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Hat auch der Golf mit E-Motor das Zeug zu einem Massenmodell?

Der e-Golf unter der Lupe

Autos Christoph M. Schwarzer
Der VW e-Golf geht an den Start. Immer mit dabei: LED-Scheinwerfer

Nach langem Zögern gibt es nun eine serienmäßigen Golf mit Elektroantrieb. Volkswagen bleibt seiner Linie treu und hält sich vorwiegend an bewährte Lösungen. Hat auch dieser Golf das Zeug zu einem Massenmodell? Wir haben ihn uns im Detail angesehen

Berlin, 13. März 2014 – Haube auf! Ein Blick genügt: „Ah, Sie haben einen e-Golf mit Wärmepumpe als Testwagen“. Der Entwicklungsingenieur von Volkswagen macht damit den Spekulationen ein Ende: Was beim Nissan Leaf der zweiten Generation serienmäßig ist, wird beim batterieelektrischen Golf analog zum BMW i3 gegen Aufpreis angeboten. Wahrscheinlich ab Sommer. Noch ist, Stand heute, im Konfigurator nichts davon zu finden.

Das Ziel: Strom sparen. Der Ehrgeiz des Volkswagen-Teams, das mit kaum unterdrücktem Stolz zum Auftakt der so genannten „electrified“-Wochen detailliert Auskunft über die eigene Arbeit gab, war es, das effizienteste Fahrzeug seiner Klasse zu bauen. Die Wärmepumpe arbeitet nach dem gleichen Prinzip wie in einem Haus, also vereinfacht formuliert als umgekehrter Kühlschrank. Bei optimalen äußeren Bedingungen von 16 Grad und Sonnenschein hätten sowohl Heizung als auch Kühlung ohnehin wenig Arbeit gehabt. Die Ausfahrt durch Berlin ergab darum trotz einiger Ampelspurts mit Vollstrom – Platz da, jetzt komm‘ ich – einen niedrigen Verbrauchswert von 12,4 kWh auf 100 Kilometer (gesetzlicher Messzyklus: 12,7 kWh / 100 km).

Physikalische Fahrwiderstände senken

In der Betrachtung der Fahrwiderstände spielt die Aerodynamik bei der innerstädtischen Tour keine Rolle. Der Vollständigkeit halber: Der e-Golf ist, anders als die Blue-Motion-Varianten, nicht zur Reduzierung der Stirnfläche tiefergelegt. Das Schrappen der vorderen Spoilerlippe, wie es von den Sparversionen bekannt ist, bleibt darum aus. Als kleiner Ausgleich sind die Felgen weit gehend geschlossen und flächig gestaltet. Wichtiger als der Luftwiderstand sind beim ständigen Anfahren, Beschleunigen und Bremsen der Rollwiderstand, die Rekuperation und die Kriechfunktion.

Für einen niedrigen Rollwiderstand hat der e-Golf serienmäßig Leichtlaufreifen aufgezogen. Wer das Fahrgefühl in einem Basis-Golf mit 63 kW (85 PS)-TSI kennt, wird sich über den eingeschränkten Komfort auf Querfugen und über Schlaglöcher wundern. Außerdem leidet die Seitenführung, und die Pneus fangen in engen Kurven und bei starker Beschleunigung auf unebener Fahrbahn früh an zu quietschen – wer diesen Preis nicht bezahlen will, muss sich Sportgummis auf seinen e-Golf ziehen und etwas Reichweite liegen lassen. Ein Grundübel müssen die Fahrer trotzdem hinnehmen: Die Batterie verursacht zwar einen niedrigen Schwerpunkt, aber das Übergewicht (1585 Kilogramm) nagt an der Dynamik. Das kann der BMW i3 [1] erheblich besser.

