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Mercedes V250d im Test

Der Raum-Traum

Fahrberichte Martin Franz
Mercedes

Die aktuelle Mercedes V-Klasse mit starkem Diesel könnte ein ideales Auto für umfangreiche Familien sein: Leise, stark, aber nicht zu durstig, enorm viel Platz. Doch für die meisten Familien dürfte diese traumhafte Kombination ein Traum bleiben

München, 9. Mai 2016 – Wahrscheinlich sind meine Kinder mit aktuell höchstens 2,5 Jahren einfach noch zu jung. Das gängige Klischee, dass gerade Kinder Busse lieben, bestätigte sich jedenfalls nicht: Schon nach ein paar Kilometern waren sie eingeschlafen, was eigentlich ganz eindeutig für die V-Klasse als Familienauto sprechen würde. Doch Mercedes hat dieser Idee einen höchst wirksamen Riegel vorgeschoben. Im Test zeigte der Bus zahlreiche Talente, aber auch die Nachteile eines solchen Konzepts.

Tatsächlich: Groß

Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance: Der nette Überführer hatte die V-Klasse mit routinierter Hand millimetergenau in die Tiefgarage eingepasst. Bis ich die Fuhre dort raus hatte, waren die ersten Sympathien schon verspielt, ohne dass die V-Klasse etwas dafür könnte. Wer sonst eigentlich nur Pkws steuert, muss sich hier erst einmal orientieren, obwohl der Bus dafür nichts kann. Mit seinen elektrischen Schiebetüren links und rechts ist er eigentlich prädestiniert für enge Parklücken – gerade mit Kindern, die die für sie gedachten Pforten schon mal weniger Bedacht aufreißen. Doch die V-Klasse wirkt nicht nur riesig, sie ist es. Ein VW Sharan der ersten Generation ist aus der V-Klasse betrachtet ungewohnt zierlich.

Im Alltag sind die Dimensionen einer V-Klasse zumindest gewöhnungsbedürftig. Zwischen einem großen Van und eben einem Bus liegt mehr als nur ein paar Zentimeter Außenlänge. Der Bus bringt dabei nicht nur überall vollwertige Sitze mit, sondern auch eine höhere Variabilität. Die hinteren Sitze lassen sich in Schienen im gesamten Fond-Bereich verschieben und selbstverständlich auch ausbauen. Im Testwagen waren alle Sitze beheiz- und belüftbar, was sich auch beim Gewicht der Sessel bemerkbar macht: Freiwillig werden die wohl nur Typen vom Schlage Hand-Bärentöter öfter mal durch die Gegend schleppen.

Kein Transporter

Auf die Straße entlassen sind die Unterschiede zum Pkw schon etwas geringer, aber selbstverständlich noch immer jederzeit spürbar. Mercedes hat sich dabei alle Mühe gegeben, die V-Klasse nicht wie einen schnöden Transporter wirken zu lassen. Das Ambiente unterscheidet sich meilenweit von dem eines VW T6. Rächt sich hier, dass die Wolfsburger eine vollkommene Neuentwicklung angepriesen haben, die nur wie ein Facelift wirkt? Die V-Klasse macht jedenfalls den deutlich moderneren und nobleren Eindruck, was nicht nur am mit Leder bezogenen Armaturenbrett des Testwagens liegt. Der einzige Fremdkörper ist um die Bedienung des Infotainmentsystems verbaut. Der Kunststoff dort wirkt verglichen mit dem Rest arg billig.

Alles ist sauber verarbeitet, selbst bei genauerem Hinsehen haben wir nur zwei Kleinigkeiten entdeckt: Die Verkleidung des Fahrersitzes war verschoben und die Zierleiste an der hinteren Tür machte einen Bogen um die Scheibe. Da haben wir bei anderen Herstellern in jüngster Zeit gröbere Schnitzer gefunden.

Wie bediene ich …

Nicht ganz so gut gelungen ist die Bedienung, die wir vor einem Jahr in ganz ähnlicher Form auch schon in der C-Klasse kritisiert haben. Die mannigfaltigen Funktionen erschließen sich nur selten intuitiv, oft muss man um die Ecke denken. Schon in der C-Klasse haben wir es bemängelt: Wer auf dem Bildschirm in der Mittelkonsole das Navi und im Kombiinstrument den Bordcomputer laufen hat, muss für einen Wechsel von Radiosender oder Musiktitel entweder in das entsprechende Menü wechseln oder mit zwei Fingern auf dem Touchfeld nach oben streichen. Dann kann mit einem Wisch nach links oder rechts das Programm verändert werden. Leider erkannte das Touchfeld meine Finger nicht immer beim ersten Mal.

Wenigstens ist hier das Handy nach einer einmaligen Kopplung immer verbunden, was den Verdacht bestätigt, dass dieses Feature in der C-Klasse tatsächlich auf einen Bedienfehler zurückzuführen ist – nur welcher das sein soll, erschließt sich mir nicht. Alles in allem gefällt die große Anlage in der V-Klasse mit umfangreichen Funktionen, es bleibt aber dabei, dass es Systeme gibt, die viel leichter zugänglich sind. Nachdem Audi nun die alte BMW-Idee mit den fast frei belegbaren Favoritentasten kopiert hat, sollte sich auch Mercedes dazu entschließen. Davon abgesehen: Die Musikanlage von Burmester klingt wirklich ordentlich und ist ihr Geld wert.

