Missing Link: Wie skurrile Marktplätze immer noch überleben

Shoppingplattformen gibt es im Internet zuhauf. Einige davon sind nicht für jeden – vielleicht auch besser so.

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Interesse an einer Asphaltfräse? Kein Problem, den Preis gibt es bei spezialisierten Marktpätzen jedoch nur auf Anfrage.

(Bild: Machinery Line, Screenshot und Bearbeitung: heise online)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Falk Steiner
Inhaltsverzeichnis

Wenn es eine Weisheit gibt, die den Autor seit Mitte der 1990er im Internet begleitet, ist es folgende: Eine der schönsten Sachen ist es, dort zu landen, wohin man gar nicht wollte, zu finden, was man überhaupt nicht gesucht hat. Es ist ein Luxus in einer Zeit, in der aus Suchmaschinen viel zu oft banale Findemaschinen geworden sind, einfach einmal der Intuition freien Lauf lassen. Einmal im Internet komplett falsch abgebogen und schon surft man auf einer Welle, von der man nicht weiß, wo sie einen hintragen wird. Etwa dann, wenn man nach gebrauchten Dingen sucht.

Bei Missing Link geht es deshalb diesmal auf eine Reise zum Long Tail der Marktplätze: Weil die Kosten für den Betrieb einer Website, eines Social-Media-Auftritts oder das Hosten einiger Bytes erst einmal sehr gering sind, lässt sich im Netz für fast jedes Interesse ein Angebot finden. Neben dem, was viele interessiert, den vorderen und hohen Teil der Nachfragekurve, gibt es einen langen Schweif an Spezialinteressen, die zu bedienen sich nur im Digitalen rechnen kann. Als Chris Anderson vor 20 Jahren diese Theorie des Long Tail aufstellte, war nur ein kleiner Teil der heutigen Nutzer online (heise-Leser natürlich ausgenommen). Und entsprechend finden sich heute noch viel mehr Marktplätze - auch jenseits der so berüchtigt verruchten Bitcoin-Darknet-Gruselorte – auf denen viele Güter gehandelt werden, die nur für wenige nützlich sind, diese Spezialinteressen aber gut bedienen.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Beginnen wir unsere Reise mit dem Klassiker der Onlinemarktplätze für eigenwillige Lebenspläne: Vladi Private Islands. Der Hamburger Farhad Vladi schrieb schon früh Internetgeschichte: die Idee, Inseln über das Internet zu verkaufen, war zu gut, um unbekannt zu bleiben. Vor fast einem Vierteljahrhundert, im Jahr 2000 empfahl die New York Times: "Fette Brieftasche und das Verlangen nach Privatsphäre? Kauf deine eigene Insel!". Konkurrenz hat Farhad Vladi schon lange – Sotheby's International Realty etwa vermarktet unter anderem ebenfalls Inseln rund um den halben Globus. Dass natürlich auch die Konkurrenz von Christie's derartiges ins Programm genommen hat, versteht sich von selbst – etwa eine wunderschöne kleine Insel vor Venedig. Ein Problem allerdings teilen alle Anbieter und stolzen Eigentümer von Privatinseln: Bei stärker steigendem Meeresspiegel könnte die Freude am Investment kurz währen und dem Untergang geweiht sein.

Warum nicht selbst Hand anlegen, den Rechner zur Seite packen und selbst etwas für den Umgang mit der Natur tun? Und das als Broterwerb? Liebe vergeht – Hektar besteht, und eine Bio-Landwirtschaft mit 2.500 Hektar Ackerfläche wäre doch eine feine Sache. Wäre da nicht ein kleiner Haken: Der Bauernhof liegt in der West-Ukraine. Nur eines von vielen Angeboten, das sich beim niederländischen Anbieter Interfarms wiederfindet. Wer Wein in Frankreich anbauen, Schafe, Ziegen oder Milchkühe an der estnisch-russischen Grenze oder Erdbeeren in Australien als Lebenstraum hat, wird hier mit hoher Wahrscheinlichkeit fündig. Für eine heimatnahe Selbstverwirklichung bietet aber auch der eine oder andere Schweinezüchter der niederdeutschen Tiefebene Hab und Gut im Tausch gegen Cash an.

Und wer dafür noch ein paar Tiere benötigt, kann etwa auf organicxlivestock nach Öko-Viechern auf die Suche gehen – von der grauen gehörnten Heidschnucke bis zur Orpingtonente und Hubbard JA757 ist das Angebot vielfältig.

Vielleicht ist das Leben als Landwirt aber einfach nicht das Richtige. Tiere, Äcker, Felder, all das ist oft auch körperlich herausfordernd. Um sich die bereits erwähnten Inseln leisten zu können, benötigt es allerdings dennoch etwas Kleingeld. Wie wäre es damit, selbst Unternehmer zu werden, und nicht bei Null beginnen zu müssen? Nexxt-Change.org könnte die Lösung sein – eine Plattform für Unternehmensangebote im wörtlichen Sinne. Denn angeboten werden Unternehmen – zur Übernahme oder zur Beteiligung. Oftmals aus Altersgründen, und das in fast allen Bereichen.

Kleinere und mittlere Unternehmen sind hier und bei ähnlichen Plattformen in der Auslage – und welche Dramen um Lebenswerke dahinterstehen, ist anhand der Beschreibungen oft nur zu erahnen. Vom Restaurant Fleischeslust im Ostalbkreis über IT-Systemhäuser in Ostsachsen und Spezialsoftwarehersteller am Rand des Sauerlandes: Nicht alle Branchen laufen gut. Die wirtschaftlich überlebt habende Gründergeneration der E-Commerce-Welle, die sich nicht im Neuen Markt an die Börse verlor, ist inzwischen dennoch auf dem Weg in den Ruhestand und sucht offenbar fleißig Nachfolger. Ebenso wie auch der eine oder andere Unternehmer, der sich von einem mäßig erfolgreichen Start-up trennen möchte.