Zahlen, bitte! 43 Patente und ein Siegelring: Die Entwickung zur Smartcard

Ein umtriebiger französischer Erfinder wollte erst einen elektronischen Siegelring, schuf dann die Smartcards für Telefon und Geldautomaten.

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Aufmacherbild Zahlen, bitte

(Bild: heise online)

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Vor 50 Jahren beantragte der ägyptisch-französische Erfinder, Ingenieur, Humorist und Autor Roland Moreno ein Patent auf ein Verfahren, das die Nutzung eines PIN-geschützten EPROM zur Identifizierung durch ein Lesegerät beschrieb. Sein "Procedé et dispositif de commande électronique" lässt sich als "System zur Übertragung von Daten mithilfe eines unabhängigen tragbaren Gegenstandes und einer autonomen Registriervorrichtung" übersetzen (DE251290A1). Das Moreno-Patent gilt als Geburtshelfer der Smartcard: Der Durchbruch kam mit dem Entschluss von France Telekom im Jahre 1983, öffentliche Kartentelefone zu installieren. 250.000 Telefonkarten waren im Nu ausverkauft.

Roland Moreno war zum Zeitpunkt der Anmeldung seines Patentes durch seine Firma Innovatron am 25. März 1974 gerade einmal 29 Jahre alt. Mit einigen skurrilen Erfindungen wie einem singenden mechanischen Vogel oder dem elektrischen Taschenklavier namens Pianok hatte er sich bereits einen Namen gemacht und seinen Ruf als verrückter Erfinder (Professeur Nimbus) gefestigt.

Roland Moreno (11. Juni 1945 in Kairo als Roland Bahbout geboren; † 29. April 2012 in Paris gestorben) etwa um 1996 aufgenommen.

(Bild: CC BY-SA 3.0, InnovatronWiki)

In dem 1970 gedrehten Film "Die Dinge des Lebens" von Claude Sautet spielt der mechanische Vogel eine hübsche Nebenrolle. Zu diesem Zeitpunkt hatte Moreno auch eine Software geschrieben und erfolgreich verkauft, die Namen aus Wörterbüchern zusammenfügt, um neue Namen für Firmen oder Produkte zu generieren.

Zahlen, bitte!

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Im Jahr 1971 stellte Intel den 1702 vor, ein EPROM (Erasable Programmable Read-Only Memory) genannter programmierbarer ROM-Chip, der gelöscht und wieder mit Daten versehen werden konnte. Mit den Möglichkeiten dieser neuartigen Technik beschäftigte sich Moreno intensiv: Seine erste Idee war eine Art elektronischer Siegelring: Nachempfunden der Nobilität, die so Jahrhunderte zuvor Urkunden mit einem Wachssiegel signierten.

Ein PROM-Siegelring, entwickelt von Roland Moreno.

(Bild: Roland Moreno)

Der Chip wurde auf einem Ring gelötet und die Beinchen zum "Besiegeln" in eine Fassung gedrückt. Dieses System, von Moreno Ring à Puce (Ring mit Chip) genannt, war ziemlich unpraktikabel, obwohl die erste Demonstration seines Verfahrens im Jahr 1976 erfolgreich war. So kam er auf die Idee, den Chip auf einer Karte zu befestigen, die in ein Lesegerät gesteckt wurde. Das Verfahren taufte er auf den Namen TMR nach Woody Allens Film "Take the Money and Run" (deutsch: "Woody, der Unglücksrabe").

Das gesamte Verfahren mit der Kommunikation von Karte und Lesegerät sicherte Moreno mit 43 weiteren Patenten ab, von denen "Système pour transférer et mémoriser des données de manière personnelle et confidentielle au moyen d'objets portatifs électroniques indépendants" vom 13. Mai 1975 das wichtigste war. Die "Anordnung zur Speicherung und Übertragung von vertraulichen Daten" (DE26212691A), beschreibt, wie Daten verschlüsselt werden und erst durch die Eingabe einer PIN ausgelesen und übertragen werden können.

In Zusammenarbeit mit der Firma Meccano entwickelte er ein Lesegerät für seine "Carte à Puce" und schließlich den Vorläufer eines Geldautomaten. Der Durchbruch seiner Chipkarte kam Anfang der 80er-Jahre, als man in Frankreich das Kleingeldproblem in Angriff nahm. Anfang 1983 stellte France Telecom im ganzen Land Kartentelefone aus und gab in einer ersten Auflage 250.000 Télécartes aus, die im Nu vergriffen waren.

Prototyp einer Moreno-Smartcard aus dem Jahr 1975. Zu sehen ist der zwei Kilobyte große PROM-Chip, soie die Leitungen, die zu einem Karten-Ende führen.

(Bild: CC BY-SA 4.0, Bruno Barral)

Es folgten Parkautomaten, die mit einer Geldkarte gefüttert werden konnten. Im Jahre 1992 folgten die französischen Banken und gaben eine Smartcard-Version ihrer bereits seit den 70ern verbreiteten Carte Bleu heraus. Auch sie wurden sehr erfolgreich, weil die sonst nötige PIN-Eingabe an den Autobahn-Mautstellen entfiel.

Über die Patente und seine Firma Innovatron nahm Roland Moreno bis zu seinem Tod im Jahre 2012 rund 150 Millionen Euro ein und konnte sich wieder seinen verspielten Erfindungen widmen. Nicht schlecht für einen Sohn jüdischer Einwanderer aus Ägypten, der zuletzt die französische Kultur leidenschaftlich verteidigte und unter dem Pseudonym Laure Dynateur (l'ordinateur = Computer) sogar ein Kochbuch veröffentlichte.

Einige seiner Kunst- und Spielwerke wie das Bachotron oder das Matapof-Kistchen zum Spielen von Kopf oder Zahl sind im Centre Pompidou ausgestellt. Von seinem Internet-Projekt Radio Deliro fehlt hingegen jede Spur.

Als höchste wissenschaftliche Auszeichnung wurde Roland Moreno zusammen mit Jürgen Dethloff mit dem Technologiepreis der Eduard-Rhein-Stiftung geehrt. Beide bekamen sie den Preis für die Entwicklung der Chipkartentechnologie. Denn auch in Deutschland wurde an Smartcards geforscht. Zusammen mit seinem Partner Helmut Gröttrup hatte Dethloff bereits am 6. Februar 1967 ein Patent auf einen nachahmungssicheren Identifizierungsschalter vorgelegt.

Ging Moreno von einem Siegelring mit Chip den Weg zur Smartcard, so starteten Dethloff und Gröttrup mit einer Art Schlüssel, wie die Zeichnung am Ende der Patentschrift zeigt. Sie landeten schließlich in ihrer Forschung in der Firma Giesecke+Devrient bei der Nutzung von EEPROMs auf einer Karte, skizzierten aber bereits die Nutzung drahtloser Technologien bei der Kommunikation zwischen Kartenleser und Karte.

(mawi)