Das Wort Effizienz zieht sich als roter Faden durch die Gespräche mit den Entwicklungs-Ingenieuren. Das nächste Beispiel dafür ist die Rekuperation. Sie ist dreifach verstellbar, was wie ein letzter später Tribut an alle wirkt, die eigentlich ein Schaltgetriebe wollen. Ein bisschen was zum Rumfingern. Aber es geht nicht ums Spielen: Auf freier Strecke ist es sinnvoller, eine geringe Bremswirkung über den Generator zu erzeugen, also so weit wie möglich in Richtung Segeln zu gehen, während im Stadtverkehr eine größere Rekuperationsleistung hilft, mit dem Strom zu geizen.

Leider konnte sich Volkswagen nicht zu einer ähnlichen kräftigen Rekuperation wie BMW beim i3 und Tesla beim Model S durchringen. Selbst in Stufe 3 muss immer wieder das Bremspedal betätigt werden. Das gilt auch in der eigentlich für Bergabfahrten gedachten noch stärkeren Stufe B, die durch einen weiteren Zug am Wahlhebel aktiviert wird. Dabei zeigt das so genannte Powermeter an, bis wohin noch in die Batterie gebremst wird und wo die Bremsscheiben anfangen, Bewegungsenergie in Wärme zu vernichten. Der Übergang vom elektrischen ins mechanische Bremsen ist perfekt verschliffen und nicht spürbar.

Kompromiss bei der Kriechfunktion

Irritierend ist dagegen die Kriechfunktion im e-Golf. Beim ersten Anfahren nach dem Start ist sie vorhanden, danach nicht mehr. So ist es auch beim e-Up. US-amerikanische Kunden werden Mühe haben, diese Auslegung zu akzeptieren. Für uns Deutsche wäre es möglicherweise besser zu verstehen, wenn grundsätzlich nie oder eben immer eine Kriechfunktion da wäre. Und vielleicht ist ein manuelles An- und Abschalten wie beim Tesla Model S [2] als Verbesserung vorstellbar. Aus energetischer Sicht ist es günstiger, ohne das automatische Anfahren auszukommen. Für die mutmaßlich bald vorhandene Erweiterung der automatischen Distanzregelung ACC um eine Staufunktion wie in der Mercedes S-Klasse wiederum geht es nicht ohne Kriechfunktion. Ein Zielkonflikt, der mit der momentanen teils-teils-Regelung unbefriedigend gelöst ist.

Zur Batterie: Der elektrochemische Speicher hat eine Nennkapazität von 24,2 kWh. 264 Zellen von Panasonic verteilen sich auf 27 Module, die im Werk Braunschweig zum 318 Kilogramm schweren Batteriesystem zusammengesetzt werden. Diese Lösung, ausgereifte Großserienzellen zu günstigen Kursen zu beziehen, um dann das eigene Know-how im System einzubringen, hat sich seit dem Tesla Roadster durchgesetzt. Die Batterie wird nicht durch Luft oder Wasser gekühlt; Volkswagen gibt trotzdem eine Garantie von 160.000 Kilometern über acht Jahre, wobei die offizielle Verschleißgrenze bei 70 Prozent der Ausgangskapazität liegt.

Alles. Wird. Besser.

Im Hintergrundgespräch lässt das Volkswagen-Team dann diverse gute Nachrichten durchblicken. So ist man sich inzwischen sicher, dass das Schnellladen einen weitaus geringeren Einfluss auf die Dauerhaltbarkeit hat als bisher angenommen. Kein Thema mehr, heißt es unisono. Der Aufpreis für die CCS-Buchse beträgt 590 Euro und ist faktisch Pflicht. Noch sind die Säulen rar, aber es ist absehbar, dass sich diese Situation schnell ändern wird. Die deutschen Hersteller werden ihren Einfluss im Heimatland in Kürze geltend machen.

