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Wir probieren KTMs Brutalotourer aus, mit Koffern, Windschild und Navi

Fortschreitende Zivilisation

Motorrad Clemens Gleich
KTM

Kunden der KTM 1290 Super Duke R tourten ihr Motorrad gern, weil die Ergonomie passte. Deshalb fragten sie bei KTM so lange nach Tourendingen, bis man in Mattighofen die GT-Variante extra für Reisen entwickelte

Stuttgart, 30. März 2016 – KTMs Weg weg von der Kompromisslosigkeit hin zum Mainstream, der es gern weniger arg hat, findet in der 1290 Super Duke GT seinen nächsten Meilenstein. Mattighofens Ingenieure kreuzten viel Technik der Super Adventure auf das Chassis der Super Duke, um den wohl stärksten Eintrag ins Sporttouring-Buch der Post-Hayabusa-Ära zu tätigen. Kollege Ingo Gach hat zur Vorstellung des Motorrads dessen Features in diesem Artikel zusammengefasst [1], deshalb konzentrieren wir uns in hier auf die Erfahrungen aus unseren ersten Testfahrten.

Der Grund, warum KTM die GT überhaupt baute, waren die Anfragen von Kunden der Super Duke R, denen die gelungene Ergonomie ihres Krads so gut taugte, dass sie lange Touren fuhren. KTM hat von fast Anfang an typisches Touring-Zubehör wie Heizgriffe, höhere Windschilde, Gepäcksysteme und einen Navi-Halter angeboten, um eben dieses Publikum abzuholen, aber offenbar reichte das vielen noch nicht. Der Gedanke einer neu gezeichneten Touring-Version war geboren, und die sollte sich dadurch auszeichnen, dass nur Dinge an die Super Duke dazukämen, die dem Tourenfahrer wirklich nützlich sind, damit das entstehende Krad so nahe wie möglich an der ursprünglichen Super Duke bliebe.

Wind, Wetter, Wärme

Bei den Basics musste KTM nicht lange nachdenken. Die Geometrie des Chassis blieb identisch. Es kam ein vorderer Hilfsrahmen hinzu, der die Lampe und das mit einer Hand verstellbare Windschild trägt. Seine Form geht über in die Seitenverkleidungen des Tanks, die wie bei der Super Adventure schräglagenabhängig pro Seite drei LED-Lampen zuschalten können, um die Ausleuchtung der Straße in der Kurve zu verbessern. Der Tank wuchs auf 23 Liter, der ist jetzt noch bemerkenswert größer, als er an der R schon war, denn wie bei vielen Motorrädern [2] liegt auch hier unter dem Tank noch eine große Airbox. Zusammen mit der geänderten Ergonomie für Fahrer wie Beifahrer wirkt die Sitzposition für den Fahrer damit merklich breitbeiniger.

Der Heckrahmen wurde rund 10 cm länger und deutlich stärker, damit er Beifahrer und Gepäck besser trägt. Damit stehen bei der GT jetzt 225 kg Zuladung im Schein. Zur Einordnung: Die Reisereferenz BMW R 1200 GS [3] bietet 212 kg. Am Heckrahmen brachte KTM ein wunderbar eng anliegendes Koffersystem mit Gleichschließung an, das auf jeder Seite einen Integralhelm fasst. Die Befestigungspunkte bestehen aus poliertem Aluminium, verschraubt direkt auf dem Stahlrahmen, was Vertrauen schafft und bei demontierten Koffern gut aussieht. Wie branchenüblich geworden lassen sich die Koffern mit einem einzigen Zug an den Klappgriffen von den Trägern nehmen, sobald sie entriegelt sind.

Geregnet hat es unterwegs nicht, KTM verbaut jedoch KFZ-übliche dicke Dichtungen, sodass ich ein übliches Niveau von Dichtigkeit erwarte: Solange nicht zu viel Sand auf den Dichtungen liegt oder der Koffer so voll gequetscht wird, dass die Dichtungen aufgedrückt werden, wird das dicht halten. Das Wasserdichtheits-Niveau der Adventure-Koffer mit den doppelten Verschlüssen erwarte ich hier jedoch nicht. Besonderheit der KTM-Koffer: Anders als bei BMW oder Honda kann man auch mit nicht abgeschlossenen Koffern den Schlüssel abziehen, also die Kofferschlösser offen lassen. Ob man das als Vor- oder Nachteil sieht, hängt von persönlichen Präferenzen ab. Ich lasse die Koffer gern offen, wenn man oft dran muss, in Gegenden hoher Diebesdichte hilft es aber, wenn das Schloss immer zu ist.

Heizgriffe verbaut KTM serienmäßig, in den Powerparts gibt es zusätzlich beheizte Sitze für Fahrer und Beifahrer. Kurz vor Vorstellung der GT hat KTM ihren neuen Konfigurator fertiggestellt, der so funktioniert, wie Sie das von Auto-Konfiguratoren kennen. Dort können Sie also wie vom Vierrad gewohnt jetzt Ihr Motorrad zusammenstellen. Der verlängerte Heckrahmen gibt Beifahrern deutlich mehr Platz, den sie für Abstand zum Fahrer, entspanntere Kniewinkel und dickere Witterungsisolierungsschichten aus Polyesther oder Adipozyten. Einen Thron wie auf den richtig fetten Tourern gibt es hier natürlich nicht, aber ich fand die Sitzposition hinten mit 180 cm entspannt.

