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Kleine Fluchten

Die Wiederentdeckung der unbeschwerten Enduro

Motorrad iga
Zweirad

Es ist eine heimliche Invasion, die sich 2017 bei den Motorradhändlern abspielen wird. Leichte Adventure-Modelle mit relativ kleinen Motoren, dafür wenig Gewicht und vor allem günstigen Preisen sollen Kunden locken, denen die Riesenenduros zu schwer und teuer sind

Einst waren leichtgewichtige Einzylinder mit relativ wenig Hubraum, aber langen Federwegen sehr beliebt und verkauften sich auch in Deutschland wie warme Semmeln. Modelle wie die Suzuki DR 350 oder die Yamaha XT 350 traf man in den Neunzigerjahren an jeder Straßenecke. Die kleinen Enduros waren robust, geländegängig, bereiteten viel Spaß in der Kiesgrube, brachten den Fahrer jeden Tag zur Arbeit, aber auch quer durch die Wüste und sie waren obendrein auch noch günstig. Kurz: Sie waren das ideale Fahrzeug für fast alles. Lediglich auf der Autobahn quälten sie sich und brauchten viel Anlauf bis zur Richtgeschwindigkeit, aber Motorradfahrer bevorzugen ohnehin kurvige Landstraßen.

30 PS Leistung werden von den meisten Kradlern heute belächelt, aber die kleinen Enduros hatten damals im Vergleich zu modernen Motorrädern einen entscheidenden Vorteil: Sie waren leicht, wogen nur rund 130 Kilogramm, was zumindest bis Tempo 100 für durchaus flotten Vortrieb sorgte.

Größenwahn

Doch dann spaltete sich die Entwicklung der Enduros auf: Die meisten Hersteller entschieden sich, sie immer mehr in Richtung Straßentauglichkeit zu trimmen, allen voran BMW mit der Zweizylinder-Boxer-GS, die sich zum Bestseller mauserte. Die Konkurrenten wollten natürlich auch ein Stück vom Kuchen abhaben, eiferten der Bayerin nach, und so schrumpften die Federwege, während der Hubraum wuchs. Es gab auf einmal Enduros mit Verkleidungen und Windschild – eine Kombination, die sich bislang wegen der Bruchgefahr im Gelände ausgeschlossen hatte. Selbst die Einzylinder wurden immer schwerer, wogen schließlich sogar über 200 Kilogramm, wie die Yamaha XT 660 Z Ténéré, die BMW F 650 GS Dakar und die Suzuki DR Big, was ihre Möglichkeiten offroad natürlich stark einschränkte [1].

Vier Zentner im Dreck zu kontrollieren war harte Arbeit und im Falle eines Sturzes nur unter massiven Schweißverlust wieder aufzurichten – von den noch schwereren Zweizylinder-Modellen ganz zu schweigen. Damals erhielten die Geräte den Beinamen Adventure [2], als erste Marke führte KTM die Bezeichnung offiziell für die LC4 620 Adventure im Jahr 1997 ein. Seitdem zeichnet sich die Klasse der Adventure-Modelle durch große Tanks, meist zwei oder mehr Zylinder, breite Sitzbänke und jeden Menge Komfort aus, um den Fahrer auf langen Strecken zu verwöhnen.

Nur Sport

Der andere Evolutionszweig brachte die „Hardenduros“ hervor, ein Begriff, den ebenfalls der Gelände-Gigant KTM als Erster prägte, und inhaltlich die konsequente Weiterentwicklung der Sportenduro bedeutete. Sie sollten für den Wettbewerbseinsatz superschlank und sehr kräftig sein. Im Grunde sind es bis heute Motocrosser mit Beleuchtung und Hupe, die für die Straßenzulassung nur mäßig gezähmt werden.

