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Opel Karl im Test: Warum der Karl nicht Kurt heißt und die Autos nicht besser werden

Übereifersucht

Opel Florian Pillau
Opel

Mit dem Karl stellt Opel einen Wettbewerber ins Feld der Kleinstwagen. Da dieser Bereich bald stark wachsen soll, will sich Opel hier keine Fehler erlauben und wirkt dabei manchmal etwas übereifrig. Ein gutes Angebot ist der Karl gleichwohl - solange man ihn nicht mit einem alten Auto vergleicht

München, 2. Oktober 2015 – Wenn er sich mal wieder in seiner hochmotivierten Art, Gas anzunehmen vor lauter Übereifer nach dem Hochschalten verschluckt oder zielsicher alle stadttypischen Fahrbahnmacken findet, als wäre sein Fahrwerk für Nordschleifenrekorde gebaut statt für die City, möchte man dem Karl zurufen: Eifersucht auf den schicken Adam oder den verjüngten Senior Corsa hast Du doch gar nicht nötig! Streberhaft ins Direkte übersetzt wurde jede Fahrereingabe und jede Rückmeldung, als fürchteten die Konstrukteure, die Leistung würde sich sonst nach zu wenig anfühlen. Das tut sie doch früh genug – etwa auf der Autobahn. Aber fürs Schnellfahren kaufen die Leute eh ganz andere Autos.

Ein Opel Corsa B 1.0 12V beweist, dass sich ein verblüffend zwillingshaftes Auto von 1997 mit nur 54 PS, aber unaufgeregter abgestimmt, deutlich erwachsener anfühlen kann. Nur etwa zehn Zentimeter länger stimmen bei ihm Gewicht, Hubraum und Zylinderzahl mit denen des Karl überein. Damals waren moderne Dreizylinder für den deutschen Automobilbau etwas unerhört Neues und der österreichische Motorenpapst Fritz Indra hat die Konstruktionsaufgabe bravourös gelöst, indem er Entdrosselungsstrategien aus dem Rennmotorenbau konsequent zur Effizienzsteigerung einsetzte. Verglichen mit den gewiss nicht schlechten japanischen Dreizylindern in Daihatsu Cuore oder Suzuki Swift, die bereits in den frühen Achtzigern hier angeboten wurden, war der Motor ein, wenn auch kleiner, Fortschritt.

Kleiner Fortschritt

Als nun auch die europäischen Hersteller verstanden hatten, dass man kleinen Hubraum besser auf drei Zylinder verteilt, war der Erfolg sofort spürbar. Opel lieferte den Beweis weiterhin aus in Form des vierzylindrigen 1.2 8V, der trotz lähmender 45 PS keine günstigeren Verbräuche schaffte. Zur höheren Leistung lieferte der Dreizylinder spürbar besseren Durchzug aus niedriger Drehzahl (82 Nm ab 2800/min, 54 PS bei 5600/min ohne variable Steuerzeiten). Bei den Kunden hat es mit dem Verständnis übrigens noch etwas länger gedauert als bei den Herstellern: Symmetriegestählte Väter („Viertakter? Vierzylinder? Hauptsache vier!“) kauften ihren Töchtern weiterhin gern den veralteten 1,2-Liter-Motor, denn: Warum einen Dreizylinder, wenn man fürs gleiche Geld einen richtigen Motor bekam?! Und dann gab es im B-Corsa ja auch noch 1,4- und 1,6-Liter große Boliden und 1,5- und 1,7 Liter messende Diesel. Aber das sind andere Geschichten, die der aktuelle Corsa eine Klasse höher, nun übersetzt in Downsizingaggregate, weitererzählen darf.

