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50 Jahre Porsche 911: Eine Zeitreise

Elfer-Syndrom

Fahrberichte Florian Pillau

Sein Erfolg: Ein unantastbares Konzept in zeitgemäßer Umsetzung. Es macht den Porsche 911 so bekannt wie kaum einen anderen Sportwagen. Zu seinem 50sten waren wir unterwegs mit den wichtigsten Modellen

Stuttgart, 19. März 2013 – Selten hat sich Porsche-Chef Ernst Fuhrmann so getäuscht: In etwa zwei bis drei Jahren könne man die Fertigung des 911 einstellen, sagte er im Herbst 1977, der 928 war gerade frisch vorgestellt. Der designierte Nachfolger war auf dem Papier zwar in vielen Belangen besser als der Elfer, doch das interessierte die Fans nicht. Heute, 50 Jahre nach seiner Premiere, steht der 911 besser da denn je, während der 928 [1] schon lange zum alten Eisen gehört. Über 820.000 gebaute Fahrzeuge sprechen für sich. Mehr als zwei Drittel aller Porsche-Rennsiege gehen auf das Konto des 911. Und schließlich die Durchwahl der Konzernzentrale in Stuttgart: 0711/911-0. Grund genug, den Mythos Neun-Elf näher zu ergründen.

Im Selbstversuch

Aber wo soll man anfangen? Zahlreiche Bücher zum Thema Porsche 911 wurden schon geschrieben, es ist fast so wie mit den anderen 11er-Experten: (selbsternannte) Spezialisten zum Thema Fußball-Nationalmannschaft findet man ja auch an jeder Ecke. Da hilft nur der Selbstversuch, zunächst in einem frühen Targa von 1967, noch mit hinterem Stoffverdeck statt der späteren festen Scheibe. Die ungewöhnliche offene Version des 911 mit Überrollbügel entstand vor dem Hintergrund immer schärferer Sicherheitsbestimmungen in den USA. Seine aus heutiger Sicht fast bescheidenen 130 PS waren in Zeiten von 34-PS-Käfern noch eine Ansage. Nach dem Dreh des Zündschlüssels erklingt jenes typisch-dumpfe Laufgeräusch des Sechszylinder-Boxers, das fast jedes Kind kennt. Stehende Pedale und ein langer Schalthebel wecken Assoziationen zum Käfer, der Griff in den dürren Lenkradkranz fordert den engagierten Fahrer. Den Fahrspaß muss man sich aus heutiger Sicht regelrecht erarbeiten, aber gerade das hat einen besonderen Reiz.

Mythos auf Rädern

Um bei der Fußball-Analogie zu bleiben: Der Ur-911 ist gewissermaßen der WM-Sieg 1954 auf Rädern: Ein Mythos, teilweise überhöht, aber jedenfalls Gemeingut. Anfangs war der 911 dennoch kein Selbstläufer, wie man heute vielleicht vermuten könnte. Gegenüber dem Vorgängermodell 356 war der 911 zwar um einiges besser, aber noch teurer geworden: Für die 22.380 Mark, die unser Targa im Jahr 1967 kostete, gab es auch drei sehr ordentliche Opel Kadett. Zwischen 1964 und 1970 verkaufte Porsche nur rund 26.000 Elfer, obwohl es ihn als Coupé und Targa und in verschiedenen Leistungsstufen gab. Im Frühjahr 1965 reagierte Porsche und brachte den abgespeckten 912 mit nur vier Zylindern und 90 PS, der sich bis 1969 immerhin über 30.000-mal absetzen ließ.

Die Zeichen erkannt

In den 1970er-Jahren wird der 911 immer ausgereifter: 1974 ändern neue Stoßstangen die Optik, parallel wird der Turbo mit damals enormen 260 PS vorgestellt, dessen Mega-Heckflügel zum beliebten Accessoire vieler Elfer-Kunden wird. Dank Verzinkung mutiert der 911 in den nächsten Jahren zum Rostverächter. Trotzdem stand damals noch fest: "Der Elfer wird abgelöst!".

Erst Peter Schutz, der Nachfolger von Ernst Fuhrmann, erkennt die Zeichen und steuert um. Auf der IAA 1981 enthüllt er das 911 Cabrio mit den Worten "wir sind begeistert von den Möglichkeiten, die noch immer im 911-Konzept stecken". Der offene Elfer ging zwar erst 1983 in Serie, fand aber schon im ersten Jahr über 4000 Kunden.

Sangeskunst

Der 911 Carrera Cabrio, in dem wir die schwäbische Landschaft genießen, ist von 1985. Inzwischen sorgen 231 PS im Heck für die musikalische Untermalung und natürlich wirkt der Wagen deutlich ausgereifter als sein Bügel-Bruder von 1967. Doch beim Fahren bleibt sich der 911 treu: Im Stand muss kräftig gekurbelt werden, eine Servolenkung gibt es nicht. Etwas Eingewöhnung erfordert der Platzmangel um die immer noch stehende Pedalerie, doch nach kurzer Zeit werden die Gänge fehlerfrei mit dem langen Stock sortiert. Oft ist das aber gar nicht nötig, denn der elastische Dreiliter-Boxer erlaubt entspanntes Gleiten im vierten Gang bei 50 km/h. Sinn der Sache ist das freilich nicht immer, darauf weist schon der zentral platzierte Drehzahlmesser hin. Der Tacho dagegen glänzt nicht durch gute Ablesbarkeit. Bei den beiden kleinen Jungs, die uns vom Straßenrand freudig zuwinken bedanken wir uns artig, indem wir in den zweiten Gang runterschalten und den Boxer eine Arie jubeln lassen.