Mit ihren ellenlangen Federwegen, gigantischen Sitzhöhen, dem hohen Verschleiß, sehr kurzen Wartungsintervallen und einem Brett als Sitzbank tendiert ihre Alltagstauglichkeit gegen null. Für eine Straßenzulassung müssen die Sportenduros extrem gedrosselt werden, weil sie sonst die Emissionsvorschriften nicht einhalten können. Weder bei den Geräuschen, noch beim Abgas.

Späte Rückkehr

Doch die kleinen und leichten Allround-Enduros blieben auf der Strecke. Da half auch kein Nörgeln und Betteln der Fans, die Hersteller waren überzeugt, dass die Kunden entweder eine tonnenschwere Adventure oder eine giftige Sportenduro haben wollten. Aber dann besann sich zunächst Yamaha 2008 eines besseren und füllte mit der WR 250 R erneut die Nische der kleinen Enduros, Kawasaki folgte mit der KLX 250, Honda mit der CRF 250 L und schließlich KTM mit der Freeride 350 – Letztere verstand sich allerdings schon mehr als Trial-Gerät denn als Enduro. Während Yamaha mit 31 PS und einem fast schon motocrosstauglichen Fahrwerk vorpreschte, gaben sich die Konkurrenten in Sachen Leistung eher bescheiden. Der Verkaufserfolg der kleinen Enduros hielt sich in Deutschland allerdings in überschaubaren Grenzen, hauptsächlich, weil Geländefahren hierzulande legal kaum noch möglich ist und der Fokus gezwungenermaßen mehr auf der Straße liegt.

Deshalb nehmen jetzt gleich fünf Hersteller einen neuen Anlauf und kommen mit kleinen und günstigen Adventure-Modellen auf den Markt. Sie weisen zwischen 250 und knapp 400 Kubikzentimeter Hubraum auf, verteilt auf einen oder zwei Zylinder, dazu gesellt sich eine kleine Verkleidung mit Windschild, um auch die Reisefreunde zufrieden zu stellen. Die Mini-Adventures sollen die alten Tugenden wieder aufleben lassen: Wenig Gewicht, Alltagstauglichkeit und viel Handlichkeit zu einem günstigen Preis.

Honda im Rallye-Look

Ein echter Hingucker ist die Honda CRF 250 Rally, die dem sündhaft teuren Werksrenner CRF 450 Rally verblüffend ähnlich sieht. Ihr Einzylinder hat sich als „Weltmotor“ bereits zigtausendfach unter anderem in der CRF 250 L bewährt. Für 2017 erhielt der wassergekühlte Vierventil-Motor eine Überarbeitung, seine Leistung stieg von 23 auf 25 PS bei 8500/min, die 23 Nm Drehmoment liegen bei 6750 Touren an. Die CRF besticht durch die Rallye-Optik mit hohem Windschutz, LED-Licht, großzügiger Kühlerverkleidung und Motorschutz sowie einem Zehn-Liter-Tank.

Auf ihr wird man zwar keine Rekorde bei Vollgas-Etappen aufstellen könne, dafür aber garantiert über jede Schotter- und Schlaglochpisten ans Ziel gelangen. Zumal der Stahlrohrrahmen grundsolide ausgelegt ist und das Fahrwerk über eine Upside-down-Gabel von Showa mit 43 mm Durchmesser und 250 mm Federweg verfügt. Hinten arbeitet das Federbein auf 265 mm Länge, die Bodenfreiheit erfreut mit 270 mm. Laut Honda begnügt sich der Motor mit rund drei Litern Benzin auf hundert Kilometern und sichert damit eine Reichweite von über 300 Kilometern zu. Vollgetankt bringt die CRF 250 Rally 157 Kilogramm auf die Waage, den Preis hat Honda noch nicht bekannt gegeben, er wird aber vermutlich bei knapp unter 6000 Euro liegen.