Die funktionalen Mängel sind mit dem Infotainmentsystem noch nicht komplett benannt. Das Handschuhfach nimmt seine Bezeichnung sehr ernst und ist mit dem Bordbuch schon gut befüllt. Der Autor gesteht an dieser Stelle, gehobene Ansprüche an die Weite der Sitzverstellung zu haben. In einem mehr als fünf Meter langen Auto sollte aber eigentlich Platz für lange Sitzschienen sein, zumal genau das in den Pkws von Mercedes hervorragend gemacht ist.

Der Knubbel für die Bedienung des Infotainmentsystems ist in einer riesigen Kunststoffbeule untergebracht, die den Raum für die Knie einschränkt. Da kein funktionaler Grund dafür zu erkennen ist, war entweder noch Kunststoff übrig, der unbedingt verbaut werden musste, oder ein Designer hat das gut befunden und sich durchgesetzt. Der letzte Punkt unserer Nörgelei betrifft den Fahrmodusschalter. Warum merkt der sich seine letzte Einstellung nicht sondern stellt nach jedem Neustart alles auf Komfort?

Flinker als die meisten denken

Der Testwagen hatte den OM651 in der höchsten Ausbaustufe mit 204 PS montiert. Mercedes nennt dabei 190 PS als Standardwert, kurzfristig können zusätzlich noch einmal 14 PS abgerufen werden. Wie lang, verrät keiner. Sei’s drum: Die V-Klasse wirkt damit gut, wenn auch nicht üppig motorisiert. Immer wieder unterschätzen andere Verkehrsteilnehmer, wie flink so ein Bus sein kann, auch auf der Autobahn. Die Werksangaben von 9,1 Sekunden im Standardsprint und eine Höchstgeschwindigkeit von 206 km/h müssen in Bezug zum Leergewicht gesehen werden: Schon leer wiegt so ein Bus 2145 Kilogramm. Da er aber konzeptbedingt ohnehin nicht zu großer Hast einlädt, ist man mit der mittleren Version, die 163 PS leistet, vermutlich kaum schlechter bedient. Zumal die Schmauchzone des OM651 in dieser Umgebung deutlicher fühlbar ist als in einem Pkw. Außerhalb des Druckbereichs der beiden Turbolader ist zu spüren, welche Massen hier bewegt werden müssen. Die Massen sind übrigens beim Bremsen stärker zu spüren als beim Beschleunigen – die Stopper sind mit der Fuhre gefordert.

Die im V250d serienmäßige Siebengang-Automatik passt sehr gut zu dem Bus: Sie hält ihn fast immer im elastischen Bereich. Stellt man den Fahrmodus auf „Dynamic“, wirkt der Bus immer wie auf dem Sprung. Die Maschine läuft dann stets mit etwas höheren Drehzahlen, die Gasannahme wirkt spontaner. Den Modus haben wir kurz ausprobiert, um ihn danach nie wieder zu nutzen – zur V-Klasse passt eine gelassene Fahrweise besser. Dann bleibt auch das Motorengeräusch angenehm im Hintergrund. Denn trotz guter Dämmung zeigt sich auch in dieser Umgebung, dass der OM651 kein Ohrenschmeichler ist. Ein kerniger Ton gehört bei ihm einfach dazu.

Den Verbrauch im NEFZ gibt Mercedes mit 6 Litern an. Die beiden schwächeren Diesel liegen fast exakt auf gleicher Höhe. Unser Minimalwert lag bei 6,4 Litern, im gemischten Alltagsbetrieb kamen wir auf 7,5. Wer das Potential auf der Autobahn ausschöpft und andere Autofahrer mit dem Kasten überraschen will, kann auch problemlos mehr als 10 Liter ausschenken. Doch für Rasereien auf der Autobahn gibt es besser geeignete Fahrzeugklassen.

Ein Traum

Viel Platz und Kraft, dabei nicht zu durstig, die Kinder schlafen auch – die V-Klasse könnte also ein traumhaftes Familienauto sein. Doch sie wird für die meisten ein Traum bleiben: Der gut, aber nicht komplett ausgestattete Testwagen kam auf mehr als 70.000 Euro. Es geht auch für erheblich weniger Geld, aber so richtig günstig wird es eigentlich nie: Mit mittlerer Länge und Motor, kleinem Navi und dem gleichzeitigen Verzicht auf teuren Schnick-Schnack wie adaptives Fahrwerk, LED-Scheinwerfer, Sportpakete oder die volle Infotainment-Packung machen auch einen Listenpreis von unter 50.000 Euro möglich – und die V-Klasse kaum schlechter. Für eine kinderreiche Familie ist das meist wohl immer noch zu üppig. Da tröstet es auch kaum, dass der VW Bus keineswegs günstiger ist.


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