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Rahmenbedingung

Der neue Suzuki Jimny: Kleinarbeit am Bewährten

News Florian Pillau
Suzuki Jimny

Mit der Neuauflage des Jimny hat uns Suzuki nach nicht weniger als 20 Jahren wirklich überrascht. Wer hätte gedacht, dass in Zeiten ausufernder Vorschriften solche Autos außerhalb der dritten Welt überhaupt noch zugelassen werden können

Mit der Neuauflage des Jimny hat uns Suzuki nach nicht weniger als 20 Jahren wirklich überrascht. Wer hätte gedacht, dass in Zeiten ausufernder Vorschriften solche Autos außerhalb der dritten Welt überhaupt noch zugelassen werden können. Das hatten uns jedenfalls andere jahrelang einzureden versucht.

Wenn mal wieder ein Geländewagen alten Schlages eingestellt wurde, hieß es oft entschuldigend, das Auto sei gestiegenen Anforderungen an den Fußgängerschutz oder anderen strenger gewordenen Vorschriften nicht mehr anzupassen gewesen. Zuletzt zu lesen, als uns Land Rover den Defender [1]nahm oder nachdem Toyota keine Heavy-Duty Landcruiser der J7-Baureihe [2] mehr nach Europa brachte. Solche Argumente sind nicht völlig falsch, aber auch nicht ganz richtig. Es hätte vielleicht nur etwas korrekter heißen müssen, dass es dem Hersteller den Aufwand nicht mehr wert gewesen ist, die Vorschriften zu erfüllen. Das gibt man halt nur nicht so gern zu.

Es ist aber auch kein Wunder bei den schrumpfenden europäischen Nischen. Immer weniger Kunden benötigten einen Geländewagen, immer mehr fragten sich, ob sie nicht auch komfortabler, fahrdynamischer und sparsamer hoch sitzen können. Et voilà – hier haben Sie das seit den späten 90ern neu entstandene und bis heute boomende SUV-Segment, in dem die Autos immer erfolgreicher werden, je weniger sie noch Geländefahrzeug sind.

Mittlerweile hat ein Sportwagen aus den 60ern [3] die doppelte Bodenfreiheit, mit Allradantrieb kaufen solche Autos eh nur noch Yacht- und Pferdebesitzer. Wenn überhaupt noch einer angeboten wird [4]. Mit SUV im Gelände arbeiten? Vergessen Sie‘s. Dieses Narrativ gehört nur noch zu den verkaufsfördernden, von der Werbung angeregten und fleißig getriggerten Omnipotenzphantasien potenzieller oder tatsächlicher SUV-Besitzer.

Spezialisiertes Werkzeug

Es gibt überhaupt nur noch wenige, die wissen, wie man mit einem so spezialisierten Werkzeug wie einem Geländewagen richtig umgeht. Eigentlich nur noch ein paar Profis wie Forst- und Waidleute, Freileitungs- und Landschaftsbauer oder Pipelineleger, kurz, Menschen, die bei „Auto“ nicht an „Verkehr“ denken.

Die haben schon bisher gern einen Suzuki Jimny benutzt, weil er von der Grundkonstruktion immer ein Geländewagen war – ein leichter dazu, was ihn noch besser macht. „Schon immer“ bedeutet unter Umständen viel länger als seit 1998, als das noch aktuelle Modell herauskam. Das Auto kam davor als „SJ“ oder noch früher als „LJ“ nach Europa.

Seine Karriere gestartet hat es vor unglaublichen 48 Jahren als steuersparendes Kei Car mit 360er Zweizylinder-Zweitakter. Immer jedoch folgte es konsequent den Regeln des Geländewagenbaus, bot einen Leiterrahmen, zwei angetriebene starre Achsen, ein Verteilergetriebe mit Geländestufe. Seine Hauptmärkte eroberte er sich daher in den aufstrebenden Staaten Asiens mit ihren zahlreichen Wald- und Wüstenpisten, in Indien wird der Wagen seit Jahrzehnten in Lizenz als Maruti gebaut.

