Hardware-Website Anandtech schließt nach 27 Jahren

1997 von einem Schüler gestartet, wurde Anandtech zu einer der verlässlichsten Informationsquellen. Nun ist das Projekt offenbar am Ende. Ein Rückblick.

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Anand Lal Shimpi, links, wie immer im Anzug auf der Cebit 2008 neben Alex Mai von OCZ – auch dessen Firma existiert nicht mehr. Anand trägt einen von Gehirnströmen gesteuerten Controller.

(Bild: Anandtech, mit freundlicher Genehmigung)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Nico Ernst
Inhaltsverzeichnis

Mit Anandtech stellt eine der dienstältesten und angesehensten Websites für Technikthemen den Betrieb ein. Am Freitag, dem 30. August 2024, erschien der letzte Artikel, eine Abschiedsmitteilung von Chefredakteur Ryan Smith. Er führte die Redaktion seit 2014, als der Gründer Anand Lal Shimpi das Unternehmen verkauft und verlassen hatte, um zu Apple zu wechseln – die Nähe, aber zugleich kritische Distanz zur Industrie war stets eines der Erfolgsgeheimnisse von Anandtech.

Wie Smith schreibt, soll die Website inklusive des auch für technische Hilfestellung beliebten Forums vorerst online bleiben. Gründe für das Ende des Projekts deutet er nur an: "Der Markt für Technikjournalismus in Textform ist nicht mehr, was er einmal war – und wird es auch nie wieder sein." Ohne dass Smith den seit Jahren anhaltenden Trend zu Videoformaten gerade bei Technikthemen ausdrücklich erwähnt, liegt auf der Hand, was er meint: YouTuber und andere Influencer sind heute, insbesondere in den USA, die bevorzugten Partner von Werbekunden. Offenbar gelang es dem Mutterkonzern von Anandtech, Future Publishing, nicht, die Website profitabel zu halten.

Ein früherer leitender Redakteur des Mediums, Dr. Ian Cutress, gibt in einem YouTube-Video an, Anandtech sei schon seit Jahren defizitär gewesen. Es habe zum Schluss kaum noch fest angestellte Redakteure, sondern fast nur noch freie Mitarbeiter gegeben. Die verbleibenden Kollegen hätten erst zwei Wochen vor dem Einstellungstermin von diesem erfahren. Cutress beschreibt in seinem Video auch etliche Hintergründe der Entwicklung, die mit dem mehrfachen Verkauf des Unternehmens und der inhaltlichen Ausrichtung durch die neuen Eigentümer einhergingen. Mit seinem hohen Anspruch und wenig Sensationsjournalismus, konnte Anandtech offenbar nicht überleben. Auch Abomodelle oder sonstige Einnahmequellen waren in den letzten Jahren nicht zu sehen.

Am Ende seines Statements wendet sich Ryan Smith auch ausdrücklich gegen diese Trends: Eine "Kabel-Fernsehfizierung" von Technikjournalismus wolle er nicht mitmachen. Gemeint ist dabei die vor allem im US-Fernsehen seit Jahrzehnten zu beobachtende Tendenz, mit immer mehr Werbung und niveauloseren Inhalten Geld zu verdienen. Den Bedarf an seriösen Inhalten sieht Smith weiterhin, der sei sogar gestiegen, weil "die sozialen Medien und die sich verändernde Werbelandschaft eine oberflächliche, sensationslüsterne Berichterstattung noch lukrativer gemacht haben."

Von Anfang an hatte sich Anandtech einen Namen durch sehr tiefgehende Berichte über neue Technologien und Produkte gemacht. Dazu kam eine hohe Aktualität, bei der es am Veröffentlichungstag beispielsweise eines Prozessors nicht nur umfassende Benchmarks, sondern auch eine komplette Erklärung der Architektur gab. Möglich wurde das durch das große Know-how und den Fleiß der Mitarbeiter sowie enge Kontakte in die Branche. Jede mögliche Technik-Konferenz zu besuchen, jede Messe, war eines der Konzepte des Gründers Anand Lal Shimpi.

Weil er 1997 aber erst 14 Jahre alt war, musste er aus rechtlichen Gründen solche Termine immer mit einer Aufsichtsperson besuchen – Anand entschied sich für seine Mutter. Und um unter diesen Umständen ernst genommen zu werden, erschien er immer im Anzug, wie der Autor dieses Textes bestätigen kann und auch Dr. Ian Cutress in seinem aktuellen YouTube-Video beschreibt. Viele seiner Mitarbeiter schlossen sich dem an, was als Outfit für Technik-Journalisten auch um die Jahrtausendwende nicht selbstverständlich war. Zu ergänzen wäre noch, dass Anand später, in der Branche angekommen, stets Zehenschuhe zum Business-Anzug trug. Das sah nicht nur lustig aus, sondern wurde auch zu einem Markenzeichen.

So traf ich ihn auch mehrfach auf einem Intel Developer Forum (IDF), einer großen Konferenz, die Intel von 1997 bis 2017 mindestens einmal jährlich veranstaltete. Und weil ich zufällig neben Anand saß – wir kannten uns schon von früheren Events – konnte ich sehen, warum mit dem Ende eines Vortrags so gute Artikel auf seiner Website standen. Sobald die Sperrfrist gefallen war, drückte er an seinem Notebook nur noch auf den Knopf zum Veröffentlichen. Alle Inhalte waren vorbereitet, denn Anand hatte auch die in der Regel erst im Laufe der Konferenz von Intel stückweise veröffentlichten Materialien bereits vorabe erhalten. Nach meiner Kenntnis konnte das kein anderes Medium so von sich sagen; Gleichbehandlung ist in dieser Branche schon immer ein schwieriges Thema gewesen.

Aber nicht nur das machte den Vorsprung aus, Anand konnte den Vorträgen – deren Inhalte er anhand von Intels PDFs schon kannte – zuhören und dabei Ergänzungen tippen sowie in seinem Content-Management-System Artikel formatieren. Und das mehrere Stunden lang. Auch meine Wenigkeit und andere schrieben natürlich fleißig mit, aber wenn die Informationen ganz neu sind, kommt dabei nicht ein sofort brauchbarer Artikel heraus. Auf solchen Events und in seiner Redaktion hatte Anand im Übrigen immer auch Mitstreiter – deutsche Journalisten sind auf solchen Reisen meist Einzelkämpfer und schreiben ihre Artikel oft nachts im Hotel, weil tagsüber keine Zeit dafür ist.

Auch quer durch die Branche wurden Anand und seine Kollegen stets für ihre Professionalität, Freundlichkeit und Verbindlichkeit gelobt. Einer der größten Technik-YouTuber, Linus Sebastian von Linus Tech Tips, hatte eines seiner aktuellen Videos zeitweise überschrieben mit "Die Webseite, die mir alles beigebracht hat, ist tot." So groß war die Bedeutung für eine ganze Generation von Technikenthusiasten.

Ein bisschen Hoffnung kann man sich vielleicht noch machen – vielleicht findet sich nämlich noch ein Käufer für Anandtech. Ein Beispiel für ein derlei Wendungen sind Ende und Wiederauferstehung der im Fotogeschäft sehr relevanten Seite DPreview, die 2023 erst vom Eigentümer Amazon geschlossen und dann vom Medienhaus Gear Patrol übernommen wurde.

(nie)