zurück zum Artikel

Fantastische Literatur aus Genf: der Quant-Supersportler

Modellautohersteller aus Phantásien

Klartext Clemens Gleich
Klartext

Freude! Tesla Nummer Zwei! Die Zukunft! Unser Erlöser! So tönte es schon letztes Jahr durch die Blätter, als der bekannte Hochstapler Nunzio La Vecchia seinen E-Sportwagen vorstellte. Jetzt kommt die aufgewärmte heiße Luft noch einmal nach Genf

Wahrscheinlich gibt es keine größere Messe für größere Modellautos als den Auto-Salon in Genf [1] jedes Frühjahr. Die vor meinem Hintergrund als Liebhaber fantastischer Literatur interessantesten Modellautos baut ein Gitarrenspieler, Erzähler und generell Künstler mit dem märchenhaften Namen Nunzio La Vecchia ("Bote der Ältere"?) – den Quant.

Dieses Jahr sieht das Antriebssystem der mittlerweile drei verschiedenen Quant-Modelle so aus: Eine Redox-Flow-Zelle fantastischer, geradezu unmöglicher Energiedichte versorgt eine Batterie von Superkondensatoren mit Strom, die dann mit "2000 Ampere" (Herstellerangabe) Stromstärke Elektromotoren drehen lassen. Nunzio als Bote aus dem fernen Lande Phantásien erzählt dabei, dass er sich die dazu nötige Physik in einem vierjährigen Selbststudium beibrachte.

Vier Motoren, drei Modelle, eine Frage

Vier Motoren mit je 120 kW sollen die 2,3 Tonnen des Modells E in 2,8 Sekunden auf 100 bringen, maximal auf über 380 km/h und 400 bis 600 km weit. Die Boost-Leistung des Systems wird mit 680 kW angegeben, die Dauerleistung mit 480 kW. Woher diese Dauerleistung kommen könnte, bleibt offen, denn die Redox-Flow-Batterie wird mit 600 V bei 50 A angegeben, was nach meiner Schulphysik 30 kW macht. Nach diesen Daten könnte man immer nur kurz die Supercaps leeren und dann mit der Leistung einer 250er 2,3 Tonnen schieben. Vielleicht fehlen mir zum Verständnis aber auch einfach vier Jahre Selbststudium.

Egal! Denn das ist ja nur die Standardversion. Die jetzt neue F-Version des Modellautos soll in Genf zeigen, was Phantásiens Autoindustrie wirklich kann: Vier 200-kW-Motoren! 801 (Rundung?) kW Spitzenleistung! Fast 70 kW Peak-Leistung aus der Batterie! 800 km Reichweite! Und natürlich sollen auch Menschen ohne eigenes Ölfeld etwas davon haben, deshalb gibt es einen kleineren Sportwagen namens Quantino, der pro Tankfüllung oder Vollladung 1000 km weit elektrisch fahren soll. 100 kW Gesamtleistung bei 48 Volt Spannung im Antrieb. Da kommen dann die zitierten 2 Kiloampere her. In der Schulphysik bräuchten wir dazu problematisch dicke Kabel. In Nunzios Phantysik geht das problemlos. Und, hey: Ist ja eh nur ein Modellauto.

Als Endkunde, der sich gerade an den Modellautoneuigkeiten aus Genf erfreut, stellen Sie sich vielleicht die Frage, wieso dieser Mann mit einer Frisur direkt aus den Bavaria-Filmstudios mit solchem Aufwand, solcher Hingabe Fantasien anpreist, die nie in dieser Form oder überhaupt produziert werden. Die Antwort kann uns wie fast immer die Geschichte geben, denn auf der Welt gibt es stets wenig Neues, am allerwenigsten neue Maschen.

Fuchurs Ernährungspyramide

Es war einmal, im Jahre 2009. In Genf stand ein Modellauto, das mit Solarstrom fahren sollte. Eine fantastische, geradezu unmöglich effiziente Supersolarzelle, die man billigst herstellen und wie Lack auftragen konnte, sollte den Verbrauch dieses elektrischen Supersport-Modellautos so puffern, dass es über 500 km zurücklegen können sollte. Als Energiespeicher sah der Hersteller eine Redox-Flow-Zelle vor, die damals noch einen anderen Fantasienamen als heute trug. Lassen wir diese Namen weg. Schall und Rauch. Widmen wir uns lieber zwei anderen Namen, dem des Fahrzeugs und dem des Supersolarerfinders. Das Auto hieß "Quant", und die Solartechnik stammte von "NLV Solar", also N unzio L a V ecchia.

