Missing Link: Auf der DNA-Spur der Täter​

Auf Tätersuche können DNA-Spuren der entscheidende Hinweis sein. Sind Spuren mehrerer Personen vermischt, ist die Auswertung schwierig, aber nicht unmöglich.​

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Ein Forensiker in Schutzkleidung sucht nach Spuren am Tatort. Im Hintergrund läuft ein Sanitäter.

Am Tatort müssen Spuren gesichert werden.

(Bild: Gorodenkoff/Shutterstock.com)

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Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Imke Stock
Inhaltsverzeichnis

Die DNA-Analyse hat die Strafverfolgung revolutioniert. Als Werkzeug der Forensik ist sie aus der modernen Kriminalistik nicht mehr wegzudenken. DNA-Spuren haben bei der Aufklärung unzähliger Verbrechen geholfen, Cold Cases doch noch gelöst und Unschuldige entlastet.

Seit der Entdeckung des genetischen Fingerabdrucks im Jahr 1984 sind die DNA-Analysemethoden immer feiner geworden. Wo früher ein sichtbarer Blutfleck nötig war, kann die Spur heute kleiner als eine Hautschuppe sein. Für die Analyse müssen sich in einer Spur nur Zellen mit Zellkernen finden lassen. Im Idealfall würde die Analyse ein einziges DNA-Spurenprofil einer Person liefern. Oft werden aber Mischspuren, also DNA-Spuren verschiedener Personen, die sich überlagert haben, gefunden. Dies passiert besonders häufig bei Minimal- und Mikrospuren.

Jede Person ist ein biologischer Spurenleger in seinem Umfeld: Im Durchschnitt verliert der Mensch 50 bis 100 Haare pro Tag. Dazu kommen tausende Hautzellen, die pro Minute vom Körper abfallen. Abseits von minimalen Resten klassischer biologischer Spuren – also Körpergewebe und -flüssigkeiten wie Blut, Speichel oder Haare – können inzwischen auch Hautabriebspuren als Kontaktspuren bei der DNA-Analyse untersucht werden. In Pilotstudien konnten DNA-Spuren bei der Untersuchung von Luft- und Staubproben und in Klimaanlagenfiltern an fiktiven Tatorten gefunden werden.

Wie komplexe Mischspuren dank Algorithmen doch analysiert und mit der DNA-Datenbank abgeglichen werden können und weshalb ein Treffer trotzdem keine absolute Wahrheit für Schuld oder Unschuld liefert, erklärt dieser Artikel.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Das Austauschprinzip nach Eduard Locard ist ein Grundprinzip der Forensik und der naturwissenschaftlichen Kriminalistik: Jeder Kontakt hinterlässt eine Spur.

Spuren können sich grundsätzlich am Tatort, Opfer, Täter, Tatmittel oder auch an anderen mit dem Fall relevanten Orten finden lassen. Je intensiver oder länger der Täter Kontakt mit einem Objekt oder einer Person hatte, desto mehr Spuren könnten vorhanden sein.

DNA-Spuren könnten sich zum Beispiel am Griff einer Handtasche finden lassen, die der Täter dem Opfer im Vorbeilaufen entriss und später in ein Gebüsch warf. Dort, wo an Spurenträgern eine (nicht sichtbare) DNA-Spur vermutet wird, wird die Stelle mit Watteträgern abgerieben. Ob eine Spur auswertbar ist, zeigt sich erst nach Untersuchungen im Labor.

DNA-Spurensicherung mittels Watteträgerabrieb an einer Pistole.

(Bild: BKA)

Im Labor werden aus einer DNA-Spur die Längen bestimmter DNA-Abschnitte als Striche visuell sichtbar gemacht. In Analogie zum Hautleistenmuster der Finger, dem klassischen Fingerabdruck, hat sich für diese DNA-Muster der Begriff des genetischen Fingerabdrucks etabliert. Der klassische Fingerabdruck ist einzigartig. Selbst eineiige Zwillinge haben unterschiedliche Fingerabdrücke und sind diesbezüglich einzigartig. Als eineiige Zwillinge haben sie jedoch einen identischen genetischen Fingerabdruck (DNA-Profil), da sie dasselbe genetische Erbgut haben.

