Vergessliche Computer

Die AISB-Jahrestagung in Leicester thematisiert das Verhältnis von Mensch und Computer. Wie beim Menschen kann das Vergessen auch beispielsweise bei Robotern oder virtuellen Charakteren in Computerspielen sehr unterschiedliche Bedeutungen haben.

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Von
  • Hans-Arthur Marsiske

Es gebe immer wieder kritische Nachfragen von den Gutachtern, wenn er Mittel für Konferenzen beantrage, sagte Wan Ching Ho von der University of Hertfordshire bei der Abschlussdiskussion des Symposiums Remembering Who We Are – Human Memory for Artificial Agents in Leicester. Denn immer wieder wird bei solchen Tagungen über das Vergessen diskutiert und wie man es virtuellen Agenten oder Robotern beibringen kann. Das Vernichten von Informationen scheint vielen Informatikern offenbar gegen die Ehre zu gehen. Dennoch konnte das Symposium im Rahmen der Jahrestagung der Society for the Study of Artificial Intelligence and Simulation of Behaviour stattfinden und erlaubte interessante Einblicke in ein sich gerade neu formierendes Forschungsgebiet.

Wie beim Menschen kann das Vergessen auch bei Robotern oder virtuellen Charakteren in Computerspielen sehr unterschiedliche Bedeutungen haben. Feras Dayoub von der University of Lincoln etwa berichtete von einem Roboter, der lernen sollte, sich in Räumen zu orientieren, in denen es ständig zu Veränderungen kam. Wie ein neuer Kollege wurde der Roboter herumgeführt, nahm die Umgebung mit seiner Kamera auf und extrahierte aus den Bildern markante Merkmale. Damit die sich ändernden Merkmale – etwa Stühle oder Stellwände, die hin und her geschoben werden – nicht dauerhaft gespeichert werden, hatte der Roboter ein Kurzzeit- und ein Langzeitgedächtnis. Nur in letzterem wurden die unveränderlichen Merkmale gespeichert. Das verhalf dem Roboter im Verlauf eines zweimonatigen Experiments zu einem deutlich geringeren Fehler bei der Selbstlokalisierung als bei der Navigation ohne solchen Gedächtnisfilter.

Einen ganz anderen Ansatz verfolgen Cyril Brom und Rudolf Kadlec von der Prager Karls-Universität. Ihr Ziel ist es, glaubhafte Charaktere für Computerspiele zu gestalten. Dabei geht es ihnen nicht um ein exaktes Abbild des menschlichen Gedächtnisses, wohl aber um eine Form des Erinnerns, die von den Nutzern akzeptiert wird. Dazu gehört es etwa, keine exakten Zeitangaben zu verwenden. Niemand erinnert sich, um 11:17 Uhr Hunger gespürt zu haben, sondern wird das Erlebnis eher mit dem "späten Vormittag" verbinden.

Wie mehrere andere Referenten hoben auch Brom und Kadlec die Hierarchisierung des Gedächtnisses hervor. Wer sich eine Speise zubereiten möchte, erinnert sich, dass dafür verschiedene Tätigkeiten erforderlich sind: Zutaten müssen beschafft und kleingeschnitten, Messer, Töpfe und Pfannen bereitgestellt werden. Um den Hunger zu stillen, gibt es zudem die Alternative, ein Restaurant aufzusuchen. Als "ultimatives Ziel" nannte Kadlec die Entwicklung der Hierarchie solcher Ziele durch die Agenten selbst. Davon sind die beiden Forscher allerdings noch ein gutes Stück entfernt. Beim Test verschiedener Algorithmen lagen die Fehlerquoten zwischen 20 und 47 Prozent.

Das Gedächtnis prägt auch die Körpersprache eines virtuellen Charakters und trägt damit ebenfalls zu dessen Glaubwürdigkeit bei. Christopher Peters von der Coventry University zeigte das am Beispiel einer Person, die eine Straße entlangläuft und sich dabei umschaut. Die Blickrichtung wird dabei von der Wahrnehmung, der Aufmerksamkeit und dem Gedächtnis gleichermaßen beeinflusst.

Menschen machen Fehler. Figuren in Computerspielen sollten daher auch gelegentlich Fehler machen, damit sie glaubhaft wirken und der Spieler eine Beziehung zu ihnen entwickeln kann. Für Roboter oder virtuelle Agenten, die reale Aufgaben übernehmen sollen, gilt das weniger. Dennoch kann die Fähigkeit des Vergessens auch bei ihnen sinnvoll sein, betonte Andrew M. Nuxoll von der University of Portland. "Ohne Vergessen wird das Gedächtnis zu groß und der Agent ineffektiv", sagte er. Damit stellt sich allerdings die Frage, wie und was vergessen werden sollte. Nuxoll nannte verschiedene Ansätze für solche Vergessensalgorithmen: Man könnte das älteste Wissen löschen, das redundanteste oder das nutzloseste. Letzteres glaubte er daran erkennen zu können, dass es am seltensten abgerufen wurde. Das aber kann trügerisch sein: Eine Naturkatastrohe wie ein Tsunami mag sich nur selten ereignen, das Wissen, woran man das Nahen der Flutwelle erkennt und wie man darauf reagiert, entsprechend selten aktiviert werden – nutzlos ist es deswegen gewiss nicht.

Nuxoll und seine Mitarbeiter testeten drei verschiedene Vergessensalgorithmen anhand eines Szenarios, bei dem ein Softwareagent wiederholt Artikel aus einem Warenhaus für den Transport auswählen sollte. Der Agent war lernfähig und konnte dadurch sein Verhalten nach und nach optimieren, hatte aber auch nur eine begrenzte Speicherkapazität und musste daher manches wieder vergessen. Ein interessantes Ergebnis dieser Studie war die Beobachtung, dass die Leistungsfähigkeit des Agenten sich nicht linear mit der Größe des Gedächtnis veränderte, sondern beim Unterschreiten eines Schwellenwertes dramatisch abfiel.

Unvergesslich waren die Beispiele für misslungenes Design von elektronischen Geräten und Software, die Harold Thimbleby (Swansea University) in seinem unterhaltsamen Plenarvortrag "Numbers to die 4" für alle Teilnehmer der AISB-Tagung präsentierte. Zehn Prozent aller tödlichen Unfälle in Krankenhäusern seien auf Rechenfehler zurückzuführen, sagte er. Zumeist würden sie als menschliches Versagen bei der Bedienung der Geräte interpretiert. Doch die Fehler, das machte Thimbleby mehr als deutlich, geschehen bereits viel früher bei der Konstruktion der Geräte. Eindrucksvoll die Auflistung, wie verschiedene Programme wie Excel oder Word Eingabefehler interpretieren: Aus 1.2.3 wird bei Word beispielsweise automatisch 1.5, weil der zweite Punkt als Pluszeichen interpretiert wird. Das absolute Glanzlicht von Thimblebys Vortrag war aber das Bild eines Notfalltelefons zur Alarmierung der Küstenwache. Beachtliche 800 Meter vom Strand entfernt zeigte es auf einer Tafel in großen Ziffern die Notfallnummer: 999. Das Telefon selber hatte jedoch nur drei Tasten: 1, 2 und 3. (jk)