Finnin soll neue wichtigste EU-Digitalpolitikerin werden

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat in Straßburg ihr Kabinett angekündigt. Mit den neuen Namen kommen auch neue Zuständigkeiten – und Überraschungen.

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Europaflagge mit Zahlen hinterlegt

(Bild: kb-photodesign/Shutterstock.com)

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Einen Namen dürfen sich digitalpolitisch interessierte EU-Bürger seit heute wohl merken: Henna Virkkunen. Die finnische Europaparlaments-Abgeordnete soll im zweiten Kabinett der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die wohl wichtigste Digitalpolitikerin werden. Offiziell zuständig wird sie für "Technologische Souveränität, Sicherheit und Demokratie", wenn das Europäische Parlament die EU-Kommission bestätigt. Die finnische Konservative soll dabei wesentliche Zuständigkeiten in der Digitalpolitik bekommen. Doch auch andere Mitglieder der EU-Kommission in spe haben in der Digitalpolitik wichtige Rollen.

Während die Vorstellung des geplanten Kabinetts durch von der Leyen am Vormittag in Straßburg nur wenig ins Detail ging, wurden am Mittag die "Missionsbriefe" von Ursula von der Leyen an die neuen Kommissare veröffentlicht.

Die Finnin Henna Virkkunen soll demnach unter anderem für den Digital Services Act (DSA), den Digital Markets Act (DMA), den EU Chips Act und die KI-Politik der neuen EU-Kommission zuständig sein. So soll Virkunnen etwa einen "EU Cloud and AI Development Act" voranbringen, der die Investitionen in Europa in diesen Bereich massiv steigern soll. Auch eine EU-weit einheitliche "Cloud-Politik" soll sie auf den Weg bringen, genauso wie einen langfristigen EU-Quanten-Chip-Plan. Zuständig wird Virkunnen demnach auch für Konnektivität – wo der vorzeitig zurückgetretene Thierry Breton bereits Vorarbeit für einen "Digital Networks Act" (DNA) geleistet hatte, der nun kommen soll. Vorantreiben soll sie zudem die Arbeit an der EU Digital Wallet, der grenzüberschreitend digitalen Ausweismöglichkeit für EU-Bürger. Mit diesem Portfoliozuschnitt dürfte Virkkunen auch die Generaldirektion Connect, in der ein Großteil der Themen administrativ umgesetzt wird, direkt unterstellt werden.

Als Nachfolger von Thierry Breton soll Stéphane Séjourné das Binnenmarktportfolio übernehmen, der seit Januar als Außenminister in Paris im Amt ist. Séjourné war von 2019 bis Anfang 2024 Abgeordneter im Europäischen Parlament für die liberale Renew-Fraktion und Mitglied im Rechtsausschuss sowie im Sonderkomitee für Künstliche Intelligenz. Er soll dabei als Vizekommissionspräsident ranghoch agieren. Aus Digitalsicht besonders relevant sind die Zuständigkeiten für die Richtlinie über das öffentliche Beschaffungswesen, also die Vorgaben, wie der Staat selbst einkauft. Zudem soll er sich um geistiges Eigentum kümmern und die Standardisierungsregulierung weiter vorantreiben.

In Handelsstreitigkeiten soll Maroš Šefčovič eine wesentliche Rolle spielen: Der Slowake ist ein erfahrener EU-Kommissar und seit vergangenem Jahr bereits Kommissionsvizepräsident. Er bekommt, wenn Ursula von der Leyens Plan aufgeht, unter anderem die Zuständigkeit für Handel und Zölle -- nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Streitigkeiten mit China und einer möglichen Rückkehr Donald Trumps in Weiße Haus eine relevante Kompetenz. Er soll zudem ein ausschließlich digitales Zollwesen mit den Mitgliedstaaten umsetzen und eine "neue Doktrin für wirtschaftliche Sicherheit" erarbeiten.

Auch der lettische EU-Kommissar Valdis Dombrovskis ist bereits kommissionserfahren. Er soll unter anderem schnelle Fortschritte beim digitalen Euro erzielen, die EU-Fördermittel aus dem "Next Generation EU"-Programm weiterentwickeln und ansonsten vor allem den Bürokratieabbau voranbringen: 25 Prozent weniger Bürokratie für große Unternehmen, 35 Prozent weniger für kleine und mittelständische Unternehmen, so die Zielvorgabe der Kommissionspräsidentin.

Ebenfalls relevant für die Digitalpolitik der neuen EU-Kommission wäre, wenn das Parlament ihn bestätigt, der neue EU-Innenkommissar Magnus Brunner. Der bisherige österreichische Finanzminister von der konservativen ÖVP soll sowohl EU-weite Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung erarbeiten als auch beim Dossier zur Bekämpfung der Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Kindern (CSAM) vorankommen. Zudem soll er Europol stärker mit Kompetenzen ausstatten.

Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) soll in den Zuständigkeitsbereich des irischen Kommissars Michael McGrath fallen. Der übernimmt das Justizressort, im EU-Sprech "Demokratie, Justiz und Rechtsstaatlichkeit" genannt. McGrath war bis Juni Finanzminister in der Republik Irland. In ihrem "Mission Letter" an ihn schreibt von der Leyen, dass er "sicherstellen werde, dass die Datenschutzgrundverordnung mit der digitalen Transformation Schritt halte und auf wirtschaftliche Bedürfnisse und die der Strafverfolgungsbehörden reagiere." Außerdem soll sich der Kommissar für "Vertrauenswürdige Datenflüsse mit internationalen Partnern" einsetzen. Auch soll er eine Strategie zur Nutzung digitaler Technologien "inklusive KI" für effizientere, resilientere und sicherere Zivil- und Strafgerichtsbarkeit entwickeln. Mit Strategie ist im EU-Bürokratensprech kein Gesetz gemeint.

Einen besonders schönen Titel erwartet Ekaterina Sachariewa. Die bulgarische stellvertretende Premierministerin soll "Kommissarin für Start-ups, Wissenschaft und Innovation" werden. Neben der Zuständigkeit für die finanzstarken Forschungsprogramme wie etwa Horizon Europe soll sie ausdrücklich einen Fokus auf die Bedürfnisse kleiner und aufstrebender Unternehmen legen, ein "EU-Innovationsgesetz" erarbeiten und eine "EU start-up and scale-up strategy" entwickeln. Zudem soll sie ein kritisches Auge auf die Forschungssicherheit werfen: Gerade bei kritischen Technologien solle sie Europas ökonomische Sicherheit im Blick behalten und Zusammenarbeit vor allem mit ähnlich ausgerichteten Partnern fördern. Das beträfe unter anderem Forschung mit Dual-Use-Zwecken, die also sowohl für zivile als auch militärische Nutzung relevant ist.

Bevor die neue EU-Kommission ins Amt kommt, müssen die Kommissionsanwärter noch eine Befragung im Europäischen Parlament überstehen. Kommissionspräsidentin von der Leyen muss dabei mit einiger Kritik an ihren Kandidaten rechnen -- würde das Parlament ihre Vorschläge ablehnen, müssten entweder die Nationalstaaten neue Kandidaten benennen oder die Kommissionspräsidentin die Zuständigkeiten neu verteilen. Aus dem Parlament heißt es, dass die Europaabgeordneten die Kandidaten zwar zügig, aber gründlich befragen wollen. Dabei geht es unter anderem um mögliche Interessenkonflikte oder die allgemeine Eignung für einen EU-Spitzenposten.

(mki)