Nazi-Sprech kann die AfD besser: Der Vorwurf des Volksverrats und seine Tradition

Anti-AfD-Demonstration

Wer die AfD erfolgreich bekämpfen will, muss ihr andere Werte entgegensetzen als "Volk und Vaterland". Symbolbild: Shutterstock.com

Das Unwort des Jahres 2016 war "Volksverräter". Es war eine Kategorie im NS-Strafrecht. Was hat das Wort im Kampf gegen Rechts verloren? Ein Kommentar.

Die Junge Union mag das Unwort des Jahres 2016 – dazu war "Volksverräter" gekürt worden, nachdem Anhänger der AfD und der rassistischen Pegida-Bewegung das Wort eifrig genutzt hatten.

Das taten sie vor allem im Zusammenhang mit der angeblichen Grenzöffnung durch die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die während der sogenannten Flüchtlingskrise die deutschen Grenzen nicht geschlossen hatte – und obwohl sich der Vorwurf in erster Linie gegen eine Frau richtete, wurde "Volksverräter" im rechten Spektrum selten gegendert.

Das Wort sei ein "Erbe von Diktaturen", sagte die Sprachwissenschaftlerin und Sprecherin der "Unwort"-Jury, Nina Janich, als Anfang 2017 die Entscheidung bekanntgegeben wurde.

Volksverrat als NS-Straftatbestand

Nicht ohne Grund: Als Straftatbestand war "Volksverrat durch Lügenhetze" von den Nazis eingeführt worden. Die Junge Union und andere, die sich zum demokratischen Spektrum zählen, nutzen das Wort "Volksverräter" jetzt für AfD-Politiker – mal mit, mal ohne Fragezeichen auf der Plattform X, wo von der AfD auch als "Alternative für Russland und China" die Rede ist und ihr Kürzel in kyrillischen Buchstaben auftaucht.

"Für wen arbeitet die AfD?", fragt dort die Junge Union Deutschland, ihr Bundesvorsitzender Johannes Winkel nutzt in diesem Kontext den Hashtag #Volksverräter – und der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe äußerte bereits den Verdacht, "dass die Vaterlandsverräter von der AfD direkt vom Kreml bezahlt werden". Hintergrund sind die Korruptions- und Spionagevorwürfe der letzten Tage und Wochen.

Im Fokus stehen der AfD-Europaabgeordnete Maximilian Krah und sein bisheriger Mitarbeiter Jian G., der einen familiären Bezug zu China hat und verdächtigt wird, als Spion für die Volksrepublik gearbeitet zu haben. Angeblich bot er sich vor rund zehn Jahren auch deutschen Sicherheitsbehörden als Agent an, wurde aber als unzuverlässig eingestuft. Nach Medienberichten wurde gerade Haftbefehl gegen ihn erlassen.

Weiteres Schimpfwort stammt aus der Kaiserzeit

Außerdem verdichteten sich Anfang dieser Woche Indizien gegen den bayerischen AfD-Politiker Petr Bystron – der Bundestagsabgeordnete soll Zahlungen aus Russland erhalten und sich angeblich über die Stückelung der Geldscheine beschwert haben. All dies ist noch Gegenstand von Ermittlungen.

Der Spiegel nutzte für die Verdächtigen in einem Leitartikel den Terminus "vaterlandslose Gesellen", der aus dem deutschen Kaiserreich stammt. Die sozialdemokratische Friedrich-Ebert-Stiftung beschreibt ihn als damals genutztes "Schimpfwort hauptsächlich für Angehörige der sozialistischen Arbeiterbewegung".

Tatsächlich waren es immer Linke, die betont haben, dass die Grenzen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen "oben und unten" verlaufen. Abgesehen von dieser Klassenspaltung ist in Deutschland "das Volk" auch in anderer Hinsicht gespalten wie selten zuvor.

Was gespalten ist, kann nicht in Gänze verraten werden

Die einen haben Angst vor dem Rechtsruck, der Klimakatastrophe und dem Kollaps der Ökosysteme, die anderen vor Migration und Gendersternchen. Diese beiden Lager sind noch einmal kreuz und quer gespalten, wenn es um Themen wie Aufrüstung gegen Russland oder den Israel-Palästina-Konflikt geht.

Andere waren und sind mit ihrem alltäglichen Existenzkampf ausgelastet, fühlen sich von keiner organisierten politischen Kraft vertreten und gehen nicht wählen, falls sie überhaupt dürfen.

