Fast 30 Jahre MetaGer: Über die Geschichte und aktuelle Entwicklungen

Die datenschutzfreundliche Suchmaschine MetaGer gibt es nach einer plötzlichen Kündigung von Yahoo erstmal nur noch kostenpflichtig. Wie es weitergehen soll.

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MetaGer-Suchmaschine

(Bild: heise online)

Lesezeit: 15 Min.

MetaGer ist eine datenschutzfreundliche Suchmaschine, die seit Kurzem nur noch kostenpflichtig funktioniert. Dazu müssen Token erworben werden – was auch analog und über einen Brief möglich ist. Ursache für die Beendigung der werbefinanzierten Suche ist, dass MetaGers Partner Yahoo den Betrieb in Deutschland einstellt. Damit sind Suchergebnisse über die werbefinanzierte Suche nicht mehr möglich.

(Bild: Christine Plote)

Der Verein ist nicht nur maßgeblich an dem Betrieb und der Entwicklung von MetaGer beteiligt, sondern auch an Projekten im Bildungs- und Forschungsbereich. Die Arbeit übernehmen dabei unter anderem Studenten der Universität Hannover, Ehrenamtliche und noch verbliebene Festangestellte. Wir haben mit Phil Höfer aus dem Vorstand des Suma-ev über die Geschichte von MetaGer, Herausforderungen nach der Kündigung durch Yahoo und Perspektiven gesprochen.

heise online: Welches Fazit ziehen Sie nach rund 30 Jahren MetaGer?

Phil Höfer: Die öffentliche Wahrnehmung von Suchmaschinen ist anders als die Realität. Die meisten Menschen haben ein verzerrtes Bild davon, was eine Suchmaschine überhaupt tut. Wir haben auch gemerkt, dass sich der Markt wandelt. In einigen Aspekten waren wir dem Markt etwas voraus. Wir sehen gerade, dass es neue Suchmaschinen gibt, die von Anfang an auf ein Bezahlmodell setzen. Die Luft für werbefinanzierte Suchmaschinen wird aber generell dünner.

Also ist Bewegung in dem Segment?

Wahrscheinlich ist das Ende unserer werbefinanzierten Version ein Vorbote einer generellen Entwicklung. Vermutlich wird sich dieser Trend weiter fortsetzen.

Wie hat die Zusammenarbeit zwischen dem Suma-ev und der Universität Hannover begonnen?

MetaGer ist als Projekt der Universität Hannover gestartet. Ins Leben gerufen wurde MetaGer von einem Mitarbeiter der Universität, von Dr. Wolfgang Sander-Beuermann. Seine Idee wurde an die Uni herangetragen, zunächst an das Rechenzentrum der Universität.

MetaGer Startseite ab 1997 bis 2006.

(Bild: MetaGer)

Den Verein gab es erst später. Nachdem der Verein 2012 offiziell Träger des Projekts wurde, betrieben weiterhin Studenten das Projekt. Ich habe 2013 angefangen, als Student beim Suma-ev zu arbeiten – bis heute. Dadurch besteht auch eine enge Verbindung mit der Universität Hannover. Damals gab es einen Rechner im Rechenzentrum und es wurde spontan an MetaGer gearbeitet – in der Live-Umgebung. Das ist heute nicht mehr so. Umgesetzt wurde das Ganze auch von Studenten – meist aus dem Bereich Informatik, Wirtschaftsinformatik und angrenzenden Bereichen.

MetaGer ist Open Source, viele verschiedene Menschen wirkten im Laufe der Zeit an der Suchmaschine mit. Was ist das größte Hindernis dabei?

Wir sind überzeugt, dass bei freier Software eines der größten Probleme ist, die Stetigkeit zu gewährleisten. Die kreative Energie und die guten Intentionen der Menschen, die daran mitarbeiten wollen, müssen koordiniert werden. Es sind eben viele einzelne, kleinere Kräfte am Werk, die man in geordnete Bahnen lenken muss. Wohingegen bei einem kommerziellen Projekt hat man einen Projektleiter, ein Projektteam und dann gibt es eine strenge Hierarchie, die sagt, wo die Marschrichtung ist. Bei der Arbeit mit Freiwilligen sollte natürlich auch deren Engagement Rechnung getragen werden. Daher ist der Verein als Struktur sehr wichtig. Das ist zum Beispiel bei Mastodon ähnlich. Ohne den Gründer, Eugen Rochko, der dort als Hauptentwickler tätig ist, wäre die Entwicklung sehr viel unstrukturierter geworden.