Rasen oder Reisen

Obwohl sich KTM viel Mühe gegeben hat, das Fahrverhalten der Super Duke R [4] beizubehalten, wurde die GT natürlich etwas träger. Sie wiegt vollgetankt mit 229 kg 11 kg mehr als die R, das Meiste des Mehrgewichts hoch am Fahrzeug mit Tank, Lampenträger und Heckrahmen. Trotz des minimal höheren und breiteren Lenkers fällt dieses Mehrgewicht auf. Da jedoch auch die R mit 218 kg inklusive 18 l Sprit kein Leichtgewicht war, möchte ich den Unterschied auch nicht überbewerten. Es ist definitiv viel von dem da, was sowohl die Roadster- als auch die Reisefreunde an der Super Duke von Anfang an mochten.

Vor allem der Motor ist großartig. Er hat trotz Euro 4 bei derselben Nennleistung noch mehr Drehmoment noch weiter unten. Man kann wie immer viel darüber diskutieren, wie viel Leistung man "braucht", aber das läuft dann immer auf den Punkt hinaus, dass man ein Motorrad an sich halt schon nicht braucht. Auf der Testfahrt sagten eigentlich alle, dass sie die Leistung besonders zu schätzen wussten. Das liegt auch daran, dass die ohnehin schon guten Manieren der Abstimmung in der R noch einmal verbessert wurden. Kunden erhalten hier den mit Abstand besten Motor aller Reisemaschinen, den im tatsächlich genutzten Bereich stärksten und den, der in meiner persönlichen Einschätzung am besten klingt. Der Schlag des 75°-Grad-V2-Motors hat auf mich dieselbe Wirkung wie die Stimme eines alten Freundes zu hören. Das Einzige, was der V2 konstruktionsbedingt nicht kann, ist das im sechsten Gang bei 1500 U/min durch Ortschaften rollen, das gutmütige Vierzylindertourer so gut beherrschen.

Wie bei der 690 Duke [5] kann ich in der Euro-4-Abstimmung keinen Unterschied zur Euro-3-Abstimmung der R in Sachen Motorgeräusch erkennen. Beide empfinde ich nicht als zu laut, beide sind jedoch unter Last sehr deutlich und charakteristisch eindeutig zu hören. Es gibt Akrapovic-Endtöpfe, die wir auch ausprobieren konnten, aber da der Vorschalldämpfer die meiste Dämpfung übernimmt, gibt es wie vorher hier keine bemerkenswerten Unterschiede in der Lautstärke, solange die Akras legal belassen werden.

Bosch-Döner mit allem

Der Tourist kauft gern Komfortsysteme und Fahrfhilfen, also erhielt die GT das dicke Elektronikpaket von der KTM Super Adventure: semiaktive Dämpfung, das erwähnte Kurvenlicht, Kurven-ABS MSC, Tempomat, selbst rückstellende Blinker, Reifendruckkontrollsystem, Quickshifter (nur Hochschalten) und eine Berganfahrhilfe, die ich als eher störend als nützlich empfand, was sich vielleicht bei längerer Nutzung ändert. Die schräglagenabhängige Traktionskontrolle gab es ja schon bei der R. Die semiaktive Dämpfung wurde im Vergleich zur Super Adventure überarbeitet, um das klickende Arbeitsgeräusch zu entfernen, das manche Kunden irritierte. Sie verwirklicht auf den Modi "Komfort" und "Street" ein Anti-Dive-System, das für spürbar weniger Eintauchen mit entsprechend stabilerer Bremsung sorgt, aber natürlich im Gegenzug die Veränderung der Geometrie auf der Bremse wegnimmt. Daher lässt KTM auf "Sport" das Eintauchen zu, sodass in diesem Modus mit zusammengestaucht steilem Lenkkopf wie von normalen Telegabeln gewohnt leichter eingelenkt werden kann.

Wie schon bei den Adventure-Modellen gibt es auch hier eigentlich drei unterschiedliche Sport-Modi. "Komfort" ist nicht besonders komfortabel, sondern bereits eher straff. Viele Testfahrer fuhren bei den noch kühlen Außentemperaturen das Fahrwerk auf "Komfort" in Kombination mit dem Gasgriffsetting "Sport". Selbst auf KTMs Rennstreckentests mit dem irischen Rennfahrer Jeremy McWilliams gab es kaum an der Stoppuhr messbare Unterschiede zwischen den drei Modi. Man kann das als Vorteil sehen, denn gefährliches Geschaukel gibt es in keinem Modi. Man kann es auch als Nachteil sehen, denn einen alles glattbügelnden Komfort-Modus gibt es damit eben auch nicht. Ich verwende bei BMWs gern den Komfort-Modus auf schlechten Autobahnen wie der A81 oder beim Befahren von unasphaltierten Wegen. Eine größere Spreizung zwischen absichtlich labberigem Komfort und straffem Sport wünsche ich mir daher auch von KTM.

Letztendlich zählt aber eines wohl am meisten: Nach 270 km Landstraßenfahrt stieg ich von diesem Motorrad eher erfrischt als ermüdet ab. Vielleicht wiederholt sich also die Geschichte der KTM 990 SM-T und auch das Touring-Modell der Super Duke überholt seinen Vater in Sachen Nachfrage. Vielleicht aber auch nicht, denn die GT kostet 18.000 Euro ohne Koffer und sieht ziemlich schiach aus. Da würde ich mir für dieses Geld dann doch eher die Super Duke R kaufen plus einen gebrauchten Mazda MX-5 [6], der die Beifahrerin und mein Gepäck transportiert.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Die-neue-KTM-1290-Super-Duke-GT-3037746.html
[2] http://www.heise.de/autos/thema/Zweirad.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/GS-im-Abenteuerland-2099065.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Die-neue-KTM-1290-Super-Duke-GT-3037746.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Die-KTM-690-Duke-in-fuenfter-Generation-3030982.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Der-Rekord-Roadster-2119197.html