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Vom lautlosen Effizienz-Motorrad zum Bad-Bike-Image: 110 Jahre Harley-Davidson

Gelebte Geschichte

Motorrad Ingo Gach

Es ist erstaunlich, wie sehr ein Produzent ursprünglich urvernünftiger Produkte heute von einem Image profitiert, mit dem er gar nichts zu tun haben wollte. Harley-Davidson war gezwungen, sich in der Nische des "Bad-Bike"-Bauers einzurichten, um zu überleben. Und käme wohl kaum wieder daraus hervor

München, 17. Juli 2013 – Wie jedes gute amerikanische Pionierunternehmen starteten William S. Harley und Arthur Davidson ihr Business in einem kleinen Schuppen. Kennengelernt hatten sich der technische Zeichner und der Modellbauer als Angestellte einer Firma in Milwaukee, die ironischerweise Elektromotoren herstellte. Wer hätte damals gedacht, dass 110 Jahre später Harley-Davidson als der Inbegriff großvolumiger Verbrennungsmotoren auf zwei Rädern gelten würde? In Milwaukee, Wisconsin, steigt am 29. August die Jubiläums-Party für drei Tage mit Bier, Rock’n’roll, knapp bekleideten Girls und natürlich Massen an V2- Motorrädern.

Im Jahr 1903 entwickelten Harley und Davidson jedoch ihren ersten Prototypen mit einem Einzylinder und schraubten ihn in einen Fahrradrahmen. Später halfen auch noch Arthurs Brüder Walter und William Davidson bei der Entwicklung des Modells 1 mit, das über einen 440 Kubikzentimeter großen Motor mit drei PS verfügte und tatsächlich das erste Serienmotorrad der visionären Jungunternehmer war. Gesamtproduktionszahl: acht Stück.

Verzögerter Start 1907

Offiziell gegründet wurde die „Harley-Davidson Motor Company of Milwaukee“ aber erst 1907. Ein Fakt, der heute vom Unternehmen bei der Begehung des Jubiläums gerne unter den Tisch gekehrt wird. Streng genommen wird also dieses Jahr der 110. Geburtstag des ersten Prototyps gefeiert. Der Erfolgsgeschichte tut dies jedoch keinen Abbruch. Allein 2012 verkaufte Harley-Davidson 247.625 Motorräder. Damit reicht man zwar nicht an das Rekordjahr 2006 mit 349.196 produzierten Einheiten heran, aber es beweist, dass man die Wirtschaftskrise von 2008 mittlerweile überwunden hat. Rückschläge gab es in der langen Firmengeschichte immer wieder und sogar eine Fast-Pleite überlebte man.

Während der Anfangsjahre errangen die Harley-Davidsons schnell einen guten Ruf als leise, vernünftige und zuverlässige Motorräder. Zwischenzeitlich hatte sich dieses Image in allen Punkten umgekehrt, und erst langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass Harleys heute wieder länger halten als die meisten anderen Bikes. Dem Renommee half sicher sehr, dass sich die Inhaber damals nicht zu schade waren, persönlich die Qualitäten ihrer Produkte zu beweisen, so gewann Walter Davidson 1908 ein Verbrauchsrennen – für 100 km benötigte er nur 1,2 Liter Sprit. Ein Wert, den aktuell keine Harley auch nur annähernd erreicht. Würde Harley heute ein effizientes Vernunftmotorrad herausbringen, erntete die Firma sicher große Heiterkeit.

Der V2 als Erfolgsrezept

1909 baute Harley-Davidson den ersten V2-Motor, der bis heute als Inbegriff der motorisierten Herrlichkeit aus Milwaukee gilt. Der Grund für den längs eingebauten V2-Motor mit einem Zylinderwinkel von 45 Grad waren die kompakten Ausmaße des Rahmens. Offiziell wurde es als Modell 5D bezeichnet und leistete für damalige Verhältnisse ordentliche 4,3 PS aus 494 Kubikzentimetern Hubraum. Das Modell 7D sollte 1911 den großen Durchbruch bringen. Der Motor mit 811 Kubikzentimeter Hubraum und gesteuerten Einlassventilen (anstelle der primitiven, unterdruckgesteuerten Schnüffelventile in der 5D) in Inlet-Over-Exhaust-Anordnung erwies sich als zuverlässig und kraftvoll. Von ihm und dem Nachfolger 8D wurden rund 3500 Exemplare gebaut, was 1912 einen Umzug in eine große Fabrik in der Juneau Avenue nötig werden ließ, wo die Firma seitdem ihren Sitz hat.