Mini-GS im Partnerlook

Auch BMW will seine Adventure-Reihe nach unten ausbauen. Nachdem im Herbst die G 310 R [3] präsentiert wurde, schoben die Bayern die G 310 GS nach. Beide G-Modelle entstanden in Zusammenarbeit mit dem indischen Motorrad-Konzern TVS in Bangalore, wo sie auch gefertigt werden. Sie verfügen über einen Einzylinder mit 313 Kubikzentimeter Hubraum und 34 PS. Er erwies sich bei der Präsentation der G 310 R als drehfreudig und kam mit den immerhin 158 Kilogramm noch gut zurecht. Die Optik der GS-Version mit der Verkleidung samt dem typischen Entenschnabel ist im Partnerlook mit der großen Boxer-Enduro R 1200 GS [4] gefertigt.

Die G 310 GS verfügt mit je 180 mm vorne und hinten über mehr Federweg als die R-Version, sowie über ein 19-Zoll-Vorderrad. Auch die Fahrwerksgeometrie wurde für die GS neu justiert, die Upside-down-Gabel steht mit 63,3 Grad steiler und der Nachlauf verkürzte sich auf 98 mm, dafür wuchs der Radstand auf 1420 mm. Allerdings stieg ihr Gewicht, laut Werksangabe, um satte elf Kilogramm auf 169 Kilogramm, was in Anbetracht des identischen Motors und Tankvolumens verwundert. Beide Modelle sollen übrigens 143 km/h erreichen. Den Preis hat BMW noch nicht bekannt gegeben, doch wird er nicht weit über den 4750 Euro der G 310 R liegen.

Viel Komfort und Alltagstauglichkeit

Auch Kawasaki setzt mit der Versys-X 300 auf ein kleines Adventure-Modell. Der 296-cm3-Reihenzweizylinder-Motor entnahm man der bewährten Ninja 300 und pflanzte ihn in einen Zentralrohrrahmen aus Stahl. Für mehr Tourentauglichkeit wurde der Motor neu abgestimmt und soll nun mehr Kraft im unteren und mittleren Drehzahlbereich produzieren. Wieviele von den ursprünglich 39 PS bei 11.000/min noch übrig sind, hat Kawasaki bislang nicht verraten. Um dem Adventure-Gedanken Rechnung zu tragen, bekam die Versys-X 300 ein 19-Zoll-Vorderrad, während sie hinten auf einem relativ schmalen 17-Zöller rollt. Bei einem Gewicht von 170 Kilogramm sollte man nicht mit gesteigerter Dynamik rechnen, aber ihre Stärken liegen eher im Tourenbereich. Kawasaki verspricht einen hohen Komfort, dank breiter und vor allem niedriger Sitzbank. Der hohe Lenker gewährt eine aufrechte und entspannte Sitzposition.

Über die Reichweite muss sich der Versys-X 300-Fahrer keine Sorgen machen, der 17-Liter-Tank dürfte für 400 Kilometer gut sein. Für sie werden zwei aufpreispflichtige Pakete angeboten: „Urban“ mit Handprotektoren, Tankpads, Hauptständer und einen 30-Liter-Topcase sowie „Adventure“ mit Sturzbügel, Hauptständer, Tankpads und Koffern von je 17 Litern Volumen. Das Basis-Modell kostet 5795 Euro und das Zubehör-Angebot soll dem Einsatzbereich entsprechend reichhaltig ausfallen.