Deoxyribonucleic Acid (DNA) als Träger der genetischen Informationen befindet sich in Form von Chromosomen im Zellkern aller Zellen des menschlichen Körpers (mit Ausnahme der Erythrozyten). Die DNA besteht aus vier Grundbausteinen: den Basen Adenin (A), Guanin (G), Thymin (T) und C (Cytosin).

Schematische Darstellung der DNA: In der Zelle befindet sich im Zellkern das Chromosom, aufgedröselt sind an dem Ende die Grundbausteine in der Doppelhelix zu sehen.

(Bild: OpenClipart-Vector/Pixabay.com)

Die gesamte DNA eines Menschen besteht aus mehreren Milliarden dieser Grundbausteine, die in unterschiedlicher Abfolge einen leiterartigen Doppelstrang (Doppelhelix) bilden. Der größte Teil der gesamten menschlichen DNA ist nicht kodierend. Das bedeutet, dort sind keine Informationen gespeichert, die für die Ausbildung eines Merkmals wie die Augenfarbe oder Haarfarbe verantwortlich sind.

Für die Erstellung eines DNA-Profils wird die DNA in festgelegten, nicht kodierenden Bereichen näher untersucht. Diese Bereiche bestehen aus einer kurzen Sequenz von Bausteinen, den sogenannten Short Tandem Repeats (STR), die sich unterschiedlich oft hintereinander wiederholen. Diese sich wiederholende DNA-Bausteinabfolgen werden gezählt.

Auswertung und Typisierung einer DNA-Spur in einem Elektropherogramm, das die DNA-Sequenzen zeigt.

(Bild: BKA)

Die Anzahl der Wiederholungen der STR wird in einfachen Zahlenwerten angegeben, die DNA wird "typisiert". Gezählt wird aktuell in 16 Bereichen, wobei jeder Bereich ein Merkmalsystem darstellt. Pro Merkmalsystem liegen zwei Merkmale (sogenannte Allele) als Werte vor. Die DNA als Erbsubstanz bildet hier jeweils das väterliche und mütterliche vererbte Merkmal ab. Ein DNA-Profil ist ein Zahlenmuster, in dem bei 16 Merkmalsystemen insgesamt 32 Werte aufgelistet werden. Für das DNA-Profil wurden explizit hoch variable Bereiche für die Merkmalsysteme ausgewählt, von Mensch zu Mensch kann die Anzahl der dort vorhandenen STR-Wiederholungen also stark variieren. Zusätzlich wird das geschlechtsspezifische Amelogenin bestimmt – zwei X-Chromosomen (XX) bei einer Frau und ein X- und ein Y-Chromosom (XY) bei einem Mann.

Je feiner die DNA-Analyse-Methoden, desto eher kann auch noch gering vorhandenes DNA-Material gefunden werden. Eine Spur, die mehr als zwei Allele in einem Merkmalsystem aufweist, ist meistens eine Mischspur – sofern keine Mutation oder eine genetische Besonderheit vorliegt. Spuren können sich überlagern, sie können in unterschiedliche Situation, aus unterschiedlichen Quellen und auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf den Spurenträger gelangt sein. Zum Beispiel könnten zwei Personen Hautzellen verlieren und eine dritte Person Hautschleimhautzellen aushusten und so zum vorherigen Spurengemisch der zwei Personen beitragen. Gerade bei Kontaktspuren findet sich öfter eine Mischspur statt eines einzelnen DNA-Profils. Je mehr Personen Kontakt mit einem Gegenstand hatten, desto mehr verschiedene DNA lässt sich theoretisch an diesem Gegenstand finden.

Symbolbild für eine komplexe Mischspur: bunte Smarties als unterschiedlichen DNA-Quellen in einer DNA-Spurenlage.

(Bild: Voronina Svetlana/Shutterstock.com)

Im Beispiel des Handtaschenraubs würde sich vermutlich die DNA des Opfers an der Tasche finden lassen. Je nachdem wie intensiv der Täter an der Tasche gezogen hat und wie er nach seiner Flucht mit der Tasche umgegangen ist, könnte sich auch mehr oder weniger von seiner DNA als Hautabriebspur finden lassen. Hatte das Opfer die Tasche zuvor einmal an eine andere Person ausgeliehen, könnte sich auch die DNA dieser Person an der Tasche finden lassen.

