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Leises Jubiläum: Seit 10 Jahren fahren in Genua und Turin induktiv geladene Elektrobusse

Induktive Ladekonzepte von Conductix Wampfler

Technik ggo

Mit dem Aufkommen von Elektroautos steigt auch das Interesse an induktiven Lade­konzepten. Ein Unternehmen aus Weil am Rhein hat die Technik seit zehn Jahren im Einsatz – für Linienbusse in Italien

Hannover, 7. Juni 2012 – Mit dem Aufkommen der Elektroautos – oder um es genauer zusagen dem Darüber Reden – ist auch das induktive Laden zum Thema geworden. Der simple Grund: Selbst die besten Batterien haben eine geringe Energiedichte und sind teuer. Entweder man baut langstreckenfähige, sündhaft teure Elektroautos. Oder man hält die Batterie um den Preis geringer Reichweite klein. Oder man sucht eine Hybridlösung, was auf einen irgendwie gearteten Reichweitenverlängerer hinausläuft. Das können Range-Extender-Konzepte sein, sogar Oberleitungen, so merkwürdig das auch anmuten mag, oder induktive Ladestrecken, „die Straße als Range Extender“ gewissermaßen, wie wir vor einiger Zeit titelten [1]. Die Firma Conductix Wampfler hat mit dieser Technik bereits zehn Jahre Erfahrung, ganz real, im öffentlichen Nahverkehr in Genua und Turin.

Laden nach Fahrplan

Seit 2002 sind etwa 30 Elektrobusse in den beiden italienischen Städten in Betrieb und legen dabei täglich 200 Kilometer zurück. Die Technik namens IPT (Inductive Power Transfer) ist prinzipiell die gleiche wie bei anderen Lösungen: Auf der einen Seite gibt es ein Primärspule, die über einen Einspeisekonverter mit dem Stromnetz verbunden ist. Fahrzeugseitig gibt es eine Abnehmerspule, die in den Unterboden integriert ist. Eine interessante Besonderheit des Konzepts besteht darin, dass die notwendigen Ladephasen zeitlich sehr fein austariert sind. Dafür bietet der öffentliche Busverkehr natürlich ideale Voraussetzungen, weil er eben nach Fahrplan abläuft.

Die Batterie des Busses wird zunächst über Nacht geladen, sodass er ähnlich wie ein Plugin-Hybrid frisch von der Dose mit voller Ladung in den Tag startet. Während des Betriebs wird dann an ausgewählten Haltestellen nachgeladen. Es sind Haltestellen, die ohnehin einen etwas längeren Aufenthalt erfordern, etwa Endpunkte, Bahnhöfe oder Knotenpunkte. So kann die Batterie des Busses sehr klein und preisgünstig gehalten werden, weil die notwendigen Ladephasen genau geplant werden können. Je nach Bedarf werden etwa 10 bis 15 Prozent beim Halt nachgeladen, sodass die Batterie um bis zu 75 Prozent entladen werden kann und immer noch genügend Energie liefert, um den Bus bis zum nächsten Ladepunkt tragen zu können. Der Fahrer wird zudem über den Ladezustand auf dem Laufenden gehalten.

Die Batterien werden mit einer Leistung von 60 oder 120 kW geladen. Dabei nähern sich die Abnehmer auf bis zu 40 Millimeter Abstand vom Boden an. Laut Conductix Wampfler wandern 95 Prozent der aus dem Stromnetz entnommenen Energie im Normalbetrieb in die Batterie. Damit sei die IPT-Technik im direkten Vergleich des Ladevorgangs fast genauso effektiv wie das Laden über ein Ladekabel mit sehr guten Steckerladegeräten – und teilweise sogar besser als ein Ladevorgang mit „niedrigpreisigen“ Ladegeräten. Conductix Wampfler hat mittlerweile die zweite Generation seiner Ladetechnik auf den Markt gebracht. Sie soll unter anderem verbesserte Diagnosefunktionen und eine erweiterte Netzanbindung bieten, was die „Betriebstransparenz“ erhöhe, soll wohl heißen, das System wird universeller einsetzbar.

Die grundlegenden Vorteile sind dieselben wie bei anderen induktiven Lösungen: Man muss am Tage nicht mit Ladekabeln und -geräten hantieren, Stromunfälle bei Regen, Schnee oder Hagel können nicht passieren. Geradezu genüsslich verweist das Unternehmen auf die Bedienungsanleitung eines US-Herstellers von Elektrofahrzeugen. Diese warnt ausdrücklich davor, den Stecker mit feuchten Händen anzufassen oder beim Laden in einer Pfütze oder im Schnee zu stehen. Man muss allerdings fairerweise dazu sagen, dass die amerikanische Produkthaftung auch Hinweise hervorgebracht wie jenen, Kleintiere nicht in der Mikrowelle aufzuwärmen.

