zurück zum Artikel

Seit 1. September 1957 gilt das Tempolimit in geschlossenen Ortschaften

50 Jahre Tempo 50

News ggo
50.jpg

Vorbei die Zeiten unbeschwerter Raserei von freien Bürgern in einem freien Staat: am 1. September 1957 trat das erste Tempolimit in Kraft: Innerhalb geschlossener Ortschaften durfte nicht schneller als mit 50 km/h gefahren werden

Vorbei die Zeiten unbeschwerter Raserei von freien Bürgern in einem freien Staat: am 1. September 1957 trat in der Bundesrepublik Deutschland das erste Tempolimit in Kraft: Innerhalb geschlossener Ortschaften durfte nicht schneller als mit 50 km/h gefahren werden.

Bis dahin gab es überhaupt keine Geschwindigkeitsbeschränkungen, weder für Pkw noch für Lkw und Motorräder. Die durften nach der Gründung der BRD tatsächlich so schnell fahren, wie sie konnten.

Die große Freiheit
Die große Freiheit war eine Reaktion auf die Tempobeschränkungen der Nationalsozialisten. Diese hatten zur Schonung der Benzinvorräte Tempo 40 für die Stadt und Tempo 80 außerorts sowie Tempo 60 für Lastwagen und Omnibusse angeordnet. In den 50er-Jahren startete das deutsche Wirtschaftswunder: Das Land motorisierte sich, hauptsächlich mit Kleinrollern und Kleinwagen, ganz ohne Knautschzonen. 1955 wurden 12.000 Verkehrstote gemeldet (2006: 5094), 1956 erschien eine Statistik, nach der an jedem Tag 18 Menschen im Stadtverkehr starben.

Mit 50 zum Zusammenbruch?
Nach dem Vorbild von Großbritannien (30 Meilen = 48 Km/H) und Österreich (50 km/h) regte der CDU-Politiker Oskar Rümmele eine Begrenzung auf Tempo 50 in der Stadt, Tempo 80 auf Landstraßen und Tempo 90 auf Autobahnen an. Rümmele hatte sich als Vorsitzender des Verkehrsausschusses mit der europäischen Situation beschäftigt und konnte darauf verweisen, dass Großbritannien trotz einer viel höheren Verkehrsdichte 1955 nur 5000 Verkehrstote zu beklagen hatte. 1956 wurde sein Vorschlag heftig diskutiert. Laut protestierte etwa der ADAC, der den innerstädtischen Verkehr zusammenbrechen sah und den Ruin der deutschen Automobilindustrie prophezeite. Rümmele selbst wurde als hartnäckiger Schwarzwälder Holzhacker diffamiert, als Landei, das Angst vor dem Tempo der Großstädte hatte.

50 Jahre Tempo 50

Am Ende geriet Rümmeles Gesetzesvorschlag unter die Räder der Parteipolitik und musste nach der ersten Abstimmung im Dezember 1956 in den Vermittlungsausschuss. Dort blieb von den drei Geschwindigkeitsbegrenzungen nur das Tempo 50 innerhalb geschlossener Ortschaften übrig. Im Juli passierte die Gesetzesvorlage den Ausschuss und sollte zur großen Überraschung der Verkehrsexperten schon zum 1. September umgesetzt werden. Man hatte nicht einmal Verkehrsschilder für das Ende einer geschlossenen Ortschaft entworfen und behalf sich damit, die bekannten gelben Ortsschilder einfach rot durchzustreichen. Dass die Geschwindigkeitsbegrenzung sinnvoll war, zeigte sich schon wenige Wochen nach Einführung der Vorschrift: in Großstädten wie Köln und Stuttgart halbierte sich die Zahl der Verkehrstoten.

30, 50, 100, 130
Die aufgebrachte Diskussion wiederholte sich 1972, als das Tempo 100 für Landstraßen eingeführt wurde. Der ADAC und eine eigens gegründete Auto-Partei machten Front mit dem Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“. Etwas anders sah es bei der Einführung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen im Jahr 1974 aus, Hier bestimmte nicht die Diskussion um Tote und Verletzte, sondern die Ölkrise und die Erfahrung der autofreien Sonntage die Debatte. Als vorläufig letzte Geschwindigkeitsmarke entstand der verkehrsberuhigte Bereich, in Österreich Wohnstraße, in der Schweiz Begegnungszone genannt. Hier darf man nur im Schritttempo (Schweiz: 20 km/h) fahren, aber das ist nicht alles: In den auch Spielstraßen genannten Zonen sind alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt und dürfen sich nicht behindern.

Doch damit nicht genug: In Bohmte, wo die niedersächsische Tiefebene beginnt, ist ein neues Verkehrszeichen aufgetaucht: Shared Space, eine Erfindung des niederländischen Verkehrsexperten Hans Monderman [1]. Sie soll dafür sorgen, dass die Zahl der Verletzten und Verkehrstoten im innerstädtischen Bereich noch weiter sinken kann. Auch hier ist wieder einmal Großbritannien das Vorbild: im London wurde die Kensington High Street zur Shared Space, worauf die Unfallzahlen um 60 Prozent fielen.

50 Jahre Tempo 50

Verbote verboten
Shared Space ist mehr als eine verkehrsberuhigte Zone auf englisch geschrieben, weil das Konzept nicht mit Verboten und Vorschriften arbeitet. Ganz im Gegenteil: im Idealfall werden alle Verbotszeichen, Verkehrsschilder, Ampeln und Straßenmarkierungen wie Überwege und Radwege entfernt, und durch das Shared Space-Zeichen eingangs des gemeinsamen, allen Menschen gehörenden Raumes ersetzt. Er soll nach dem Willen der Verkehrsplaner selbstorganisierend sein und nur eine Regel kennen, die aber für alle absolut gilt: „rechts vor links“. Autofahrern gehört nicht mehr die Straße, aber sie sind auch nicht gänzlich ausgeperrt wie in jenen Fußgängerzonen der 60er Jahre, die sich nachts in eine Einöde verwandeln.

Ob das Konzept funktioniert und die nächste einschneidende Beruhigungsmaßnahme nach Tempo 50 sein kann, wird sich noch zeigen müssen. In Bohmte steht das einzige Hinweisschild noch etwas abseits und findet überhaupt keine Beachtung. Die eigentlichen Umbauarbeiten haben noch nicht begonnen. Es gibt noch Bürgersteige und jede Menge Schilder. Die Dorfstraße ist zwar die Lebensader von Bohmte, einer Schlafstadt im Norden von Osnabrück. Aber sie wird trotz Durchfahrverbot für alles über 7,5 Tonnen Gesamtgewicht auch von großen Holzlastern benutzt, die ins Wiehengebirge und den Teutoburger Wald fahren. Die Holzhacker sind hartnäckige Ignoranten, ganz anders als der Schwarzwälder CDU-Mann, der Tempo 50 in Deutschland durchsetzte. (Detlef Borchers)


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-461437

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.taz.de/index.php?id=archivseite&dig=2006/05/30/a0331