Google erhält regelmäßig Strafen, aber das scheint nicht wirklich zu helfen. Was denken Sie darüber?

Es ist ganz nett, dass man Strafen für die Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung verhängt. Allerdings zeigt das wenig Wirkung. Unserer Ansicht nach sind Auflagen hilfreicher, etwa der "Choice Screen". Damit will die EU sicherstellen, dass Google auch eine Auswahl anbietet. Die Auflagen sind zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Viel wichtiger aber ist es, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Alternativen entstehen und überhaupt erst groß werden können. Es ist kein reines Google betreffendes Problem.

Google ist groß geworden, aber andere Suchmaschinen können die Größe gar nicht mehr erreichen, weil entsprechende Regeln auf dem Markt gar nicht existieren. Wir befassen uns daher auch mit dem Open-Web-Index. Solche Projekte sollten viel mehr gefördert oder mit öffentlichen Geldern versorgt werden, damit auch andere den Markt betreten können, was momentan nicht möglich ist.

Keine deutsche Firma kann von heute auf morgen diese Rechenzentren aufbauen, die Google benötigt, um die Suche zu betreiben. Da stecken so viele Milliardeninvestitionen drin, die man nicht einfach nachholen kann. Eine europäische Infrastruktur wie der Open Web Index könnte dabei helfen, die Eintrittskosten in den Markt zu verringern. Es braucht Bedingungen, unter denen Konkurrenz entstehen kann.

Das heißt, die erste Hälfte ist durch Auflagen geprägt, die zwar oft besser wirken als nichts, aber selten wirklich effektiv sind. Viel wichtiger ist es, Bedingungen zu schaffen, unter denen Konkurrenz entstehen kann. Das bedeutet weniger strenge Regelungen und mehr Förderung. Hier stellt sich die Frage, ob es überhaupt möglich ist, dagegen anzukämpfen und ob man eine Chance hat.

Zur ersten Frage, die Sie angesprochen haben: Aus legislativer Perspektive gibt es Möglichkeiten, bessere Bedingungen zu schaffen. Zur zweiten Frage, wie viel Einfluss Nutzer wirklich haben, würde ich sagen, dass dies vergleichbar mit den Wahlen ist. Einzelne Nutzer haben für sich genommen keinen großen Einfluss, aber in der Masse können sie viel bewirken.

Wenn Google beispielsweise eine marktbeherrschende Stellung von etwa 70 Prozent hat und ein großer Teil der Nutzer, sagen wir 30 Prozent, zu einer anderen Suchmaschine wie Bing wechselt, würde das Google erheblich schaden. In diesem Sinne hat die Nutzerschaft als Ganzes einen großen Hebel in der Hand. Einzelne Personen sind zwar nur ein kleiner Teil des Ganzen, aber kollektive Aktionen können Unternehmen dazu zwingen, ihre Strategien anzupassen. Denn letztlich sind diese Firmen ohne ihre Nutzer wertlos.

Wie hat die MetaGer-Community auf die Nachricht der Einstellung der kostenfreien Suche reagiert?

Großartig, viel großartiger, als wir es je zu träumen gewagt hätten. In den ersten zwei Tagen nach der Umstellung hatten wir, wenn ich schätzen müsste, über 200 neue Mitgliedsanträge.

Das fand ich sehr erfreulich. Aber noch wichtiger und emotionaler waren die persönlichen Nachrichten, die wir via Social Media und per E-Mail erhalten haben, sowie die Ermutigungen weiterzumachen. Auch von Geschäftsführern anderer Suchmaschinen habe ich viel Unterstützung erfahren. Digitalcourage hat sofort einen Aufruf gestartet, um uns den Rücken zu stärken. Das hat uns sehr berührt.

Trotz der neuen Zahlungsanforderung für die Nutzung von MetaGer sehen wir, dass ein Teil der Leute bereit ist, weiterhin zu zahlen und den Dienst zu nutzen. Wir haben erkannt, dass wir die Webseite benutzerfreundlicher gestalten müssen. Heute haben wir bereits eine Änderung an der Startseite live geschaltet, um sie besser zu strukturieren. Es gibt noch viel Arbeit, um die Webseite weiter zu entwickeln, aber ich bin zuversichtlich, dass wir die "rauen Kanten" in den nächsten Wochen glätten können.

Unser Briefkasten war heute Morgen wieder voll, nicht nur mit Zahlungen, sondern auch mit aufmunternden Briefen, die Dankbarkeit und Wertschätzung ausdrücken. Das hat uns sehr viel bedeutet.