Der Transfer von DNA könnte auch indirekt über andere Personen oder Objekte passiert oder Folge einer Kontamination sein und die Ermittler auf eine falsche Spur führen.

Bei der Spurenuntersuchung und -analyse im Labor besteht die Herausforderung darin, eine solche Mischspur auseinanderzusortieren, also die einzelnen DNA-Profile zu trennen.

Symbolbild: Mischspur aus verschiedenen Smartie-DNA-Spuren aufgetrennt.

(Bild: 3d_kot/Shutterstock.com)

Die Aussagekraft von DNA-Spuren ist nicht immer eindeutig. DNA wird manchmal auch als unsicheres Beweismittel eingestuft. Im Verfahren müssen die Ermittler und Forensiker nicht nur klären, von wem die Spur wahrscheinlich stammt, sondern auch, wie und wann die Spur unter welchen Umständen entstanden ist. Und ob sie etwas direkt mit der Tat zu tun hat oder nicht. Das Gericht muss zu einer Überzeugung kommen können, ob die Spur für die Tat relevant ist, und ob eine Person möglicherweise als Spurenverursacher hinreichend wahrscheinlich ist oder eben nicht.

Beim Abgleich einer DNA-Spur mit einem möglichen Verursacher werden die Merkmalsysteme auf Übereinstimmung verglichen. Da die Merkmalsysteme nur ein Ausschnitt aus der Gesamt-DNA sind, werden im zweiten Schritt statistische Berechnungen zur Wahrscheinlichkeit der Identifizierung durchgeführt. Der genetische Fingerabdruck beruht auf Berechnungen, wie selten eine bestimmte Merkmalskombination (das DNA-Profil) in einer Vergleichspopulation in der Bevölkerung vorkommt. Das Ergebnis einer Übereinstimmung von einer DNA-Spur mit dem DNA-Profil eines Spurenverursacher ist dann eine „biostatistische Wahrscheinlichkeit“ in Form eines Wahrscheinlichkeitsquotienten.

Um den Beweiswert eines DNA-Befundes in Bezug zu einer konkreten Person als Spurenverursacher bewerten zu können, wird die Likelihood Ratio (LR) Methode eingesetzt. Die Wahrscheinlichkeiten werden anhand sich gegenseitig ausschließender Hypothesen berechnet. Jede Hypothese beschreibt ein eindeutiges Szenario für das Zustandekommen der Spur.

Berechnet wird, ob die statistische Wahrscheinlichkeit, dass Hypothese 1: Diese Person/Tatverdächtiger hat zu der DNA-Spur beigetragen/ist der Spurenverursacher zutrifft, um ein Vielfaches höher ist als die Wahrscheinlichkeit für die alternative Hypothese 2: Eine zufällige andere Person aus der Bevölkerung ist Quelle der DNA.

Bei Mischspuren werden die Berechnungen zur wahrscheinlichen Identifizierung des Spurenverursachers komplexer, da viele Kombinationen von Allelen und Wahrscheinlichkeiten in der Zusammensetzung der Spur betrachtet werden müssen. LR kann auf unvollständige DNA-Teil- oder Mischprofile angewandt werden und die Wahrscheinlichkeitsverhältnisse für alternative Erklärungsszenarien berechnen. So können zum Beispiel die individuellen Vergleichsmuster sowohl eines Tatverdächtigen als auch des Opfers als mögliche Spurenbeteiligte der DNA-Mischspur in die Berechnungen einbezogen werden. Da sich DNA-Profile von Verwandten ähneln, wird LR auch in Fällen eingesetzt, in denen die möglichen Spurenverursacher miteinander verwandt sind.

Im Beispiel des Handtaschenraubs, wenn nur zwei DNA-Profile in der Mischspur vorliegen, können folgende zwei Hypothesen in Betracht kommen:

Hypothese 1: Die Mischspur stammt vom Opfer und vom Tatverdächtigen.

Hypothese 2: Die Mischspur stammt vom Opfer und einer unbekannten anderen Person, die nicht mit dem Tatverdächtigen verwandt ist.

