebook parallel.

Bei der Berichterstattung über soziale Netzwerke stehen regelmäßig Facebook, Twitter, die VZ-Netzwerke und Googles neuer Dienst Buzz im Fokus. Dabei bleiben etliche Benutzer-Millionäre außen vor. Die RTL-Tochter wer-kennt-wen.de mit knapp sieben Millionen Mitgliedern ist ein solcher kaum wahrgenommener Riese. wer-kennt-wen.de, von den Benutzern oft als WKW abgekürzt, bietet in Bezug auf den Funktionsumfang den Standard: Profil, Bilder, Statusmeldungen, Kalender; Benutzer können ein Blog führen und miteinander chatten. Anwendungen oder Spiele fehlen.

Die Gruppensuche lässt erahnen, dass wer-kennt-wen.de vor allem im Südwesten der Republik stark besucht wird.

Glaubt man den Zahlen des Google Ad Planners, so unterscheiden sich die Altersstrukturen von Facebook und wer-kennt-wen.de nicht sonderlich. Sieht man genauer hin, so findet man in Facebook allerdings einen höheren Anteil an technikaffinen Mitgliedern, mehr Teilnehmer mit Hochschulabschluss und „early adopters“, während man bei WKW eher den gesamten Querschnitt der Bevölkerung antrifft.

Wie alle sozialen Netzwerke dient auch WKW, sowohl neue Kontakte zu knüpfen als auch alte Beziehungen zu pflegen. Tendenziell scheint letzteres bei WKW aber ein höheres Gewicht zu haben als etwa bei Facebook. So auch für Ulrich Verthein, dem Sportchef der Tageszeitung Mannheimer Morgen. Er hat die Plattform, eingeladen von einer Freundin, besucht, und gestaunt, wie viele Leute er dort schon kannte. Jetzt nutzt er die Plattform, um mit alten Freunden in Kontakt zu bleiben.

Besonders praktisch findet er WKW, um Veranstaltungen bekannt zu machen. Er ist Mitorganisator einer regelmäßigen Revival-Party für die Besucher der ehemaligen Darmstädter Diskothek Hippopotamus. Dafür wurde eine Gruppe in WKW eingerichtet: „Wenn man dort einen Termin veröffentlicht, erreicht man fast 1500 Leute, und man kann sicher sein: Die Bude ist voll“.

Dabei ist hilfreich, dass WKW insbesondere im Rhein-Main-Raum stark genutzt wird – stärker zum Beispiel als Facebook – und somit viele ehemalige Besucher des Hippopotamus auf der Plattform unterwegs sind. In anderen Gegenden Deutschlands besitzt WKW nicht eine so starke Verbreitung, die Nutzung im Ausland spielt kaum eine Rolle. Das findet Verthein aber völlig in Ordnung, WKW reicht ihm zur Online-Pflege seiner sozialen Kontakte aus. Einen weiteren Dienst wie Facebook benötigt er nicht: „Dafür hätte ich überhaupt keine Zeit“. Kürzlich sei eine Kollegin „wieder aus Facebook zurück zu WKW gekommen“. Den deutschen Dienst finde sie einfach überschaubarer.

Man verrät schon so viel in sozialen Netzwerken über seine Interessen, sein privates und berufliches Leben: Muss man dann auch noch den Aufenthaltsort preisgeben? Google jedenfalls ermöglicht es den Benutzern der Anwendung Maps for Mobile, ihre Position mitzuteilen. Freunde, die ebenfalls Latitude nutzen, sehen dann jederzeit, wo sich der Benutzer aufhält.

Latitude verortet den Redakteur in der c’t-Redaktion. Wo auch sonst? Er muss diesen Artikel fertigstellen.

Der Software-Entwickler Jens Ohlig hat damit kein Problem – wenngleich er die Ortsinformation nur sehr dosiert veröffentlicht. So lässt er Googles Dienst meistens ausgeschaltet: „Wenn ich auf Konferenzen bin, schalte ich es an, um zu sehen, wo in der Stadt meine Freunde verteilt sind.“ Ansonsten benutzt er zur Ortung meistens Yahoos Lokalisierungsdienst Fire Eagle, auf den er auch andere Dienste zugreifen lässt, zum Beispiel den Reiseplanungsdienst Dopplr.

Bei Fire Eagle kann er festlegen, wie genau die Lokalisierung sein soll. „Ich habe ‚city level’ eingestellt, das finde ich angemessen. So kann ich über Twitter und meine Homepage mitteilen, wenn ich in einer anderen Stadt bin und werde trotzdem nicht bis zur Hausnummer hin überwacht.“ Ansonsten betreibt er munter soziales Inter-Networking: Er unterhält einen Facebook-Account und nutzt diverse „vertikale“ soziale Netze, etwa die Programmierer-Community GitHub oder das Strick- und Häkelnetzwerk ravelry: „Dort kann man Muster tauschen, Wolle und Projekte verwalten und sehen, was Bekannte so machen.“

Soziale Netze können vieles sein – Nachrichtenmedium, Kontaktbörse, Visitenkarte für Freiberufler, Spielplatz, Teamwork-Plattform und Suchdienst für verlorene Freunde. Mitglieder nutzen ihre Netzwerke, um zu klatschen, um geschäftliche Kontakte zu pflegen oder um Tipps zum Hobby auszutauschen. Dank Facebook und Co. bleiben sie mit dem nach Übersee ausgewanderten Kumpel in Kontakt und verpassen mit ihrer Smartphone-App auch im Urlaub nicht, was im Freundeskreis zu Hause passiert.

Wie im richtigen Leben gilt: Alles kann, nichts muss. Wer aber erst einmal einen persönlichen Strom aus geschäftlichen Nachrichten, Surf-Empfehlungen und privatem Klatsch eingerichtet hat, der kommt schwer davon wieder los. Manchmal hat es etwas von einer Mischung aus Tagesschau und „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ – wobei alle Inhalte aus dem persönlichen sozialen Netz stammen.

[1] Christiane Link, Soziale Saat, Farmville, Mafia Wars & Co. – virtuelle Welten mit Suchtfaktor und dicken realen Umsätzen, c’t 4/10, S. 86

[2] Herbert Braun, Bonsai-Blogs, Warum Twitter und Co. mehr als ein Web-2.0-Modegag sind, c’t 5/09, S. 98

[3] Suma-eV-Twitter-Liste, http://twitter.com/wosabeu/suma-ev

[4] Jo Bager, Dabei sein ist alles, Das Phänomen SchülerVZ, c’t 5/08, S. 92

www.ct.de/1007108 (jo)