Wie viele Nutzer hatte MetaGer ungefähr?

Da wir keinerlei Tracking-Daten oder Cookies haben, mit denen wir einzelne Nutzer zählen können, sind unsere internen Schätzungen nur sehr unzuverlässig. Sicher ist, dass wir vor dem Ereignis um die 300.000 einzelne Suchen am Tag hatten und hinterher immer noch knapp 10.000. Wie sich die Tendenz entwickelt, wird sich zeigen, aber seit drei Tagen sind es jeden Tag mehr Suchen als am Vortag.

Was hilft Suma-ev MetaGer zu erhalten?

Vereinsmitglied werden und wenn man das nicht kann oder möchte, MetaGer weiternutzen, weitersagen und nicht aufgeben. Das ist das, was uns momentan am meisten hilft.

Gibt es Pläne, die Dienste auf andere Plattformen oder Dienste zu migrieren?

Aktuell sieht es nicht danach aus. Wir sind zuversichtlich, dass genug Menschen MetaGer weiterhin nutzen. MetaGer in der Form, wie es vor einer Woche existierte, gibt es nicht mehr, aber MetaGer selbst existiert weiterhin. Wir hoffen, in den nächsten Monaten eine Lösung für unsere Nutzer zu finden. Uns ist bewusst, dass es bedauerlich ist, dass die Nutzer den Dienst aktuell nicht wie gewohnt nutzen können. Wir suchen intensiv nach Wegen, dies zu ermöglichen.

Wissen Sie inzwischen mehr in Bezug auf die Kündigung durch Yahoo?

Unsere Information ist, dass Yahoo dieses Geschäftsmodell in Deutschland komplett eingestellt hat. Wie groß dieses Geschäft war, wissen wir nicht genau. Yahoo nutzt den Bing-Index, und ich habe gehört, dass Verträge mit Bing eine Klausel enthalten könnten, die es ermöglicht, Verträge vorzeitig zu beenden. Daher vermute ich, dass Yahoo in dieser Hinsicht recht sicher ist.

Wir müssen prüfen, ob wir noch Anspruch auf die Suchergebnisse bis Mai haben, wie es ursprünglich vereinbart war. Dank der vielen neuen Mitglieder und Spenden haben wir Aussicht darauf, weiterhin als Rechtsperson bestehen zu können. Wie wir weiter vorgehen, müssen wir noch klären, da wir erst seit einer Woche in dieser neuen Situation sind. In einer Woche wissen wir mehr und in zwei Wochen noch mehr.

Momentan planen wir alles sehr vorsichtig und hoffen, dass alles so wie geplant klappt. Wir haben keinen Spielraum für zusätzliche Sicherheitspuffer. Wir sind uns aber sicher, dass wir MetaGer weiter betreiben können, so wie es jetzt heute ist.

Was waren die wichtigsten Meilensteine von MetaGer?

Zu den wichtigsten Meilensteinen würde ich den März 1996 zählen. Auf der CeBIT entstand die Idee zu MetaGer, und noch im selben Jahr wurde die Suchmaschine von Studenten entwickelt und umgesetzt. 2012 wechselte die Trägerschaft zum Suma-ev und seitdem gab es jährlich eine Neuerung. 2013 führten wir unseren TOR-Dienst ein, was damals ein Alleinstellungsmerkmal darstellte. 2014 folgte die Einführung des anonymen Proxy-Dienstes mit der Beschriftung "anonym öffnen".

Von 2015 bis 2016 haben wir MetaGer komplett neu geschrieben. Ursprünglich war der Code in Perl programmiert, das als schwer lesbar gilt. Wir investierten viel Zeit, um MetaGer wartbarer und nutzerfreundlicher zu machen.

Ein wichtiger Erfolg der Modernisierung war auch die starke Reduzierung der Suchzeiten. Ich erinnere mich noch an die alte Webseite, auf der es einen Knopf für eine Suche gab. Damals wurde den Nutzern empfohlen, während der Suche einen Kaffee zu holen, da sie so lange dauerte. Das war noch in den 90er-Jahren.

Im Jahr 2016 ereignete sich ebenfalls ein wichtiger Meilenstein, als wir Open Source wurden und die GNU-AGPL-Lizenz (GNU Affero General Public License) einführten, die wir bis heute verwenden.

2017 starteten wir zunächst für Mitglieder und später auch für die Allgemeinheit die werbefreie Suche, was für uns sehr wichtig war. Hätten wir diese nicht damals eingeführt, gäbe es sie heute wahrscheinlich nicht, was unser Aus bedeutet hätte.

