Tocqueville kontra Torvalds

Eine Studie macht Linus Torvalds den Ruf als Schöpfer von Linux streitig und mischt sich indirekt in die Auseinandersetzungen rund um SCO und das geistige Eigentum am Unix-Code ein.

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Von
  • Detlef Borchers

Die Alexis de Tocqueville Institution hat in einer Mitteilung eine Studie angekündigt, die den Ruf von Linus Torvalds als Schöpfer von Linux einer gründlichen Prüfung unterziehe. Ab dem kommenden Donnerstag will die Institution, die unter anderem von Microsoft-Geldern finanziert wird und Donald Rumsfeld als Sicherheitsberater auflistet, einzelne Kapitel dieser Studie auf ihrer Homepage unter dem Titel "The origins of Linux" veröffentlichen.

Als Autor der Studie fungiert Kenneth Brown, der Präsident der Alexis de Tocqueville Institution. Durch Interviews mit zwei Dutzend der fähigsten Wissenschaftler, unter ihnen Minix-Vater Andrew Tanenbaum, Unix-Opa Dennis Ritchie und FSF-Präsident Richard Stallman, will Brown herausgefunden haben, dass Linus Torvalds nicht der Erfinder von Linux ist. Stattdessen gebühre die Ehre den Personen, die Unix entwickelt haben, das als "meistlizenziertes, imitiertes und gestohlenes Produkt in der Geschichte der Computerwissenschaften" charakterisiert wird.

Kenneth Brown ist selbst kein Computerwissenschaftler, sondern ein Politologe, der unter anderem Gutachten über die chinesische Falun Gong verfasste und als Experte für geistiges Eigentum gilt. In diesem Zusammenhang warnte Brown mit einer anderen Studie schon einmal vor dem Einsatz von Open Source in der US-Verwaltung, weil dadurch Terroristen begünstigt werden, die ebenfalls Zugriff auf Open Source haben, und der Wirtschaft generell keine guten Dienste geleistet würden.

Die nunmehr angekündigte Studie erscheint zu einem Zeitpunkt, an dem sich die SCO Group in ihren verschiedenen Prozessen um das Eigentum an Unix System V nicht mehr darauf versteift, dass bestimmte Codezeilen von Unix nach Linux gewandert sein sollen. Vielmehr heißt es seit kurzem, dass die nicht wörtliche 1:1 Kopie, das allgemeine Übertragen von Konzepten, Methoden und Begriffen, eine Verletzung der SCO gehörenden Rechte darstelle.

In dieser Begrifflichkeit scheint sich die Studie von Kenneth Brown zu bewegen, da Linus Torvalds bei der Programmierung von Linux natürlich Unix zum Vorbild hatte. Wie aus der Torvalds-Biografie "Just for Fun" hervorgeht, war auch Minix, eine zu Lehr- und Forschungszwecken abgespeckte Version von Unix ein Vorbild bei der Entwicklung von Linux. Vor den Augen der interessierten Öffentlichkeit wurde ab Januar 1992 in der so genannten Torvalds-Tanenbaum-Debatte um Konzepte, Begriffe und Methoden des kommenden Betriebssystems gestritten, ohne dass die Unix System Laboratories (USL) als damalige Rechteinhaber an Unix ihre Rechtsanwälte alarmierten. Zu dem Zeitpunkt der Torvalds-Tanenbaum-Debatte verteidigten die USL aggressiv ihre Unix-Rechte gegen die Firma Berkeley Software Design, die im Januar 1992 ihr BSDI-Unix verkaufte.

Die Alexis de Tocqueville Institution ist nach dem französischen Soziologen und Philosophen de Tocqueville benannt, der vor 172 Jahren die USA bereiste und seine Erfahrungen in dem Buch Über die Demokratie in Amerika niederlegte. De Tocqueville beobachtete und beschrieb die ihn erstaunende, nicht endenwollende Bereitschaft der Amerikaner, Öffentlichkeit herzustellen und sich in ehrenamtlichen Gemeinschaftsarbeiten zu engagieren. Straßen, Schulen und Universitäten sind Produkte dieser Communities. Bis heute hat dieses Community-Denken tiefe Spuren in der amerikanischen Realität hinterlassen. Ohne den Community-Gedanken, den Dienst an der Allmende, ist die Anziehungskraft, die Linux ausübt, nur schwer verständlich. In allgemeiner Anlehnung an Begriffe, Methoden und Konzepte könnte man sagen, dass Linus Torvalds sich an Tocqueville orientierte, als er begann, in der Gemeinschaft vieler Entwickler Linux zu entwickeln. (Detlef Borchers) / (jk)