Halbzeitsause

Ein billiges Vergnügen ist Porsche fahren immer noch nicht: Die bis 1989 gebauten 911er, unter Fans als G-Modell bekannt, erfordern mittlerweile ein gut gefülltes Konto. Etwas günstiger geht es mit dem 1988 vorgestellten 964. Dahinter verbirgt sich die Nachfolgegeneration mit weitgehend klassischer Optik, aber moderner Technik wie Allradantrieb und "richtiger" Automatik. Der 964 markiert die Halbzeit in der bisherigen Elfer-Geschichte. 25 Jahre nach dem 911-Debüt wird die Legende deutlich in Sachen Komfort (endlich eine Servolenkung) und Sicherheit (erstmals ABS) verbessert, ohne die sportliche Note zu verwässern. Das spürt man beim Hineinsetzen: Der Schalthebel ist viel kürzer, zudem sind die Instrumente besser ablesbar. Auch ist der 964 laufruhiger, aber das mitunter tückische Verhalten bei schnellen Lastwechseln bleibt. Gewissermaßen als Krönung der luftgekühlten Elfer erscheint im Jahr 1993 die 993-Baureihe. Letztmalig gibt es die stehenden Pedale und ein großes Lenkrad, doch das Fahren im 408 PS starken 911 Turbo von 1995 ist ein wahrer Genuss: Sehr flott geht der aufgeladene Elfer um die Kurven, ohne den Piloten allzu sehr vom Geschehen abzukoppeln.

Verwässert?

1997 geht ein Aufschrei durch die Gemeinde der Porsche-Fans: Der intern 996 genannte Elfer hat nicht nur einen wassergekühlten Boxer im Heck, sondern auch eine ungewohnt rundliche Optik, die den Pfad des noch von F. A. Porsche entworfenen 911-Originaldesigns verlässt. Die Krönung sind schließlich die bald "Spiegelei" getauften Scheinwerfer. Was viele nicht wussten: Die Scheinwerfer sind das Resultat einer Gleichteile-Politik mit dem Boxster, da Porsche am finanziellen Abgrund stand, als beide Modelle entwickelt wurden.

Dennoch ist der 996 bis heute die günstigste Möglichkeit, zum eigenen 911 zu kommen. Ist er wirklich so ein fieses Teil? Probe aufs Exempel in einem Testwagen mit senfgelbem Interieur. Auffallend ist die Geräumigkeit, 19 Zentimeter mehr Länge machen es möglich. Neu ist aber auch die Vielzahl an Knöpfen im modernisierten Cockpit. Mit an Bord ist die "Tiptronic" genannte Fünfgang-Automatik, die oft als Stimmungskiller verschrien ist. Doch bei flotter Gangart macht sie ihren Job gar nicht so übel und hat die immerhin 300 PS gut im Griff. Auf der Piste macht die Mischung durchaus Spaß, zumal auch der Wasser-Elfer bei Bedarf mit dem Heck tänzelt.

Perfektioniert!

Erstaunliche acht Jahre, bis 2004, hält sich der 996 wacker und wird sogar zum bislang meistverkauften Elfer. Dann debütiert der 911 der Baureihe 997 [2]. Sie schlägt optisch eine Brücke zu den Modellen der Vergangenheit und beeindruckt mit enormer Agilität. Fast könnte man meinen, es gäbe nichts mehr zu verbessern am 911. Doch da ist man im Hause Porsche an der falschen Adresse: 2011 debütiert die siebte und bislang letzte Elfer-Generation mit dem Code 991. Auf der Rennstrecke zeigt der 991 als Carrera S mit 400 PS, was in ihm steckt. Unerhört neutral zieht er durch die Kurven, ein hoch angesiedelter Grenzbereich schafft enormes und berechtigtes Vertrauen in die Fähigkeiten dieses Wagens. Im 991 kann eigentlich jeder [3] ohne Angst vor einem unerwarteten Abflug über den Nürburgring jagen.

Erfolg ist ein unantastbares Konzept in zeitgemäßer Umsetzung

In den letzten fünf Jahrzehnten hat sich in Sachen 911 gehörig etwas getan [4], was man den Modellen auch ansieht. Im direkten Vergleich zeigt sich, wie sehr der Elfer zugelegt hat: 33 Zentimeter in der Länge und 20 Zentimeter in der Breite liegen zwischen 1963 und 2013. Doch auch darin scheint ein Teil des 911-Erfolgsgeheimnisses zu liegen: Immer den Bedürfnissen der Zeit angepasst zu sein, ohne das Konzept allzu sehr zu verfälschen. Wir sind deshalb schon gespannt auf die nächsten 50 Jahre!


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Ehemaliger-Porsche-Chefdesigner-Anatole-Lapide-tot-1568019.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Der-letzte-997-Porsche-911-Carrera-4-GTS-1426062.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Fat-bottomed-high-maintenance-Girls-1739771.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Buegel-fest-1824832.html