Berechnet wird dann die Likelihood (Wahrscheinlichkeit) für das Zustandekommen der Spur unter Annahme der jeweiligen Hypothese. Das Ergebnis des LR-Werts ist ein Wahrscheinlichkeitsquotient. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Beweise unter der Hypothese 1 auftreten, wird geteilt durch die Wahrscheinlichkeit, dass die Beweise unter der Hypothese 2 auftreten. Es wird also eine Aussage über das Verhältnis von Wahrscheinlichkeiten getroffen und nicht, dass eine Wahrscheinlichkeit wahr oder falsch ist.

Bei der Interpretation eines LR-Ergebnisses kann es zu einem bedeutenden Missverständnis kommen, einem "Trugschluss des Staatsanwalts", der zwei bedingte Wahrscheinlichkeiten verwechselt. Angenommen, eine Person wird wegen des Handtaschenraubs angeklagt. Als einziges Beweismittel legt die Staatsanwaltschaft eine DNA-Spur vor, die am Griff der Handtasche gefunden wurde und mit dem DNA-Profil der angeklagten Person übereinstimmt. Laut DNA-Gutachten gebe es eine Wahrscheinlichkeit von 1 zu 10 Millionen, dass eine zufällige andere Person (nicht der Angeklagte) das gleiche DNA-Profil wie die gefundene Spur hat. Der Staatsanwalt könnte fälschlicherweise im Umkehrschluss schließen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der Angeklagte unschuldig ist, ebenfalls 1 zu 10 Millionen beträgt. Schuld oder Unschuld lässt sich nicht mit Wahrscheinlichkeitsberechnungen bestimmen. Ein DNA-Treffer als Beweis reicht für die Überführung als Täter und eine Verurteilung grundsätzlich nicht aus. Dazu sind immer weitere Ermittlungen zu den Umständen nötig.

Abseits von diesem Interpretationsproblem gibt es auch Schwierigkeiten, wenn sich Hypothesen nicht gegenseitig ausschließen und erschöpfend sind. Und das ist insbesondere bei komplexen Mischspuren mit mehr als zwei Spurenverursachern der Fall. In solchen Fällen kommen individuelle Hypothesen in Bezug auf eine Anzahl von X verschiedenen möglichen Spurenverursachern und Kombinationen in Betracht.

Die DNA-Analyse-Datei (DAD) des BKA existiert seit über 25 Jahren. Bisher konnten über 390.000 DNA-Treffer erzielt werden, die in mehr als 300.000 Fällen zur Tataufklärung führten. Mit Stand 31. Dezember 2023 waren insgesamt 1.183.479 DNA-Datensätze gespeichert, davon 804.737 Personen- und 378.742 Spurendatensätze.

Mischspuren können nicht einfach in der DAD gespeichert werden. Es gibt Mischspuren, bei denen sich aufgrund der Intensitätsunterschiede der Merkmale ein dominantes DNA-Profil erkennen lässt, das als Hauptverursacher der Spur gilt. Dieses DNA-Profil kann extrahiert und mit einem Spurenverursacher abgeglichen und/oder in der DAD gespeichert werden. In ungeklärten relevanten Fällen können seit dem Jahr 2020 aber auch Mischspuren, die kein dominantes DNA-Profil enthalten, mit der DNA-Datenbank abgeglichen werden. Das BKA setzt dafür die Algorithmen-gestützte Software SmartRank ein.

SmartRank: Beispiel für eine Mischspur.

(Bild: GitHub)

SmartRank: Beispiel für ein bekanntes DNA-Profil, die Spalte Locus zeigt die STR-Merkmalsysteme, die rechte Spalte zeigt die jeweiligen zwei Allele als Werte.

(Bild: GitHub)

Die Open-Source-Software wurde für die effizientere Suche in umfangreichen DNA-Datenbanken mit Teil-Spur-Profilen oder komplexen Mischspuren entwickelt. SmartRank berechnet den LR-Wert für alle DNA-Profile in der DAD, deren Muster in der Mischspur enthalten sein könnten. Die Rate falsch negativer und falsch positiver Treffer soll auf ein Minimum beschränkt sein. DNA-Profile, die einen definierten LR-Schwellenwert übersteigen und potenzielle (Mit)Verursacher der Spur sein könnten, werden nach ihrer Wahrscheinlichkeit in einem Ranking aufgelistet. Diese Hinweise können zu neuen Ermittlungsansätzen in zuvor aussichtslos erscheinenden Fällen führen.

(are)