"Sind wir technikfeindlich?"

Ortwin Renn, Experte für Technikentwicklung am Internationalen Zentrum für Kultur- und Technikforschung, über die Angst der Deutschen vor Innovationen.

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Von
  • Udo Flohr

Technology Review: Herr Professor Renn, Sie haben die vermeintliche Technophobie der Deutschen vermessen. Was kam dabei heraus?

Ortwin Renn: Wir unterscheiden drei Technikbereiche: die Konsum- und Alltagstechnik, die Technik am Arbeitsplatz und die sogenannte externe Technik im Bereich Produktion oder Infrastruktur, der wir eher als Nachbar begegnen. In der Konsum- und Alltagstechnik sind wir Deutschen geradezu technikeuphorisch! In keinem Land außer Luxemburg verfügen die Haushalte über so viel Technik. Von einer Akzeptanzkrise für Staubsauger, Hifi-Anlagen, MP3-Playern oder Laptops kann nirgendwo die Rede sein.

Auch bei der Technik am Arbeitsplatz sind die Deutschen weltweit führend – nur so kann auch hier die Arbeitsproduktivität so hoch gehalten werden. Arbeitnehmer nutzen neu eingeführte Technik von Anfang an intensiv – ein deutliches Zeichen für hohe Akzeptanz. Probleme gibt es dagegen bei einer Reihe von Großtechnologien, vor allem Kernkraftwerke oder große Infrastrukturmaßnahmen, etwa Flughafenausbau.

TR: Auch begeisterte Bahnfahrer wollen keine ICE-Trasse in der Nachbarschaft – sind solche Widersprüche hierzulande ausgeprägter?

Renn: Jein. Überall, wo gleichzeitig Bevölkerungsdichte und Lebensstandard hoch sind, erleben wir Proteste gegen die Nutzung von großen Flächen. Da ist Deutschland nicht weniger betroffen als etwa Großbritannien, Belgien oder die Niederlande. Inkonsistenzen entstehen immer dort, wo externe Techniken gebraucht werden, um positive bewertete Konsumtechniken herzustellen. Das ICE-Beispiel spricht für diese Problematik. Besonders ausgeprägt finden wir diese Inkonsistenz beim Mobilfunk. Ja zum Handy, nein zum Antennenmast! Ich habe schon selbst miterlebt, wie Demonstrationsteilnehmer gegen eine Mobilfunkantenne mit Hilfe ihrer Handys Gleichgesinnte mobilisieren wollten. Der Sozialpsychologe Christian Röglin hat das auf die einfache Formel gebracht: Wir lieben die Produkte der Industriegesellschaft, hassen aber die Art, wie sie hergestellt werden.

TR: Welche Technikfelder möchten Bürger am ehesten aus eigener Tasche beziehungsweise aus Steuergeldern finanziert sehen?

Renn: An erster Stelle kommen die erneuerbaren Energieträger, vor allem Solarenergie in jeglicher Form. Wind und Biomasse folgen mit deutlichem Abstand, etwa gleichauf die meisten IT-Anwendungen. Am Ende der Liste stehen Militäranwendungen. Wenig beliebt sind auch Atomkraftwerke, Müllverbrennungsanlagen und grüne Gentechnik…

TR: …die ja, wie die Atomtechnik, maßgeblich in Deutschland entwickelt wurde.

Renn: Dabei steckt das Produktionsverfahren von Lebensmitteln in der Akzeptanzkrise, weniger die Produkte selbst. Bei gentechnisch veränderten Tomaten zum Beispiel kann man durch Auszeichnen der Produkte die Frage der Akzeptanz individualisieren und damit diesem Konflikt die Schärfe nehmen.

TR: Wenn Raucher gegen Atomkraft und Bungee-Springer gegen Mobilfunkstrahlen kämpfen – was sagt das über Technikängste?

Renn: Es ist wichtig, verschiedene Wahrnehmungsmuster von Risiken auseinanderzuhalten. Atomkraftanlagen gehören zum sogennnten Damokles-Typ: hohes Katastrophenpotenzial bei gleichzeitg sehr geringer Eintrittswahrscheinlichkeit. Das angstauslösende Moment ist hier die Zufälligkeit des Eintritts. Eine Katastrophe kann theoretisch zu jedem Zeitpunkt eintreten, wenn auch mit verschwindend kleiner Wahrscheinlichkeit. Das macht Menschen mehr Angst als wenn sie wüssten, dass eine technische Anlage genau in drei Jahren eine große Katastrophe auslösen wird. Darauf kann man sich einstellen.