Für die Zukunft werden wie gehabt größere Speicherkapazitäten bei höherer Energiedichte und fallenden Preisen erwartet. Wann genau und wie – ja, das wüssten alle gerne, und jede konkrete Antwort ist Kaffeesatzleserei. Klar ist, dass sich bis 2020 auf Basis der Lithium-Zellchemie viel tun wird und die Käufer heutiger Elektroautos generell Gefahr laufen, ein in wenigen Jahren überholtes Produkt zu erhalten. Abhilfe könnten die Autohersteller selbst schaffen: Irgendwann sind die Akkus verschlissen, und der Ersatz sollte dem aktuellen Stand entsprechen. Update erwünscht.

Eine positive Perspektive für den Preis entsteht durch die Fertigungsstrategie. Die Volkswagen-Leute sprechen nicht aus, was sie meinen: Es gibt bei den Kosten Luft nach unten. Stoßstange an Stoßstange läuft der e-Golf mit seinen normalen Geschwistern in Wolfsburg vom Band. So sieht sie aus, die VW-Strategie: Wenn die Nachfrage steigt, kann jederzeit reagiert werden. Bleiben die Käufe aus, ist das Risiko geringer als bei BMW.

Innerhalb der stromernden Fangemeinde wird der e-Golf sicher seine Freunde finden. Auf die ganze Welt betrachtet, ist der Anteil der Autos mit Ladestecker weiter minimal. Aber der e-Golf ist mit seinen klassischen Volkswagen-Tugenden definitiv ein sehr gutes Auto geworden. Hop oder top: Willst Du konventionell elektrisch fahren, greifst Du zum e-Golf, willst Du anders sein, nimmst Du den BMW i3. Ein Achtungserfolg ist dem e-Golf garantiert. Zumal es an direkten Wettbewerbern mangelt – Nissan Leaf [3], BMW i3 und Ford Focus sind die einzigen in dieser Klasse. Fehlanzeige bei PSA und Renault, nichts bei Fiat-Chrysler, Hyundai, Honda oder Mazda, kein batterieelektrischer Toyota oder Opel, die machen stattdessen Plug-In-Hybride.

Enttäuschender GTE

Apropos: Dem ebenfalls auf dem Tempelhofer Flugfeld bereit stehenden Prototypen des Plug-In-Hybriden GTE ist der Erfolg keineswegs sicher. Wegen des Vorserienstatus darf er anders als sein vollelektrischer Bruder nur kurz außerhalb des Geländes gefahren werden. Als Ausgleich wurde ein Handlingparcours vor den Hallen aufgebaut, über die Berlin zu Zeiten der Luftbrücke versorgt wurde.

Wie bei allen Stecker-Hybriden gilt auch für den GTE [4]: Er vereint nicht nur das Beste, sondern auch das Schlechteste aus zwei Welten. Reichweite hin und Beschleunigung her, nach der Tour im e-Golf wirkt es obszön laut, vibrierend und vor allem gestrig, wenn der Verbrennungsmotor einsetzt. Und im reinen Strombetrieb nerven die spürbaren Schaltrucke des Doppelkupplungsgetriebes. Der GTE ist noch schwerer als der e-Golf, und das Fach unterhalb des Kofferraums wird dem Platzbedarf der Batterie geopfert – zwischen den Pylonen wirkt er darum trotz breiterer Reifen zu hecklastig und im Vergleich zum GTI träge.

Es darf munter spekuliert werden, ob diejenigen, die elektrisch fahren wollen, nicht lieber zur Schlichtheit und Funktionalität des e-Golf als Vertreter der reinen Lehre tendieren. Die wohlhabenden Käufer haben einen Zweitwagen für die Autobahnfahrt in der Garage. Und den nicht ganz so Reichen stellt Volkswagen für 30 Tage im Jahr ein kostenfreies Fahrzeug nach Wahl zur Verfügung.


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https://www.heise.de/-2141325

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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Ein-Fahrbericht-aus-dem-BMW-i3-mit-Range-Extender-2105699.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Der-Stromschnellste-2063319.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Nissan-Leaf-im-Test-Der-mit-dem-e-Golf-tanzt-2093937.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Das-fuenfte-Element-2120480.html