Die Reichweiten-Königin

Suzuki steigt mit der V-Strom 250 ebenfalls in die Sparte der Mini-Adventure-Bikes ein. Mit dem „Entenschnabel“ über dem Vorderrad sieht sie ihren großen Schwestermodellen V-Strom 1000 und V-Strom 650 absichtlich ähnlich, allerdings arbeitet in ihrem Stahlrohrrahmen kein V2, sondern ein Reihenzweizylinder, der bereits aus dem Naked Bike Inazuma 250 in Deutschland bekannt ist und es auf 25 PS bei 8000/min bringt. Die kleine V-Strom besticht durch eine gut gepolsterte Sitzbank, deren 790 mm Sitzhöhe es auch kleinen FahrerInnen ermöglicht, die Füße sicher auf den Boden zu bekommen. Der Windschild fällt zwar nicht riesig aus, dürfte aber dennoch für ordentlichen Schutz sorgen. Suzuki setzt für den hauptsächlichen Straßeneinsatz auf 17-Zoll-Felgen und eher mäßige Federwege. In Sachen Reichweite macht der V-Strom 250 mit ihrem 17-Liter-Tank so schnell keiner was vor, Suzuki gibt über 500 Kilometer an. Außerdem gibt es serienmäßig einen Alu-Gepäckträger, eine 12-Volt-Steckdose sowie ein LED-Rücklicht. Bislang konnte sich Suzuki allerdings noch nicht zum Import nach Deutschland durchringen, während andere EU-Länder sehr wohl mit dem kleinen Adventure-Bike bedacht werden.

Noch geheim

Die KTM 390 Adventure ist noch nicht einmal vom Hersteller offiziell bestätigt worden und sorgt dennoch schon für Aufsehen. Seit einige Erlkönig-Fotos durch das Internet geisterten, ist die Enduro-Gemeinde in heller Aufregung. Die 390er im Rallye-Look könnte das Motorrad sein, auf das viele KTM-Fans sehnsüchtig gewartet haben. Die Österreicher bieten exzellente Adventure-Modelle mit über einem Liter Hubraum an, die alle über sehr viel Leistung verfügen, aber auch ein hohes Gewicht mit sich herumschleppen und teuer sind. Die KTM EXC (Zweitakter) und EXC-F (Viertakter) hingegen sind die meistverkauften Sportenduros weltweit, aber eben für den Einsatz bei Rennen gedacht, bar jeglicher Alltagstauglichkeit. Die letzte Allround-Enduro von KTM war die 690 Enduro mit dem potenten LC4-Einzylinder, der jedoch für 2017, mangels Euro4-Norm, aus dem Programm fiel.

Es hatten sich viele Enduristen gewundert, warum KTM seinen drehfreudigen und 44 PS starken 373-cm3-Einzylinder zwar als Naked Bike 390 Duke und sogar als Sportmotorrad RC 390 anbietet, aber nicht als Antrieb für eine Enduro nutzt. KTM kommt schließlich aus dem Geländesport und hat seinen guten Ruf hunderten von WM-Titeln im Motocross, Enduro und Rallyesport zu verdanken – da wäre eine 390 Adventure doch naheliegend. Nun, warum auch immer die Geschäftsführung so lange gewartet hat, das kleine Adventure-Bike wird kommen.

Fingerübung

Im Grunde ist es nur eine Fingerübung für die versierte Entwicklungsabteilung vom KTM, aus der 390 Duke eine Enduro zu machen. Der Gitterrohrrahmen wird überarbeitet, der Lenkkopf den Anforderungen angepasst und die Federwege werden verlängert. Eine massive Gabel und eine neue Schwinge kommen zum Einsatz, die Räder wachsen auf mindesten 19 Zoll vorne und 18 Zoll hinten. Vielleicht plant man in Mattighofen sogar mit einer 390 Adventure R, wie es auch bei den 1050 Adventure- und 1290 Adventure-Modellen der Fall ist, und spendiert ihr noch längere Federwege und ein 21-Zoll-Vorderrad. Die Cockpitverkleidung und ein Windschild deuten am Prototyp auf Fernreisetauglichkeit hin. KTM wird die 390 Adventure frühestens Ende des Jahres vorstellen und sicher nicht vor 2018 auf den Markt bringen. Bis dahin müssen sich die KTM-Fans noch in Geduld üben.


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Klartext-Schwimmt-sogar-auf-Schotter-2412969.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/KTM-Adventure-Reihe-3348295.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-BMW-G-310-R-3575143.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Modellpflege-bei-der-BMW-R-1200-GS-3466509.html