Wir hatten damals schon diese Abhängigkeit und haben gesagt, dass es uns lieber wäre, wenn wir eine Alternative hätten, auch weil wir selbst keine Werbung mögen. Wir sind ein gemeinnütziger Verein und arbeiten mit freier Software. Aber unser Geld haben wir bisher durch Werbung verdient, weil das damals als einziges Modell galt. Die Ansicht war, dass im Web alles kostenfrei sein müsste und Suchmaschinen ebenso. Wir waren überrascht, wie gut es funktioniert hat, als wir MetaGer werbefrei angeboten haben. Auch Microsofts Herausgabe des neuen Bing, in dem eine Version von OpenAIs Sprachmodell steckt, hat am Markt zu höheren Kosten für Suchergebnisse geführt, was uns in der Notwendigkeit einer bezahlten Suche bestärkt hat.

Es hat sich gezeigt, dass viele Leute bereit sind, für einen werbefreien Dienst zu zahlen. Wir waren überrascht, dass nicht nur wir uns einen solchen Dienst gewünscht hatten, sondern auch viele Nutzer. Seit 2017 ist die Anzahl der Nutzer stetig gewachsen, die bereit sind, für den werbefreien Dienst zu zahlen. Wir waren guter Dinge und suchten nach einem alternativen Geschäftspartner zu Yahoo, um unabhängiger zu werden. Wir glaubten, dass der Markt für Dienste, bei denen man mit Geld statt mit Daten zahlt, wächst und immer mehr Leute dies bevorzugen.

Seit Januar dieses Jahres bieten wir auch eine barrierefreie Hilfe in leichter Sprache an. Das war ein Projekt von Studenten der Uni Hildesheim, das wir unterstützt haben, weil wir es gut und richtig fanden. Es passt auch gut zu den neuen Gesetzen zur Barrierefreiheit, die in Kraft getreten sind.

Seit 2015 haben wir uns das Ziel gesetzt, die WCAG 2.0-Kriterien für Barrierefreiheit (Web Content Accessibility Guidelines, der weltweit dominierende Standard für barrierefreie digitale Inhalte) zu erfüllen. Wir haben von der Agentur für Arbeit gutes Feedback zu unserer Barrierefreiheit bekommen.

Aber haben sie nicht die Idee, MetaGer auch zu finanzieren oder mitzufinanzieren?

Das haben wir sogar vorgeschlagen, aber letztlich ist es für eine Behörde oder die IT-Abteilung einer Behörde schwierig, den Vorgesetzten so etwas zu verkaufen. Das ist schade, denn es gibt theoretisch staatliche Gelder, und wenn etwas Geld kostet, sollte es auch bezahlt werden. Noch wird es über Werbung finanziert. Die Behörde bezahlt im Grunde dadurch, dass ihre Mitarbeiter Werbung sehen. Es ist ein seltsames Geschäftsmodell, dass die Mitarbeiter einer Behörde Werbung sehen, um die Ausgaben der Behörde zu reduzieren.

Wir müssen in den nächsten Monaten intensiv über solche Möglichkeiten nachdenken, die früher eher unwichtig erschienen, aber jetzt sehr relevant geworden sind. Ich denke, dass wir viele Optionen haben, um über alternative Finanzierungsmodelle nachzudenken und den Betrieb zu sichern. Es geht weniger um Expansion, was nie unser Ziel war, sondern darum, den Betrieb in einem konservativen Rahmen zu sichern.

Unser Ziel war es immer, uns als Fortsetzung eines Universitätsprojekts im Bereich Forschung, Lehre und Allgemeinbildung zu sehen. Wir haben laufende Projekte wie das Schulprojekt und die Suma-Stipendien, mit denen wir Abschlussarbeiten an Universitäten fördern.

Gibt es Lektionen oder Erkenntnisse aus dem Betrieb von MetaGer, die für zukünftige Projekte nützlich sein könnten?

Dann würde ich sagen: Bleibt ruhig, bleibt gelassen und geht keine unnötigen Risiken ein. Was jetzt vorgefallen ist, hätten wir nie vorhersehen können, aber wir haben es geschafft, weiter zu existieren. In der Zeit sahen mehrere größere Suchmaschinen kommen und gehen. MetaGer existiert seit 1996. Beständigkeit ist wichtiger als ständig neue Start-ups zu gründen. Ruhe bewahren ist der Schlüssel.

Update

Zusatz im ersten Absatz, dass der analoge Weg, den Token über einen Brief zu erhalten, "ohne Datenspuren"verläuft, gestrichen.

(mack)