EuroDIG-Teilnehmer bevorzugen Löschen statt Websperren

Auf dem "European Dialogue on Internet Governance" in Madrid wurde hitzig über Websperren für illegale Inhalte und die möglichen Auswirkungen auf die Informationsfreiheit diskutiert.

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Von
  • Monika Ermert

Auf dem "European Dialogue on Internet Governance" (EuroDIG) in Madrid kamen die Teilnehmer fast einhellig zu dem Urteil, dass Löschen im Kampf gegen illegale Inhalte im Web besser sei als Sperren. Ein Haupthindernis, den Grundsatz umzusetzen, sei aber eine umständliche und ineffiziente Bürokratie. Michael Truppe vom Österreichischen Kanzleramt sagte nach der teils hitzigen Debatte zu dem Thema: "Wie Europa hier vorgeht, ist noch unklar. Die internationale Zusammenarbeit beim Herunternehmen von entsprechenden Webseiten sollte in der Zukunft aber wohl verbessert werden."

Zuvor hatte der britische Kinderschutz-Experte John Carr Websperren als "zweitbeste Lösung" bezeichnet. Sie würden angewendet, weil kinderpornographische Seiten im Ausland oft Monate oder gar Jahre online blieben, nachdem die jeweiligen Polizeibehörden informiert worden seien. Niemand sei dafür, dass dabei unschuldige Seiten blockiert werden. Aber nach über 15 Jahren Arbeit für mehr Schutz von Minderjährigen im Netz sei er der Ansicht, dass nur Filtern und Blocken wirklich funktioniere.

Vertreter von Internet Service Providern und Nicht-Regierungsorganisationen warnten vor möglichen Schäden für die Meinungs- und Informationsfreiheit im Internet. Ein Beispiel lieferte eine Vertreterin der US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF). Ihre Webseiten seien in von der britischen Regierung subventionierten Rechnern für benachteiligte Familien als "böse" Hackerseiten klassifiziert worden. Meryem Marzouki vom Dachverband der europäischen Nutzerorganisationen European Digital Rights (EDRI) verwies auf die Sperrung einer dänischen Porno-Seite, die nicht illegal gewesen sei.

Der russische Journalist Andrei Soldatov, Herausgeber von (http://www.agentura.ru:Agentura.ru|_blank)$), einer Webseite über das Wirken der Geheimdienste, berichtete, die Klassifizierung bestimmter Gebiete als "Terrorregionen" und entsprechender Webseiten als "terroristisch" erschwere den Zugang zu Informationen. Service Provider würden ermuntert, bestimmte Websites in Eigeninitiative zu sperren. Oppositionswebseiten könne man leicht dadurch loswerden, dass im Forum nach den russischen Anti-Terrorgesetzen justiziable Inhalte abgelegt würden.

In der Türkei werden derzeit nach geltendem "Internetgesetz" rund 3700 Webseiten offiziell gesperrt, berichtete Avniye Tansug, Herausgeberin der türkischen Ausgabe von cyber-rights.org, einer Informationsplattform des türkischen Rechtswissenschaftlers Yaman Akdeniz. Vor allem Seiten, die sich mit dem Südosten der Türkei beschäftigten – in dem viele Kurden leben – und auch Seiten von Homosexuellen würden gesperrt. In dem von Akdeniz mit verfassten Bericht (PDF-Datei) der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OECD) wurde festgestellt, dass rund 200 gesperrte Seiten nicht von den Bestimmungen des Sperrgesetzes erfasst sind.

Einen Trend zur Verschiebung der Haftungsregeln in Richtung ISP konstatierten Michael Rotert vom eco-Verband und Chris Sherwood, Cheflobbyist von Yahoo in Brüssel. Rotert verwies auf Richtlinien in den Niederlanden, laut denen Parteien freie Hand hätten, über die "Erwünschtheit" von Inhalten im Netz zu entscheiden. Der Vorschlag der EU-Kommission, dass Provider und Behörden kooperieren sollten, geht seiner Meinung nach in die selbe Richtung. Sherwood wünschte sich, dass Rechteinhaber oder Kinderschutzorganisationen auch die Haftung für die Takedown-Aktionen übernehmen sollten. (anw)