Und nun der Nachfolger. Wir befürchteten ja noch vor einiger Zeit einen mit dem Mainstream treibenden Quermotorwagen mit Einzelradaufhängung und automatisch zuschaltendem Lamellenallrad. Doch dann kam dieser höchst konservativ gebaute Suzuki Ignis [5] und gab uns die Ahnung einer Hoffnung zurück.

Der kommende Jimny erfüllt nun allerdings noch deutlich mehr als sich jeder technikaffine Autointeressierte oder Gebirgsförster je hätte träumen lassen. Nicht nur, dass Suzuki seine Alleinstellung nicht aufgab – allein das ist eine Sensation. Es verbesserte den Geländewagen noch als solchen und verwässerte nicht etwa sein Konzept in Hinblick auf eine bessere Straßenperformance oder eine günstigere Produktion. Die noch konsequentere Gestaltung der Karosserie nach ergonomischen Gesichtspunkten zeigt, wie ernst die Ingenieure bei Suzuki es wirklich meinen. Und: sie können es offenbar auch noch!

Hausmeistersichere Bauweise

Die anderen Verbesserungen betreffen meist ebenfalls die Offroad-Leistungsfähigkeit. So haben die Ingenieure nun erstmals eine X-förmig verlaufende Querversteifung zwischen die Rahmenlängsträger konstruiert. Das macht die Unterkonstruktion haltbarer. Suzuki-Geländewagen-Kenner wissen um das Problem, das bei Gebrauchten aus Hausmeisterhand häufig zu einem finanziellen Totalschaden führt: Bei der Benutzung mit einem Räumschild kann eine einzige einseitige Belastung, etwa durch Hängenbleiben an einem Kanaldeckel, die Längsträger parallelogrammartig gegeneinander verschieben – und das war‘s dann mit dem Rahmen.

Die andere Verbesserung ist der um rund 200 auf knapp 1500 Kubikzentimeter vergrößerte Motor. Er stellt mit seinem jetzt langen Hub (74,0 x 85,0 mm) und variablen Steuerzeiten, aber immer noch ohne Turbolader (nein, es ist kein Zufall, dass kein echter Geländewagen je Ottomotor und Aufladung kombinierte) ein gleichmäßig verteiltes Drehmoment zur Verfügung: 130 Nm liegen bei 4000/min an, die Leistung von 75 kW bei 6000. Vorher waren es zwar immerhin auch 110 Nm bei 4100/min und 62 kW bei 6000, aber die Charakteristik war deutlich spitzer.

Alle anderen Maßnahmen bestehen vor allem darin, das Bewährte beizubehalten. So bleibt es sogar bei der Kugelumlauflenkung, die bei echten Geländeeinsätzen immer noch die beste Sicherheit für Fahrers Finger bietet. Ihr Übersetzungsverhältnis bremst Schläge aus der Lenkung viel wirkungsvoller als das eine Zahnstangenlenkung je könnte.

Klassisch angeordnetes Verteilergetriebe

Das Verteilergetriebe blieb ebenfalls im Wesentlichen unverändert, was bedeutet, dass die Geländestufe mit 2:1 immer noch recht mild bleibt. Interessanterweise ist es immer noch in „divorced“-Anordnung durch eine dritte Kardanwelle vom Schaltgetriebe getrennt und nicht wie heute üblich angeflanscht. So, wie man es von früheren Erscheinungsformen des Mercedes G [6]oder dem ebenfalls schon jahrzehntelang fast unverändert gebauten Lada Niva (respektive Taiga) [7]kennt.

Man erreicht im Ersten und in Geländeübersetzung maximal knapp 1180 Nm Raddrehmoment, angemessen viel für das 1100-kg-Leichtgewicht. Wer so viel Drehmoment auf den Boden bringen muss, kommt um die Strarrachsen nicht herum, denn nur mit ihnen kann die Traktion auch bei starker Verschränkung noch so lange aufrechterhalten werden. Sollte sie dennoch abreißen, hilft eine Lamellenbremse im hinteren Differenzial weiter.

Nicht zu vergessen der unschätzbare Vorteil, dass alle Achsantriebswellen geschützt und ohne verletzliche Gummibälge innerhalb der Achsrohre verlaufen und dabei nur an der Vorderachse zwei Gleichlaufgelenke nötig sind. Nur mal zum Vergleich: Bei Allradantrieben mit Einzelradaufhängung sind es vier Gelenke – und alle im Risiko, dass ihre Manschetten von Steinen oder Ästen geschlitzt werden.