Während des Ersten Weltkriegs verdiente Harley-Davidson gut an der Belieferung der US-Army, danach entwickelte man ein leichtes und laufruhiges Sportmotorrad mit einem Boxermotor, der jedoch kein Verkaufserfolg war. Die V2-Motoren wuchsen im Laufe der Jahre in Größe, Leistung und Verkaufszahlen. 1929 kam eine völlige Neukonstruktion, der sogenannte Flathead-Motor mit stehenden Ventilen. Ihm folgte 1936 der Knucklehead-Motor, erst zwölf Jahre später hielt der Panhead-Motor Einzug und glänzte bereits mit Hydrostößeln.

Um in den späten 1950er Jahren den Sportmotorrädern aus Großbritannien Paroli bieten zu können, entwickelte man in Milwaukee den Sportster-Motor mit zunächst 883 Kubikzentimeter. Bis heute finden sich Sportster-Modelle mit diesem Hubraum im Programm.

Die große Krise

Doch in den 1960er Jahren begann der Niedergang der einst erfolgsverwöhnten Marke. Gegen die europäische und zunehmend auch japanische Konkurrenz fehlten einfach die modernen Konzepte und auch die Qualität ließ immer mehr zu wünschen übrig. 1965 sah man sich finanziell gezwungen, Harley-Davidson in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln, wobei sich die Familie Davidson die Aktienmehrheit sicherte. Doch der Verkauf brach weiter ein, tausende Motorräder standen auf Halde. 1969 übernahm der Mischkonzern AMF die Traditionsmarke, führte sie aber noch weiter in die roten Zahlen.

Als sich 1981 die Werkstore in Milwaukee für immer zu schließen drohten, kauften in letzter Sekunde 13 Harley-Manager um Willie G. Davidson mit einem 80-Millionen-Dollar-Kredit die Firma. Ein mutiger Schritt, doch er sollte sich als goldrichtig erweisen, schließlich saßen nun Enthusiasten am Lenker, die ein persönliches Interesse daran hatten, Harley wieder in die Erfolgsspur zu bringen. Dafür mussten allerdings schmerzhafte Einschnitte erfolgen, fast die Hälfte der Arbeitsplätze ging verloren. Der erneute Börsengang erfolgte 1986 und in den nächsten Jahren stieg die Harley-Davidson-Aktie jährlich im Schnitt um 18 Prozent. Der Verkaufserfolg war vor allem dem von Porsche entwickelten Evo-Motor aus Leichtmetall zu verdanken. Ab 1999 kam der Twin Cam-Motor, zunächst mit 88 Kubikinches, bis heute vergrößerte sich der Hubraum auf 110 Kubikinches, was 1802 Kubikzentimetern entspricht.

Ungeahnt sportliche Talente

Dass Harley-Davidson einst auch im Sport Lorbeeren errang, ist vielen nicht bekannt. Im ur-amerikanischen Dirt-Track, bei dem auf einem Oval möglichst schnell gedriftet wird, ist bis in die Gegenwart das Modell XR 750 fast unschlagbar.

Sogar in der Straßen-WM engagierte sich Harley-Davidson, nachdem sie die italienische Sportmotorrad-Schmiede Aermacchi gekauft hatten. Zwischen 1973 und 1978 errang Harley 23 GP-Siege (in der 250er- und 350er-Klasse) und wurde mit Walter Villa im Sattel viermal Weltmeister. 1993 stieg Harley-Davidson bei ihrem ehemaligen Mitarbeiter und Rennsportenthusiast Erik Buell ein, der Sportmotorräder mit Harley-V2-Motoren bestückte. Vier Jahre später schluckte Harley die Firma, und obwohl Erik Buell weiterhin interessante Modelle konstruierte, kam sie nie in die schwarzen Zahlen. 2009 schloss Harley-Davidson als Folge der Weltwirtschaftskrise über Nacht die Firma Buell.

Heute steht Harley-Davidson solide da und blickt optimistisch in die Zukunft. Man verkauft nicht einfach ein Motorrad, sondern ein Image von Freiheit und ein bisschen Rebellentum – was vor allem dem Kultfilm „Easy Rider“ zu verdanken ist. Hauptdarsteller Dennis Hopper erzählte immer gerne, dass er und Peter Fonda bei Harley angefragt hätten, ob man ihnen für den Film zwei Motorräder zu Verfügung stellen könnte. Harley-Davidson lehnte jedoch mit der Begründung ab, man wolle so ein Gesetzlosen-Image nicht unterstützen, woraufhin die Bikes für den Film eben gekauft wurden. Heute lebt die Marke sehr gut von und mit dem "Bad-Bike-Image".

Wer zur Feier des 110. Jubiläums nicht über den Atlantik fliegen möchte, kann übrigens vom 4. bis 9. September die europäische Ausgabe am Faaker See in Österreich ansteuern.


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