Das mit Energieklanglack überzogene Auto war wie der Glücksdrache Fuchur, es ernährte sich von Sonnenstrahlen und heißer Luft, die Nunzio herstellen kann wie kein Zweiter. Sogar Koenigsegg war mit dabei, bis sie feststellten, dass hier kein Auto gebaut werden soll, sondern ein Honigtopf. Denn Nunzios eigentliches Ziel liegt darin, finanzkräftige Investoren zu finden.

Die Supersolarzelle hatte Nunzio damals nicht in vierjährigem Selbststudium erarbeitet, sondern sie bildete den Endpunkt einer praktisch arbeitslebenslänglichen Beschäftigung mit Photovoltaik (Eigenaussage). Vielleicht klang das überzeugender, wahrscheinlich jedoch ebneten eher sein Gitarrenspiel und sein pfleglicher Umgang mit seinem eigenen Körper den Weg zum Herzen einer alten Multimillionärin, die für 39 Millionen Franken plus zwei Grundstücke ein Viertel von einhundert Prozent wertloser heißer Luft erwarb.

"Aber werte Dame, der Mann lässt nicht EINEN unabhängigen Test zu", warnten Kassandras. "Er kann alles versprechen, weil er nichts davon halten will. Sei vorsichtig!" Doch sie hörte nicht, und als sie nach einiger Zeit zu fühlen begann, dass die Kassandras doch Recht hatten, war es zu spät. Das Strafverfahren wegen Betrugs verlor sie, weil das Gericht sie für zu gutgläubig befand: "Wer als geschäftserfahrener Investor trotz der sich geradezu aufdrängenden Hinweise auf einen fehlenden Gegenwert dennoch einen Kauf vornimmt, ohne entsprechende Abklärungen zu tätigen, wird nicht in arglistiger Art und Weise getäuscht."

Im zweiten Durchgang vor dem Zivilgericht erhielt sie ein paar Millionen und ihre zwei Grundstücke zurück, doch bald darauf starb sie an 89 Jahren Leben und wahrscheinlich auch mit einem kleinen Knacks der Enttäuschung über ihren Nunzio im Herzen. Um das restliche Geld streiten ihre Erben vor Gericht. Das wird wahrscheinlich schwierig werden, denn dieses Geld hat Nunzio längst großzügig in prächtige Pressemappen, wunderschöne Modellautos und einen Tanklaster voll Haarspray investiert.

Die Leere zerfrisst Genf

Phantásiens großes Problem war ja die Leere, besonders die Leere der Modellautos, die in Phantásiens Satellitenstaat auf dem Messegelände stehen. Selbst Nunzios Website scheint uns mittlerweile prophezeiend zu warnen: "Fast enough to pass as a chimera." Zumindest in unserem Sprachraum steht die "Chimäre" auch für das Trugbild, die Täuschung. Oder: "The speed of the Quant F is just a metaphor. We do not expect to be driving at top speed [...]" Vielleicht nehmen sie bald noch das "at top speed" weg oder tauschen es gegen ein "at all".

In der zweiten Verfilmung der Unendlichen Geschichte wünscht Bastian der Zauberin Xayíde mit seinem letzten möglichen Wunsch ein Herz in der Brust, woraufhin ihre leeren Giganten in sich zusammenfallen. So kann es auch diesmal sein. Wünschen wir mit unserem letzten Messewunsch jedem Investoren kein Herz in der Brust, sondern ein Gehirn im Schädel. Daraufhin werden Nunzios leere Quantganten bald aus Geldmangel in sich zusammenfallen. Doch wie Karl Konrad Koreander zu Bastian im Buch richtig bemerkt: "Jede WIRKLICHE Geschichte ist eine Unendliche Geschichte." Deshalb werden wir in der Wirklichkeit im Genfer Elfenbeinturm auch nächstes Jahr wieder fantastische Modellautos namens Quant sehen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-2552386

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.heise.de/autos/thema/Genfer-Autosalon-2015