Umstrittener Zukauf: Was will Mozilla mit einer Werbefirma?

Die Macher des Firefox-Browsers haben mit Anonym eine Firma übernommen, welche die Welt der Online-Werbung respektvoller gestalten will.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 76 Kommentare lesen

(Bild: Sundry Photography/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Fabian A. Scherschel
Inhaltsverzeichnis

Die Mozilla Corporation, Teil der gemeinnützigen Mozilla-Stiftung – welche wiederum den Firefox-Browser, die E-Mail-Software Thunderbird und den Lesezeichen-Dienst Pocket entwickelt – hat in der vergangenen Woche die Online-Werbe-Analysefirma Anonym übernommen. Seitdem gab es im Netz, vor allem in der Open-Source-Gemeinde, die Mozilla gern als wichtigen Teil der Community sieht, immer wieder Diskussionen, ob dieser Schritt nicht das Vertrauen in die gemeinnützige Arbeit der Mozilla-Stiftung untergraben könnte.

Anonym bietet Dienste an, mit denen Werbefirmen herauszufinden können sollen, wie gut ihre Online-Werbung funktioniert. Die Firma will die Frage beantworten, welches Publikum die Werbeeinblendungen erreichen, ohne dabei die Privatsphäre Einzelner zu verletzen. Die Firma wurde im Jahr 2022 von ehemaligen Mitarbeitern des Facebook-Mutterkonzerns Meta als Start-up gegründet und ist bisher im Online-Werbe-Markt nicht groß in Erscheinung getreten.

Historisch betrachtet hat die Online-Werbeindustrie aus einem einfachen Grund der herkömmlichen Offline-Werbung den Rang abgelaufen: Tracking. Da Werbenetzwerke die Bewegungen von Lesern und Zuschauern durchs Netz nachverfolgen und so vieles über sie herausfinden, können sie die Werbung ihrer Kunden effektiver und passgenauer zeigen, als bei Printmagazinem und Fernsehformaten möglich ist. Das Ganze geht auf Kosten der Privatsphäre aller, die im Internet unterwegs sind.

Anonym und Mozilla haben nun vor, die Werbeindustrie von diesem Luxus zu entwöhnen und ihnen etwas weniger genaue Informationen zu bieten, auf eine Art, die die Wünsche des Werbepublikums nach mehr Privatsphäre respektieren soll. Das Ganze kommt nicht von ungefähr, denn Gesetzgeber in Europa und den USA bemühen sich seit Jahren, ebendiesen Wunsch umzusetzen und Werbefirmen zu einem Privatsphäre-kompatibleren Vorgehen zu zwingen.

Grundsätzlich passt diese Mission gut zu Mozilla, denn die Organisation kämpft seit Langem gegen übergriffiges Verhalten beim Sammeln von Nutzerdaten. So kritisierte Mozilla etwa im April 2022 die Initiativen von Google und Apple, ihre Werbung Privatsphäre-freundlicher zu gestalten, und schlug stattdessen vor, einfach weniger Daten zu sammeln. Jetzt hat man es sich offensichtlich anders überlegt und will in diesen Markt selbst einsteigen, um den "Industriestandard für datenschutzgerechte digitale Werbung zu heben", wie Mozilla-Chefin Laura Chambers sagt.

Anonym setzt nach eigenen Angaben "ausgefeilte, datengesteuerte Werbelösungen auf einer hochmodernen, vertraulichen Computerplattform" ein. Dazu werden Daten des zu bewerbenden Publikums mittels eines "sicheren Systems" gesammelt und anschließend anonymisiert. Das bedeutet, die Merkmale von Webseitenbesuchern werden von deren personenbezogenen Informationen getrennt. Daraus will man Ergebnisse gewinnen, die für Werbekunden wichtige Einblicke bieten, aber keine Rückschlüsse mehr auf einzelne Personen erlauben – Tracking light, sozusagen. Als Teil dieses Prozesses werden die Daten mit Algorithmen für Differential Privacy mit einem Grundrauschen verfremdet, was einen weiteren Schutz der Privatsphäre erzeugen soll.

Kann das funktionieren? Rein technisch ist Privatsphäre-freundliche Online-Werbung sicherlich umsetzbar. Das Problem ist eher, dass Nutzer Mozilla vertrauen müssen, dass alles auch wirklich so umgesetzt wird wie versprochen. Da Anonym und damit Mozilla im Besitz der gleichen Datenmengen wie andere Werbenetzwerke sind, bevor die Daten anonymisiert werden, könnte die Firma theoretisch damit dasselbe machen wie andere Werbefirmen. Bisher ist das Bekenntnis zu datenschutzgerechter digitaler Werbung nichts als ein Versprechen. Die technisch elegantere Lösung wäre, wie von Mozilla vor zwei Jahren selbst vorgeschlagen, diese Daten erst gar nicht zu erheben.

Zumal Mozilla schon immer ein zwiegespaltenes Verhältnis zur Werbeindustrie hatte. Jahrelang versuchte man, das immer mehr ausufernde Tracking und die Datensammelwut der Branche mit technischen Mitteln im eigenen Browser einzudämmen. Gleichzeitig nimmt Mozilla mehr als eine halbe Milliarde Dollar von Google entgegen, um deren Haupt-Werbeprodukt, die Google-Suche, prominent im eigenen Browser zu platzieren. Mit der weltgrößten Werbefirma als größtem Geldgeber ist Mozilla grundlegend von der Werbeindustrie abhängig.

(mki)