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Kamera und Display statt Rückspiegel auf der CES 2016

Virtuelle Rücksicht

Stefan Grundhoff

Kameras anstelle der Außenspiegel können weit mehr als nur die Aerodynamik verbessern. Die Displays im Fahrerblickfeld erlauben auch die Darstellung sonst unsichtbarer Bereiche sowie den Einsatz sogenannter Augmented Reality. Beides soll die Sicherheit steigern helfen

Las Vegas (US) 18. Januar 2016 – Kameras anstelle der Außenspiegel können weit mehr als nur die Aerodynamik verbessern. Die Displays im Fahrerblickfeld erlauben auch die Darstellung sonst unsichtbarer Bereiche sowie den Einsatz sogenannter Augmented Reality. Beides soll die Sicherheit steigern helfen – und zwar nicht nur in Autos mit den modisch kleinen Schießschartenfenstern.

Der außenspiegellose BMW i8 war einer der automobilen Stars auf der Consumer Electronic Show (CES) in Las Vegas Anfang Januar. Statt der analogen Außenspiegel ist der hybridgetriebene Technologieträger mit mehreren kleinen Kameras unterwegs. Die beiden Bilder der Außenspiegel werden auf einem zentralen Display an der Stelle des Innenspiegels ausgegeben. Der Bildschirm ist mit 30 cm Breite und 7,5 cm Höhe allerdings etwas größer, weil er nicht wie der Spiegel, den er ersetzt, durch die Fläche der Heckscheibe (und den Abstand zu ihr) naturgemäß begrenzt ist. Seitlich abgerundet vermittelt er eine natürliche, panoramaartige Wahrnehmung des rückwärtigen Verkehrsgeschehens.

Bilder mit Gefahrenhinweisen

Die Kamerabilder werden elektronisch auswertet und bei Bedarf auch mit Gefahrenhinweisen versehen, man spricht in so einem Fall von Augmented Reality. Signalisiert der Fahrer zum Beispiel durch Blinken einen bevorstehenden Überholvorgang, obwohl sich ein Fahrzeug von hinten mit großer Geschwindigkeit nähert, erscheint im Display ein gelbes Warnsymbol, das mit zunehmender Gefahr größer wird. Eine weitere Funktion der Kamera-Spiegel-Anordnung ist die Veränderung des Bildausschnitts: Erkennt das System durch Blinken oder starken Lenkradeinschlag einen Abbiegevorgang, schwenkt das Bild im Display automatisch nach rechts und weitet den dargestellten Bereich aus.

Zunächst waren es nur einfache Rückfahrkameras, die dem Einparken den Schrecken nahmen. Doch längst sind moderne Autos mit Kameras ausgestattet, die nach vorne, hinten und zur Seite blicken. Sie liefern die Daten für Assistenzsysteme, die automatische Notbremsungen, das Einhalten von Spuren oder das automatische Aus- oder Einparken ermöglichen. Doch es geht noch weiter. Kameras werden in den nächsten Jahren die Außen- und Innenspiegel aus dem Fahrzeug verbannen.

Kamerasysteme können auch in Verbindung mit herkömmlichen Außenspiegeln die Sicht nach hinten verbessern. Das zeigt unter anderem der Prototyp eines BMW i3. Dem Innenspiegel kommt in diesem Fahrzeug eine erweiterte Bedeutung zu denn er überlagert die gewöhnliche Spiegelsicht mit den Aufnahmen einer Kamera im Antennenfuß auf dem Dach. Durch diese Mischung der Spiegel- und Kamerasicht erweitert sich das Blickfeld des Fahrers nach hinten erheblich. Gleichzeitig bleibt der Bezug zur Umgebung erhalten und es lässt sich einfacher abschätzen, wie weit andere Fahrzeuge noch entfernt sind oder wie schnell sie sich nähern.

„Spiegel sind verdammt gut“

„Bis zur Serieneinführung der Kamerasysteme wird es noch etwas dauern“, räumt BMW-Entwicklungs-Chef Elmar Frickenstein ein, „Spiegel sind verdammt gut und haben eine unendliche Brennweite, weshalb es keinerlei Verzerrungen gibt.“ So ist damit zu rechnen, dass die ersten spiegellosen Systeme im Hause BMW in rund drei Jahren Einzug ins Modellportfolio halten. Vielleicht kein Zufall, dass 2019 die Modellpflege für den gerade erst vorgestellten BMW 7er ansteht. „Zunächst dürfte eine Entwicklung wie ein Kameraspiegel wohl von oben nach unten in die Modellfamilie kommen“, räumt Frickenstein ein. Erprobungsträger mit Kameraspiegeln gibt es bei den internationalen Autoherstellern schon viele Jahre. Das Problem ist, dass das Ganze viel Rechenpower und viel Geld kostet“, räumt Elmar Frickenstein ein, „es bringt aus meiner Sicht nur etwas, wenn man die Kamerasysteme mit Fahrerassistenzsystemen vernetzt und dann einen Mehrwert für den Kunden generiert. Der tote Winkel ist dann Vergangenheit.“ Haben Kameras erst einmal die Aufgabe der Spiegel übernommen, wünschen sich die meisten Fahrer Zusatzinformationen, Anzeigen und Perspektiven, wie durch die Rundum-Kamerasysteme, die zuletzt Einzug in Autos aller Klasse hielten.

General Motors ist mit dem Einsatz von Kamerasystemen schon weiter. Während BMW die spiegellosen Systemen gerade erst in den Bereich der Serienentwicklung überführt hat, ist das neue Elektroauto Chevrolet Bolt [1] ab Ende des Jahres bereits mit einem Display statt des üblichen Innenspiegels ausgestattet. Optional verschwindet der der übliche Innenspiegel und wird von einem Display ersetzt, das das Bild einer Weitwinkelkamera ins Cockpit überträgt.

Keine Fondkopfstützen und breite C-Säulen im Bild

Doch General Motors bringt den Hightech-Rückspiegel nicht nur bei seinem Elektromobil. Der Kameramonitor ist ab diesem Frühjahr zudem in der Luxuslimousine Cadillac CT6 und dem Crossover XT5 verfügbar. Das Kamerabild ist rund viermal so groß wie das des normalen Rückspiegels; die Sicht nach hinten vergrößert sich nach Angaben von Cadillac rund um das Dreifache. Erst einmal im Auto Platz genommen, haben Fondkopfstützen und breite C-Säulen ihren Schrecken verloren. Wenn man sich an das Kamerabild mit seiner Auflösung von 1280 x 240 Pixel gewöhnt hat, spürt man schnell die deutlich bessere Sicht nach hinten. So ganz neu sind Kameras, die die Aufgabe von Außenspiegeln erledigen, übrigens auch bei Volkswagen nicht. Die Öko-Zigarre des VW XL1 ist seit seiner Vorstellung im Frühjahr 2013 ebenfalls mit kleinen Kameras unterwegs, die statt Außenspiegeln nach hinten blicken. Bei diesem Kleinserienmodell wird es wohl nicht bleiben.


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