Feld-Versuche

Womit wir bei der oft gestellten Frage wären, ob es denn bei der induktiven Ladung für Menschen oder Tieren Gefahren gibt. Zunächst einmal heißt es dazu „Die magnetischen Streufelder bleiben räumlich auf die unmittelbare Spulenumgebung begrenzt“, mit anderen Worten: Solange man nicht zwischen die Spulen kriecht, kann nichts passieren. Wenn man aber partout in den Raum zwischen den Spulen kriechen will (obwohl 40 Millimeter knapp bemessen sind), erkennt ein Sensor die Störung im Feld und schaltet den Ladevorgang sofort ab. Auch wenn der Ladevorgang abgeschlossen ist und der Abnehmer angehoben wird, wird der Ladevorgang sofort unterbrochen.

Allerdings wirkt die magnetische Induktion in geringerem Maße auch außerhalb des "Ladespalts". Hierzu hat Conductix Wampfler 2006 eine recht umfangreiche Studie durchgeführt. Zum einen wurde die magnetische Induktion in der Umgebung der IPT-Tracks gemessen, also der im Boden verlegten Spulen. Dabei zeigte sich, dass bei einem Abstand von 300 Millimeter von der Spurmitte der zulässige Wert für die magnetische Flussdichte von 21,2 µT unterschritten wurde. Dies ist die maximal zulässige magnetische Flussdichte, die laut Unfallverhütungsvorschrift BGV B11 in frei zugänglichen Bereichen bei einer Expositionsdauer von zwei Stunden erlaubt sind. In einem weiteren Dokument sagt das Unternehmen, dass Passagiere in einem Bus beim Ladevorgang etwa 0,1 µT ausgesetzt sind, was weit diesseits kritischer Grenzwerte liegt.

Etwas andere Zahlen kann man bei Siemens nachlesen. Das Unternehmen arbeitet ebenfalls an induktiven Ladesystemen und testet die Technik zusammen mit BMW. Bei der Siemens-Technik werde der international empfohlene Grenzwert von 6,25 µT für ein magnetisches Feld in jedem Fall unterschritten. Entsprechend der Betrachtung von Conductix Wampfler stiege damit der notwendige Abstand auf etwa 500 Millimeter an. Diese Betrachtung ist im Hinblick auf verschiedene Anwendungen aber ohnehin etwas akademisch, weil die Feldstärke vom Spulenabstand und der erforderliche Ladeleistung abhängig sind – und somit prinzipiell anwendungsabhängig einstellbar.

Immerhin weist Conductix Wampfler darauf hin, dass Menschen mit einem Herzschrittmacher einen Abstand von 600 Millimeter zwischen Rumpf und den Leitern einhalten müssen. Mitarbeiter, Besucher und Fremdpersonal seien auf diese Gefahren durch geeignete Beschilderung hinzuweisen. Bei Fahrzeugen wie einem Personenbus lassen sich solche Abstände natürlich relativ einfach konstruktiv herstellen. Eine Kombination aus Sensoren und mechanischen Barrieren sollte Risiken praktisch völlig ausschließen können.

Das Erstaunlichste an der Ladetechnik von Conductix Wampfler ist vielleicht, dass sie schon recht weit verbreitet ist, ohne dass bisher allzu viel darüber gesprochen wurde. Nach den Worten eines Unternehmenssprechers hängt das auch damit zusammen, dass vor zehn Jahren das öffentliche Interesse kaum da war – Elektromobilität war seinerzeit ein Nischenthema. Mit demselben Technologie- und Betriebsansatz wurden oder werden neben Turin und Genua und Projekten in der Industrie auch Pilot- und Testprojekte im ÖPNV in Japan, Luzern (Schweiz), Lörrach (Deutschland), Rotorua (Neuseeland), Utrecht (Holland) sowie Los Angeles und Chattanooga (USA) ausgestattet, heißt es.

Versuche mit Pkws

Natürlich stellt man sich die Frage, inwieweit die Technik auch für Pkws taugt. Pkws fahren aber nicht unbedingt nach Fahrplan, sodass die Skalierung der Batterie schwieriger ist. Man könnte dies ausgleichen, indem man auch während der Fahrt lädt, wie es zum Beispiel die IAV vorgeschlagen hat. Das würde allerdings den straßenseitigen Bauaufwand erhöhen und es erfordert einen reaktionsschnellen Niveauausgleich für den Abnehmer, weil keine Straße perfekt plan ist und ein Auto gelegentlich zum Ein- und Ausfedern neigt. Der Berliner Entwicklungsdienstleister identifizierte allerdings zum Beispiel auch Taxistände als geeignete Ladestellen, weil dort die Fahrzeuge in der Regel ohnehin länger herumstehen. Theoretisch könnte man sogar die induktive Ladung in Verbindung mit einem Plug-in-Hybrid nutzen, der zusätzlich einen Verbrennungsmotor hat. Der Haken könnten aber darin bestehen, dass die Fahrzeuge viel zu teuer würden.