Der kleine Karl bietet aus guten Gründen und wegen der Spreizung der Modellpalette im unteren Bereich in Karl, Adam und Corsa nur noch den Einliter-Ottomotor [1] in seiner Grundversion ohne Turbolader mit 75 PS bei 6500/min und 95 Nm bei 4500/min. Während bereits ein herkömmlicher Dreizylinder dank vergrößerten Zündabstands mit längeren Ventilüberschneidungen elastischer und effizienter arbeitet, kann diesen Vorteil ein Motor mit variablen Steuerzeiten und Gemischbildung im Zylinder erst so richtig ausreizen. Den gesteigerten Wirkungsgrad ermöglichen hier hohe Spülraten durch zeitweise gleichzeitig geöffnete Ein- und Auslassventile. Nutzbar wird dieser Effekt aber erst, wenn dadurch nicht bereits im Saugrohr gebildetes Gemisch durch den Auspuff verschwinden kann. Das verhindert die Direkteinspritzung, indem sie das Gemisch erst bei geschlossenen Ventilen im Zylinder bildet.

Herumkullern auf der Drehmomentwoge

Wie sich das anfühlt ist, wie oben angedeutet, eine Frage der Auslegung. Doch im Alltag zeigt sich – wenig überraschend – das modernere Konzept nur wenig im Vorteil. Im Stadverkehr kullert man für gewöhnlich mit Drehzahlen um die 3000/min herum, was beim Drehmoment zu Gleichstand führt, weil der Karl zwar eine höhere Kraft aufbieten kann, die aber erst bei 4500/min anliegt, während der Corsa 1.0 sein Maximum bereits um die 2800/min versammelt. Es ist darob umso erstaunlicher, wie früh der Karl den Fahrer um einen höheren Gang bittet: bei verhaltener Beschleunigung bereits ab etwa 1300/min. Das Gefühl meldet nach einer ausgiebigen Runde Stadtverkehr sonst keinen weiteren Unterschied. Ähnlich verhält es sich bei zielgruppenüblicher Benutzung auf der Landstraße. Die höhere Leistung kann der Karl eigentlich erst auf der Autobahn ausspielen, wo er 170 km/h erreicht, während dem 1.0 12V schon bei 150 km/h die Puste ausgeht. Aber auch dort nur theoretisch, denn wer brennt mit solchen Autos schneller als Richtgeschwindigkeit, gleichbedeutend mit Vollgas, über die Bahn?

Gefühlt ist man mit Karls künstlich dynamisierender Auslegung auf der Landstraße schneller unterwegs, weil das Fahrwerk aus einer hinteren Torsionslenkerachse und vorderen Querlenkern mit Feder-Dämpferbein recht straff ist. Komfort können die Kleinstwagen-Konkurrenten VW Up (Seat Mii, Skoda Citigo) oder Citroën C1 (Peugeot 108, Toyota Aygo) besser. Leider ist auch viel mehr Leben in Karls leichtgängiger Lenkung, jedenfalls mit den modischen, sinnlos breiten Niederquerschnittsreifen [2] in der Dimension 195/45 R 16. Die Serienbereifung in 165/65 R 14 dürfte spürbare Vorteile beim Handling und im Abrollkomfort, sicher auch bei Lärmentwicklung und Verbrauch bieten. Preislich sowieso.

In Laufkultur und Lärmentwicklung nehmen sich die beiden Generationen wenig, im Vorteil ist der Karl unterhalb 1500/min wegen der Ausgleichswelle. Der wesentliche Unterschied erscheint erst auf der Rechnung: Bei fast gleichen genutzten Fahrleistungen kostete uns der Karl unter den gleichen Bedingungen einen halben Liter weniger Benzin auf 100 Kilometer.

Die Gesundheit ist endlich

Auf welche Art man nachhaltig fahren möchte, muss man mit sich selbst ausmachen. Denn einerseits sind zwar die fossilen Energiequellen und die Erdatmosphäre endlich, was für den sparsameren Motor des Karl spräche. Die Gesundheit der Mitmenschen ist es aber auch, was wiederum ein Argument für den etwas weniger sparsamen Saugrohreinspritzer des alten Corsa wäre. Der Direkteinspritzer im Karl verbreitet ohne Partikelfilter gesundheitsschädlichen, kohlenwasserstoffbeladenen Feinststaub (nicht Feinstaub mit nur einem „st“, der vergleichsweise harmlos und auch in Form von Reifengummi, Rollsplittabrieb oder vom Acker unterwegs ist). Ändern wird sich das erst durch die Abgasnorm Euro 6c ab 2017, die Partikelfilter wohl auch für die meisten direkteinspritzenden Ottomotoren erzwingen wird.

