Digitale Angriffe: Geheimdienste warnen Parlament vor "Hurrikan"

Die Anhörung der Geheimdienstchefs im Bundestag nutzen diese für ein Lagebild und die Forderung nach weiteren Kompetenzen. Der Blick richtet sich gen Osten.​

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Die Spitzenbeamten der deutschen Geheimdienste bei der Anhörung am Montag (v.l.n.r.): Martina Rosenberg (MAD), Thomas Haldenwang (BfV) und Bruno Kahl (BND).

(Bild: Screenshot Parlamentsfernsehen)

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Bei der jährlichen öffentlichen Anhörung im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages am Montag in Berlin haben die Chefs der deutschen Geheimdienste viel gewarnt. Weil die Bedrohungslage zunehmend digital geprägt ist, wünschen sich Bundesnachrichtendienst (BND), Verfassungsschutz (BfV) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) mehr entsprechende Kompetenzen.

Die Nachrichtendienstchefs zeichneten ein ernstes Lagebild: Sicherheitspolitisch seien es schwierige Zeiten, meint BND-Chef Bruno Kahl. Besonders große Sorge mache ihm Russland. "Der Kreml sieht die Bundesrepublik Deutschland als Gegner", sagte der BND-Präsident. "Ob wir wollen oder nicht, wir stehen in einer direkten Auseinandersetzung mit Russland."

Russische Geheimdienste würden als "Speerspitze im hybriden Kampf" mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln arbeiten, um die Handlungsfähigkeit des Westens einschränken – auch und gerade mit Cyberattacken. Putin werde auch in Zukunft "rote Linien des Westens" austesten, warnte der BND-Präsident, und die Konfrontation weiter eskalieren.

Die Kontrolle der Nachrichtendienste dürfe angesichts der Lage nicht zulasten der Arbeitsfähigkeit der Dienste gehen, ermahnte Kahl die parlamentarischen Kontrolleure und forderte "operative Beinfreiheit".

Die Ampel will den gesetzlichen Rahmen für die Nachrichtendienste ändern. Für die zweite Stufe der Novelle liegt bis heute kein Entwurf des Innenministeriums vor. Dabei soll offenbar die datenschutzrechtliche Aufsicht der Geheimdienste von der Bundesdatenschutzbeauftragten zum Unabhängigen Kontrollrat für die Nachrichtendienste verschoben werden.

Die großen Krisen würden mit voller Wucht auf die Sicherheitslage in Deutschland durchschlagen, betonte Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Der Sturm, vor dem die Dienste bislang gewarnt hätten, sei inzwischen ein "veritabler Hurrikan" geworden, der von Ost nach West ziehe. Die Aktivitäten russischer Nachrichtendienste würden zeigen: Deutschland sei im Fokus eines hybriden Krieges Russlands gegen die westlichen Demokratien.

"Russland nutzt dazu seinen kompletten Werkzeugkasten: angefangen mit der Einflussnahme auf innerdeutsche politische Diskussionen über Cyberangriffe gegen Kritische Infrastrukturen, bis hin zu Sabotage", berichtete Haldenwang. Die Koordination der vielen Beteiligten bei IT-Sicherheitsvorfällen funktioniere inzwischen besser: "Wir alle haben verstanden."

Bei Spionage und Sabotage würde Russland vermehrt auf Kriminelle als Proxies setzen – etwa bei Drohneneinsätzen wie dem über Brunsbüttel, berichtete Haldenwang. "Eine Drohne kann man mit Kameras bestücken, kann man aber auch mit Sprengstoff bestücken." Auch dem für die Bundeswehr zuständigen MAD bereitet der Drohneneinsatz im Ukraine-Krieg Sorgen.

Zu der Anhörung gehört seit ihrer Einführung dazu, dass die Dienstechefs auch gefragt werden, welche zusätzlichen weiteren Befugnisse sie bräuchten. Propaganda im Netz bliebe bei terroristischen Gruppierungen eine große Herausforderung, berichtete BfV-Präsident Haldenwang, insbesondere bei der Selbstradikalisierung. Die Krise in Nahost sei ein Brandbeschleuniger, die "teils verstörenden Bilder aus dem Libanon und dem Gazastreifen" würden für Propaganda genutzt.

Die Dienste müssten daher auf Internetplattformen sein dürfen, um sich radikalisierende Einzeltäter identifizieren zu können, forderte der BfV-Präsident. Sein Dienst wolle mehr Künstliche Intelligenz (KI) einsetzen und benötige dafür Soft- und Hardware. Bei zusätzlichen Mitteln sei es wichtig, das Vertrauen der Bevölkerung nicht zu gefährden. Deshalb müssten die Befugnisse kontrolliert werden, aber nicht so, dass die Prozesse dadurch nicht behindert würden.

Auch der MAD will seine Cyberfähigkeiten ausbauen. Wenn man "etwas über Leute lernen" wolle, sei das Internet das Mittel der Wahl, sagte Martina Rosenberg, Präsidentin des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD). Der BND nutzt bereits KI für seine Aufgaben, berichtete Präsident Bruno Kahl.

Für Desinformationskampagnen ausländischer Staaten in Deutschland ist der Verfassungsschutz zuständig. Gerade hier gebe es Herausforderungen, sagte Thomas Haldenwang. Als ein Beispiel nannte er die Doppelgänger-Kampagne auf Facebook. Es sei ein Problem, dass klassische Medien Teile der Bevölkerung nicht mehr erreichen – insbesondere Jugendliche und Kinder, die sich primär in ihren Social-Media-Blasen informieren.

Auch wenn die kommende Bundestagswahl sicherlich angegriffen werde: Der Wahlvorgang selbst sei durch die Papiermethode relativ sicher, betonte Haldenwang. Er glaube, dass die Wahl insgesamt vergleichsweise sicher ablaufen werde. Hacks gegen Parteien wie zuletzt gegen die CDU seien aber ernst zu nehmen. Bislang gebe es keine konkreten Hinweise, dass von Parteien erbeutete Daten missbraucht würden, sagte Haldenwang, doch für Entwarnung sei es zu früh.

Seit 2017 tagt das Parlamentarische Kontrollgremium einmal jährlich öffentlich mit den Nachrichtendienstchefs. Im Gremium sind derzeit keine Mitglieder der AfD, der Linken und des Bündnis Sahra Wagenknecht vertreten. Der Bundestag hatte keinen Vertreter der AfD in das Gremium gewählt, der ursprünglich gewählte Linken-Abgeordnete André Hahn wird seit dem Verlust des Fraktionsstatus der Linken durch die Abspaltung des BSW nicht mehr zu den Sitzungen des Gremiums eingeladen.

(vbr)