Oder doch nicht? Conductix Wampfler hat seine Technik zusammen mit Daimler in einem vom Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) geförderten Projekt getestet, um auch die Eignung für kleinere Fahrzeuge zu ermitteln. Der dafür verwendete Prototyp [2] war eine angepasste B-Klasse E-CELL Plus mit Range Extender. Diese Aufgabe übernimmt übrigens ein aufgeladener Dreizylindermotor, der unterhalb von 60 km/h einen Generator antreibt und oberhalb davon seinen Beitrag zu einem parallelen Hybridkonzept leistet. Ansonsten wäre die Aufladung nicht sonderlich sinnvoll, weil für den quasi-stationären seriellen Betrieb unnötig. Die Spule ist bei der B-Klasse in die Unterbodenverkleidung integriert, die Integration übernahm die Firma Röchling, ein Spezialist für technische Kunststoffe.

Ziel des Praxistests war es, die Alltagstauglichkeit von kabellosem Laden zu erproben sowie Vor- und Nachteile gegenüber dem kabelgebundenen Laden zu untersuchen. Nach Angaben von Conductix Wampfler wurden dabei schnell die Vorteile erkennbar. Der Wirkungsgrad beim Laden erwies sich demnach mit 90 Prozent als nur geringfügig schlechter als kabelgebunden. Und auch das passgenaue "Parken" über der Lade-Fläche war kein Problem. Dabei half die Fahrer-Assistenzfunktion "Anfahren der Positionierung über Ladespule": Sie hilft dem Fahrer, das Fahrzeug exakt über der Spule im Boden zu platzieren, um Ladeverluste zu minimieren. Das Schöne ist ja, dass der Ladestrom am höchsten ist, wenn die optimale Position erreicht ist – was somit leicht zu messen ist.

Im nächsten Schritt soll das "Optimierungspotential in Bezug auf Bauraum, Gewicht und Integration in zukünftige Fahrzeug-Baureihen identifiziert und weiterentwickelt" werden. Parallel dazu wollen die beiden Unternehmen weitere Anwendungen für Kleintransporte und Busse erforschen. Durch den Test mit der B-Klasse gerät schon mal eine interessante Fahrzeuggattung ins Blickfeld: der doppelte Range Extender sozusagen, bei dem ein Verbrennungsmotor und Induktionsspulen in der Fahrbahn die Reichweite erhöhen. Bei einem solchen Fahrzeug könnte schon eine Batterie mit 5 kWh genügen, um den komplette Stadtverkehr zu bewältigen, was einen großen Kosten- und Gewichtsvorteil darstellt. Der Verbrennungsmotor könnte in dieser Konstellation als Notnagel für Überlandfahrten fungieren. Dafür genügt zum Beispiel ein unkomplizierter Dreizylindermotor aus dem Regal, teure Merkmale wie eine Aufladung oder eine variable Ventilsteuerung sind wie gesagt für diese Anwendung unnötig.

Es muss sich halt rechnen

Letztendlich entscheiden die Kosten, ob die induktive Ladung auch bei Pkws Chancen hat. Eine 5-kWh-Li-Ion-Batterie dürfte derzeit für etwa 3000 Euro machbar sein – und wird noch deutlich günstiger. Dazu käme ein einfacher und kostengünstiger Verbrennungsmotor, ein Getriebe kann bei seriellem Betrieb entfallen. Schließlich braucht man die Spule unter dem Fahrzeugboden, die übrigen Komponenten zum Laden bräuchte man auch bei der Steckerlösung. Ein größerer Posten sind die baulichen Maßnahmen in der Infrastruktur, die sich aber nicht unmittelbar auf die Fahrzeugkosten auswirken. Auch in dieser Hinsicht sieht Conductix Wampfler aber einen großen Vorteil: "So weichen die … nordamerikanische bzw. japanische und europäische Steckernorm schon wieder von einander ab. Induktion ist dagegen international, die Gesetze der Physik sind überall gleich." Interessanterweise scheint das Unternehmen nur stationäre Lademöglichkeiten vorzusehen, keine Lade-"Strecken", wie sie ebenfalls erprobt werden. Beim Laden während der Fahrt scheinen die Meinungen über Machbarkeit und Nutzen noch auseinander zu gehen.


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Die-Strasse-als-Range-Extender-451443.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Range-Extender-mit-Stern-1349112.html