Beim Mobilfunk ist es ähnlich: Hier haben wir es mit einem schleichenden Risiko zu tun. Bei diesem "Pandora"-Typus fehlen uns die Möglichkeiten, die Gefahr sinnlich wahrzunehmen. Wir sind also auf Informationen Dritter angewiesen. Vertraue ich aber diesen Dritten nicht, dann will ich Nullrisiko. Insofern ist es subjektiv gut nachvollziehbar, wenn jemand vehement gegen eine Mobilfunkanlage opponiert und dort Nullrisiko verlangt, obwohl er gleichzeitg eine Zigarette raucht, zur Beruhigung zwei Schnäpse trinkt und draußen den Porsche geparkt hat.

TR: Unterscheiden sich Männern und Frauen dabei?

Renn: Merkmale wie Alter, Geschlecht, Bildung spielen eine geringere Rolle als vielfach berichtet. In der Regel sind Frauen etwas risikoscheuer. Unser amerikanischer Kollege Paul Slovic hat aber herausgefunden, dass diese Geschlechterdifferenz verschwindet, wenn man die zehn Prozent der besonders risikofreudigen Männer – die Macho-Typen – ausblendet. Frauen und Männer sind dann in ihrer durchschnittlichen Risikowahrnehmung sehr ähnlich. Überraschend ist auch, dass Technikakzeptanz mit höherer Bildung nicht generell ansteigt. Bei Atomkraft und grüner Gentechnik wächst sogar die Ablehnung mit der Höhe des Bildungsgrades. Bei der Nanotechnologie ist es genau umgekehrt.

TR: Den gemeinen Technophobiker gibt es also nicht?

Renn: Etwa fünf Prozent der Bundesbürger sind generell skeptisch gegenüber externer Technik und zurückhaltend bei Konsumtechniken. Diese Gruppe möchte bewusst einen alternativen Lebensstil ausleben. Darüber hinaus ist die Akzeptanz einzelner Technologien eher selektiv: wer gegen Gentechnik ist, muss noch lange nicht gegen Atomkraftwerke sein. Statistisch gibt es aber eine weite Überlappung, weil die Mehrheit der Deutschen gegen beides ist.

TR: Aber wie viele sind aktionsbereit?

Renn: Die Verteilung von Einstellungen ist dafür jedenfalls nur ein schwacher Indikator. Zum Beispiel sind mehr Menschen gegen eine Ölraffinerie in ihrer Umgebung als gegen ein Atomkraftwerk. Allerdings äußern 25 Prozent der Atomkraftgegner, dass sie sich aktiv zur Wehr setzen würden; rund 7 Prozent von denen würden es tatsächlich tun. Bei der Raffinerie sind es 10 Prozent , davon tun es dann weniger als 2 Prozent. Gelingt es einer sozialen Bewegung, bis zu 5 Prozent der Bevölkerung zu mobilisieren, ist der Protest nicht mehr zu ignorieren: die Politik muss dann reagieren.

TR: Welche Rolle spielen die Medien?

Renn: Die Medien wirken wie Verstärker: nur selten erzeugen oder zerstreuen sie Ängste, doch bestehende können sie bis zur Massenhysterie ausbreiten – siehe Schweinegrippe. Sie können aber auch bestehende Risiken als zu harmlos erscheinen lassen. Zum Beispiel werden natürliche Pathogene wie Pilze, Viren oder Bakterien unterbelichtet, obwohl europaweit mehr als hundert Mal so viele Menschen durch solche Lebensmittelrisiken ums Leben kommen als durch chemische Zusatzstoffe.

TR: Wem trauen die Deutschen, wenn es um Risikobewertung von Technik geht?

Renn: Wissenschaftler aus Universitäten oder öffentlichen Forschungseinrichtungen gelten als besonders glaubwürdig, auch die Hausärzte beim Thema Gesundheitsrisiken, Spezialisten von Umweltverbänden und Verbraucherschutz sowie Nichtregierungsorganisationen im allgemeinen. Wirtschaft und Politik stehen dagegen am unteren Ende der Skala. Die Medien sind meist im oberen Drittel verortet. Interessant ist aber, dass die positive Glaubwürdigkeit der Wissenschaft leidet, wenn sie mit industrieller Anwendung verbunden wird.

Mehr Antworten

Renn, Ortwin "Symbolkraft und Diskursfähigkeit. Die neue Technik in der öffentlichen Wahrnehmung." In: Politische Ökologie, Sonderheft Genopoly. Das Wagnis Grüne Gentechnik, Heft 81-82 (2003), S. 27. (bsc)