Berliner Abgeordnetenhaus hat Bedenken gegen Jugendmedienschutz-Novelle

Sprecher aller Fraktionen haben die von den Länderchefs beschlossene Neufassung des Jugendmedienschutzes bei einer Anhörung scharf kritisiert. Der Entwurf stieß bei vielen Repräsentanten auf Ablehnung.

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Als eines der ersten Länderparlamente hat sich am Mittwoch das Abgeordnetenhaus Berlin mit der geplanten Neufassung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) im Rahmen einer Anhörung im Medienausschuss beschäftigt. Sprecher aller Fraktionen kritisierten dabei den von den Länderchefs bereits beschlossenen Entwurf scharf. Dabei rügten sie das Verfahren, das den eigentlichen Gesetzgebern keinen Raum mehr für Änderung lässt. Die Volksvertreter können das Vorhaben nur noch insgesamt ablehnen oder ihm zustimmen. Aber auch inhaltlich fiel der Kernansatz der Novellierung, eine Kennzeichnung für Online-Inhalte einzuführen und Erziehungsberechtigten über Jugendschutzprogramme Filtermöglichkeiten an die Hand zu geben, bei den Abgeordneten durch.

Der Medienexperte der SPD-Fraktion, Frank Zimmermann, zeigte sich "hochgradig skeptisch, ob das alles so funktioniert". Trotzdem erklärte der Angehörige der rot-roten Regierungskoalition, dass der "Versuch", den Jugendschutz im Internet neu zu regeln, legitim sei. Seine Kollegin von den Linken, Gabriele Hiller, sprach dagegen wiederholt von einer "Farce". Vor allem die geplanten technischen Filtermaßnahmen seien kaum durchzusetzen, die Eingriffe ins "freie Internet" eventuell "zu hoch". Gegenüber heise online kündigte Hiller an, ein "Nein" ihrer Fraktion zu prüfen. Damit stünde die für Juni geplante endgültige Absegnung des Vorhabens durch die Ministerpräsidenten auf dem Spiel, da dieses einstimmig angenommen werden müsste.

Auch beim CDU-Medienexperten Christian Goiny stieß der Entwurf überwiegend auf Ablehnung. Die Politik dürfe beim wichtigen Thema Jugendschutz nicht übers Ziel hinausschießen. Die vorgesehenen technischen Mittel seien "wohl wirkungslos". Besser wäre es, den "Faktor Medienkompetenz" auszubauen, zudem fehle eine Stärkung des Datenschutzes für Jugendliche in sozialen Netzwerken. Für die FDP monierte Sylvia von Stieglitz, dass ein "lückenhaftes Vertragswerk einfach durchgezogen" werden solle. Ihre Fraktion plädiert stattdessen dafür, die Medienkompetenz der Nutzer zu stärken. "Die Dinge sind nicht angemessen geregelt worden", stellte sich auch die grüne Medienpolitikerin Alice Ströver gegen die Initiative. So würden Bloggern oder Forenanbietern die gleichen Maßgaben auferlegt wie großen Content-Produzenten. Die Oppositionspolitikerin plädierte für die Ablehnung des Vertrags, falls daran keine grundlegenden Änderungen mehr vorgenommen würden.

Von den geladenen drei Sachverständigen konnte sich nur Ilka Goetz vom Ausbildungsprojekt BITS 21 etwas für den Entwurf erwärmen. Dieser sei ein Schritt zu etwas mehr Schutz für Jugendliche. Inhalteanbieter müssten im Interesse der Gesellschaft "ein Stück weit in die Pflicht" genommen werden. Auch sie fürchtete aber, dass bei den vorgesehenen Alterseinstufungen ein mittleres Chaos nicht vermeidbar sei. Nadine Schüttel vom eco-Verband meinte, dass Web-2.0-Angebote angehalten würden, die Einbeziehung nicht für Jugendliche geeigneter Inhalte zu verhindern. Daraus ergebe sich eine allgemeine Überwachungspflicht, die der Gesetzgeber bislang immer abgelehnt habe. Betroffen seien nach wie vor auch Access-Provider, da die Länder den Anbieterbegriff "weit ausgelegt" wissen wollten. Als "illusorisch" bezeichnete Alvar Freude vom AK Zensur das geplante Filtersystem. Millionen Blogger oder die Macher der Wikipedia müssten selbst ihre Archiveinträge klassifizieren. Vielfach bleibe da wohl nur die Alternative, einen kompletten Webauftritt als "über 18" zu markieren.

Die Chefin der Berliner Senatskanzlei, Barbara Kisseler, nahm die Pläne halbherzig in Schutz. Sie teile das "Unbehagen gegenüber dem Staatsvertrag", erklärte die SPD-Politikerin. Dieser habe "zu viele Schwachstellen", als dass er nicht bald einer erneuten Überarbeitung unterzogen werden müsste. Auch ein "nicht ganz geglückter Vertrag" sei aber besser als keiner. Schließlich dürfe die Politik nicht "auf das nächste Winnenden" warten. Weder Exekutive noch Legislative könnten sich einen Rückzug aus der gesellschaftlichen Verantwortung leisten. Eine Online-Petition gegen den Vertrag erfährt derweil wachsendem Zuspruch. So haben innerhalb weniger Wochen rund 1600 Nutzer knapp 25.000 Einzeleingaben an die 16 Länderparlamente über die Plattform Zensur-in.de erstellt. Bremen hat das Gesuch in das eigene Online-System der Bürgerschaft integriert. (vbr)