Ins Bild des übereifrigen Fahrdynamik(vortäusch)ers passt das Interieur: Es ist das Versprechen auf Gediegenheitsebene – auf ein größeres Auto. Macht aber nichts. Wichtiger ist die Funktion, und auch hier kann man wenig meckern. Der Wagen bietet für normal Gewachsene genügend Raum, selbst bei besetzter Rückbank. Schalter und Bedienelemente liegen gut zur Hand, das recht kleine Lenkrad ist griffig, auch, wenn es sich nur in der Höhe verstellen lässt. Was mir, der ich gern in sportlicher Haltung (also eher steil gestellter Lehne) sitze, gar nicht gefällt, ist der Winkel, in den die Kopfstütze dann meinen Hals zwingt.

Weniger individuell, vielmehr ganz fundamental kritisiert gehört die zu kleine Heck- in Verbindung mit der zu schmalen hinteren Türscheibe. Hinter diese Ecke passt aus dem Blickwinkel des Fahrers ein ganzer Radfahrer – blöd beim beim Abbiegen. Wie es richtig geht – nein, einmal ging – zeigt wieder der alte Corsa mit seinem bis nach unten reichenden Seitenfenster hinter der C-Säule und einer breiten Heckscheibe. Der Karl ist nur ein weniger arges Beispiel für die großen Rückschritte bei der Übersicht zugunsten schnittiger Seitenlinien. Mit welchem Recht darf Mode (noch dazu eine zweifelhaft prätentiöse) vor Sicherheit gehen? Davon abgesehen ist der Überblick aus dem Karl so gut, dass eine Einparkhilfe überflüssig erscheint.

Beim Nutzwert wird der B-Corsa-gestählte Schreiber wieder nachdenklich: Der Alt-Opel bietet mit vollwertigem Reserverad 260 Liter Kofferraum und dank neigungsverstellbaren Rückbanklehnen eine hohe Variabilität, während der Karl mit Reifen-Reparatur-Set nur 206 Liter fasst, fixe Lehnen hat und dazu noch eine hohe Ladekante. Davon ist höchstens der Raumnachteil durch die zehn Zentimeter kürzere Karosserie zu entschuldigen und es taucht die Frage auf, warum der 3675 Millimeter kurze Wagen Karl heißt und nicht Kurt. Da nützt dem Karl seine ganze nervöse Selbstdarstellung nur wenig.

Keine frugale Sparkiste

Vielleicht ist es ja unfair, aktuelle Autos mit alten zu vergleichen. Aber es schärft in diesem Fall doch den Blick dafür, dass es sich sogar bei Kleinstwagen nicht mehr um frugale Sparkisten handelt und wie viel inzwischen an der Entwicklung modegetrieben ist. Dazu gehört auch das Bediensystem IntelliLink mit Bildschirmbedienung, für das wir ein weiteres Kapitel [3] folgen lassen.

Der Karl ist ein Produkt, das unter Seinesgleichen weit vorn liegt. Erwachsener als bei den meisten wirken Karosserie und Interieur, der Motor ist gemessen am Segment sparsam und leise, der Fahreindruck ist leichtfüßig zulasten des Komforts und der Nutzwert hebt sich nicht eindeutig ab. Dazu bietet der Karl noch eine weite Spreizung bei der Ausstattung zwischen karg und opulent. Das gilt entsprechend für die Preise. Damit ist der Karl ein Auto, das zwar vom Partner Chevrolet in Korea für eine weltweite Vermarktung gebaut wird, aber von Opel Deutschland ziemlich gut für die Befindlichkeit der hiesigen Kunden abgestimmt wurde. Das sollte zu seinem Erfolg ausreichen. Eifersucht ist jedenfalls unangebracht.


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https://www.heise.de/-2835954

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Opels-Sparbeitrag-1931310.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Der-gedrehte-Latsch-1885968.html
[3] http://www.techstage.de/news/Was-ist-besser-Android-Auto-vs-Apple-CarPlay-2845103.html