Insofern kann "das Volk" gar nicht in Gänze "verraten" werden. Die AfD verrät sicher nicht das Deutschland ihrer Träume, sondern sucht temporäre Verbündete gegen ein Deutschland, das ihr zu "linksgrünversifft" erscheint. Egal, wie weit ihr die aktuelle Bundesregierung durch Asylrechtsverschärfungen und verwässerte Klimaziele entgegenkommt.

Autoritäre deutsche Traditionen kommen nicht von außen

Was die AfD aus Deutschland machen will, ist aber nicht wegen ihrer mutmaßlichen Verbindungen zu Russland und China ein Problem – und es wäre ohne solche Verbindungen nicht humaner. Schließlich sind die Wunschvorstellungen und Pläne der AfD nicht weniger autoritär als Putins Russland; und das Autoritäre musste Deutschen nie von außen eingeflüstert werden.

Zwei Weltkriege, die von Deutschland ausgingen, wären ohne autoritäre, nationalistische, militaristische Traditionen nicht möglich gewesen – und nur wenige Worte stehen so sehr für diese Traditionen wie "vaterlandslose Gesellen" und "Volksverräter".

In der AfD herrscht kein Mangel an nationalem Egoismus

Die Ideologie der AfD ist tief in Deutschland verwurzelt – und einen Mangel an nationalem Egoismus kann ihr niemand nachsagen. Im Gegenteil, das ist sie sehr berechnend.

Sie meint nur, dass "deutsche Interessen" momentan auf anderen Wegen besser zur Geltung kommen würden als auf der transatlantischen Schiene.

Kampf gegen Rechts besser ohne völkische Parolen

So zu tun, als sei die AfD "fremdgesteuert", wie es der RTL-Journalist Nikolaus Blome nennt, läuft auf eine Idealisierung des Deutschen hinaus, die zutiefst nationalistisch ist: Alles, was böse, unappetitlich und niederträchtig ist, muss demnach von außen kommen. Mit "Kampf gegen Rechts" hat das nichts mehr zu tun, denn genau das können die völkischen Rechten besser.

Innerhalb der AfD ist auch immer wieder Streit über ihr Verhältnis zu Russland aufgeflammt – dabei fiel auch schon das Wort "Volksverräter" und gerade NS-Nostalgiker verlangten mehr Distanz zum historischen Erzfeind, da ihnen die Unterscheidung zwischen Russland und der Sowjetunion schwerfällt. Manche von ihnen scheinen immer noch von Rache für Stalingrad zu träumen.

In geleakten AfD-Gruppenchats zum Streit über den Besuch von Parteichef Tino Chrupalla in der russischen Botschaft am Jahrestag des Kriegsendes fanden sich auch explizit rassistische Beiträge über Rotarmisten, die Deutschland vom Faschismus befreit hatten: Das seien keine Soldaten gewesen, sondern "barbarische Mongolenstürme". Es ist also nicht unbedingt ein gemäßigter Flügel der AfD, der den Russland-Kurs intern kritisiert.

AfD und Merz-CDU: Trennt sie bald nur noch Russland?

Wenn dann für die Nachwuchsorganisation der Unionsparteien die Nähe zu Russland und China das Hauptproblem an der AfD ist, sagt das mehr über die Junge Union aus, als ihr bewusst sein dürfte.

Aber vielleicht fällt auch diese Schamgrenze schon bald. CDU und CSU stehen sicher nicht für das "linksgrünversiffte" Deutschland, das die AfD "verrät". CDU-Chef Friedrich Merz steht auch deutlich rechts von Altkanzlerin Merkel und übernimmt teilweise fast wörtlich Narrative der AfD – zum Beispiel, wenn es um Asylsuchende beim Zahnarzt geht – und der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke würde in Thüringen mit der CDU koalieren, wenn sie wollte.

Dies hat Höcke vor laufender Kamera bei Welt-TV klargestellt, nachdem ihn der CDU-Politiker Mario Voigt "inhaltlich stellen" wollte. Beide problematisierten in dem TV-Duell Migration und Menschen, die auf Bürgergeld angewiesen sind – wobei Voigt Wert darauf legte, dass er selbst im Gegensatz zu Höcke nicht von Hass getrieben sei, was natürlich auch Höcke von sich wies.

Der Thüringer AfD-Spitzenkandidat betonte am Ende, seine Hand für eine "bürgerliche" Koalition mit der CDU sei weiterhin ausgestreckt. Am Ende scheitert ein solches Bündnis vielleicht nur an Meinungsverschiedenheiten über Russland und China.