Was ganz neu gestaltet wurde ist die Karosserie – und hier wuchs Suzuki offenbar noch über sich hinaus. Wir saßen noch nicht drin – aber alle äußeren Merkmale deuten darauf hin, dass Suzuki sie noch übersichtlicher gestaltet hat. Ein wichtiger und dadurch automatisch optisch konstituierender Faktor bei einem Geländefahrzeug.

Genauso wichtig bei der Blechgestaltung: Die Freigängigkeitswinkel. Sie liegen schon mit der serienmäßigen Bereifung in der praxisgerechten Dimension von 195/80R15 bei 37 Grad für den vorderen, 49 Grad für den hinteren Böschungswinkel und 28 Grad Rampenwinkel. Zusätzlich gehen sich durch die neue Form immerhin 53 Liter mehr Kofferraum aus, und sogar praxisorientierte Anschraubpunkte zum Niederzurren von schwerer Ladung wurden vorgesehen.

Die konsequent der Funktion untergeordnete Blecharbeit führte zu dem Ergebnis, dass der Jimny jetzt noch nutzfahrzeugiger daherkommt, was ihn nicht etwa dröger, sondern ganz im Gegenteil viel überzeugender erscheinen lässt als die vor 20 Jahren gezeichnete, damals ziemlich lifestylige Karosserie. Auf weiterhin nur 3480 Millimetern Länge zeigt Suzuki damit die alte Weisheit wieder mal ganz klar – dass gutes Design gewissermaßen von selbst entsteht, wenn die Gestalter durchgängig die Funktion im Blick behalten.

Langlebiges Konzept auch beim Lifestyle

Was uns daran überhaupt nicht wundert, ist die Langlebigkeit des gesamten Konzepts. Schon 1970 konnte das pure Werkzeug auch als Lifestyle-Auto vermarktet werden. Das liegt auf der Hand wegen der schlüssigen Ästhetik – das nicht völlig analoge aber gut bekannte Beispiel ist auf Seiten der Arbeitsbekleidung die klassische Levis 501 – seit den 50er-Jahren auch Modeartikel. Heute rückt der Jimny diesbezüglich sogar wieder ein Stückchen näher an dieses Ideal.

Er ist damit auch komplett durchmodernisiert sogar mit Bediensystem im Armaturenbrett und Spurhalte-, Brems- und Notbremsassistent, Totwinkelwarner, automatischem Fernlicht und Verkehrszeichenerkennung eines der letzten richtigen, ehrlichen Autos geblieben, die man überhaupt noch bekommen kann.

Für den Lifestyle alleine würden wir es jedoch nicht erwerben. Er bleibt ein hoch spezialisiertes Werkzeug, das wir deshalb weder für den Stadt- noch für den Überlandverkehr wirklich empfehlen können. Es bleibt dabei: Wer im durchasphaltierten Europa Jimny fährt, weiß in der Regel, warum er das tut und wird sich weiterhin und mehr denn je über seine Entscheidung freuen können. Wer ein SUVchen mit Allradantrieb braucht, nimmt halt einen Ignis [8]. Danke, Suzuki.

In Japan soll der Jimny noch in diesem Jahr für umgerechnet 13.500 und knappen 16.000 Euro verkauft werden, nach Europa wird er – sicher nicht günstiger – wohl erst gegen Mitte 2019 kommen.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Abschied-vom-Land-Rover-Defender-3053289.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Toyota-bringt-den-Land-Cruiser-70-zurueck-nach-Japan-2304272.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Klassiker-Jaguar-E-Type-1966-John-Coombs-3819385.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/SUV-ohne-Allrad-Stattgelaendewagen-3140606.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Test-Suzuki-Ignis-1-2-Dualjet-Allgrip-3703855.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Mercedes-Benz-G-230-und-G-300-GD-Cabrio-4062697.html
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Lada-4x4-als-Langversion-3999516.html
[8] https://www.heise.de/autos/artikel/Test-Suzuki-Ignis-1-2-Dualjet-Allgrip-3703855.html