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Modellpflege Harley-Davidson Forty-Eight

Erdnussblubber

Motorrad iga
Zweirad

Die Forty-Eight, Harleys Retro-Bike im Bobber-Stil, ist in Deutschland die meistverkaufte Harley-Davidson der letzten Jahre und wurde für das Modelljahr 2016 gründlich überarbeitet. Ihr Markenzeichen ist der winzige Peanut-Tank im Stil von 1948 und ballonartige Reifen

Milwaukee, 19. Februar 2016 – Harley-Davidson verzichtet zum Glück mittlerweile weitgehend auf kryptische Buchstabenkombinationen. Nur wer unbedingt mit seinem Insiderwissen beeindrucken will, nennt das Motorrad XL 1200 X. Wer kann sich darunter schon etwas vorstellen? Forty-Eight klingt doch viel eleganter, auch, wenn das ebenfalls wieder nur Eingeweihten etwas sagt. Harley-Davidson liebt es, mit seiner langen Historie zu kokettieren, die Achtundvierzig soll auf den Tank hinweisen.

Wem das jetzt nicht sofort einleuchtet: Die Form des Spritbehälters gab es das erste Mal 1948. Chopper-Experten bezeichnen ihn salopp als Peanut-Tank, aber für die amerikanische Kult-Marke hat er offensichtlich etwas mythisches, Original-Zitat Harley-Davidson: „Die Welt hat diesen ikonischen Tank noch nie auf einer Maschine wie dieser gesehen.“ Äh, ja. Sicher.

Nüchtern-praktisch betrachtet bietet dieser Erdnuss-Tank lächerliche 7,9 Liter Volumen, was bei einem Verbrauch von im Schnitt 5,7 Litern auf hundert Kilometern die Reichweite ziemlich einschränkt. Rechnerisch läuft die Forty-Eight schon nach 138 Kilometern trocken, real freilich deutlich früher.

Stilfrage

Harley-Fans interessieren solche Zahlen wenig. Für sie steht der amerikanische V2 für eine Lebenseinstellung. Da verblassen alle Nachteile und Unzulänglichkeiten.

Der Erfolg gibt der Forty-Eight Recht, sie verkaufte sich in den letzten vier Jahren in Deutschland über sechstausendmal und ist damit die erfolgreichste Harley hierzulande. Für den Hersteller sind das allerdings wirklich Peanuts, denn allein 2014 verkaufte Harley-Davidson insgesamt 267.999 Motorräder, die allermeisten davon in den USA, wo es beinahe Pflicht für jeden Biker mit Bart ist, eine Harley zu chauffieren (oder war das jetzt umgekehrt?).

Trotz des Erfolgs wollte sich Harley-Davidson für das 2016er-Modelljahr nicht auf den Lorbeeren ausruhen und überarbeiteten die Forty-Eight. Für Harley-Davidson-Verhältnisse ist sie mit 1202 Kubikzentimeter Hubraum eher moderat motorisiert, drückt aber immer noch 96 Nm Drehmoment auf die Kurbelwelle. Bei 252 Kilogramm Gewicht reicht das für akzeptable Durchzugswerte aus.

Jede Harley muss einem bestimmten Stil entsprechen, denn hier werden weniger Motorräder, als vielmehr Philosophien verkauft. Keine Marke beherrscht das meisterhafter. Die Forty-Eight stellt einen Bobber dar, was sich durch einen ballonartigen Vorderreifen mit 130 Millimeter Breite ausdrückt. Allerdings steht sie nun auf Gussrädern. Ob das im Vergleich zu den bisherigen hübschen Drahtspeichenräder ein Fortschritt ist, darf dahingestellt sein. Dem angesagten Retro-Trend folgt sie damit jedenfalls nicht konsequent. Immerhin wiegen die gegossenen Felgen nun etwas weniger und reduzierte ungefederte Massen erleichtern bekanntlich das Abtastverhalten der Radaufhängung und damit Komfort und/oder Fahrdynamik.

Optimierte Federung

Besser federn soll sie jetzt jedenfalls, dank einer Cartridge-Gabel mit progressiv gewickelten Federn. Die Telegabel weist einen Standrohrdurchmesser von massiven 49 Millimeter auf, glatte zehn Millimeter mehr als bisher. Die Gabelbrücken und Stabilisatoren sind ebenfalls neu. Am Heck ist die Vorspannung der Stereo-Federbeine nun stufenlos einstellbar. Jetzt wird es beinahe schon modern: Die Emulsions-Federbeine dämpfen von Stickstoff unterstützt und haben einen externen Öl-Ausgleichsbehälter. Mit den Maßnahmen soll die Forty-Eight einen Fahrkomfort so weich wie Erdnussbutter bieten – soweit das im Rahmen von 92 Millimeter Federweg vorne und nur 52 Millimeter hinten überhaupt möglich ist.

Des Weiteren spendierte man ihr einen neuen Auspuff. Die beiden versetzt angeordneten Endschalldämpfer sind mattschwarz lackiert, aber von je einer verchromten Blende halb verdeckt. Die wiederum sind aus rein optischen Gründen von drei parallelen Öffnungen durchbrochen. Der Luftfilterdeckel ist nun rund und ein neuer Zündungsdeckel wird eingebaut. Am Vorderrad erhielt die Forty-Eight eine auf 300 Millimeter vergrößerte, schwimmend gelagerte Bremsscheibe. Eine zweite Bremsscheibe vorne wäre zwar der Bremsleistung zugute gekommen, aber darauf will sich Harley leider nicht einlassen. Immerhin sorgt ab sofort eine Stahl ummantelte Bremsleitung für konstanten Bremsdruck. Das Zweikreis-ABS ist für neu homologierte Kräder ab 2016 Vorschrift.

Immerhin sitzt der Pilot jetzt bequemer, dank eines neuen Sitzkissens. Wobei von Komfort immer noch keine Rede sein kann, dafür ist das Sitzbrötchen zu knapp. Da helfen auch nicht die neuen Werkstoffe im Sitz, die der Hersteller lobpreist. Selbst Gartenzwerge könnten auf dem Motorrad mit den Füßen den Boden erreichen bei nur 710 Millimeter Sitzhöhe über dem Asphalt.

Besonders stolz ist man bei Harley auf den Schraubenschlüssel unter dem Sitz, mit dem die hintere Federvorspannung eingestellt werden kann. Bei vielen anderen Marken geht das ganz simpel per Handrad. Eine Frechheit, dass für einen winzigen Soziussitz und hintere Fußrasten Aufpreis verlangt wird.

„Der Motor ist schwingungsentkoppelt auf dem Fahrwerk montiert, damit man die Vibrationen nicht mehr spürt“, berichtet der Werbetext. Glücklicherweise hält keine Harley-Davidson dieses Versprechen. Der Tag, an dem die Vibrationen einer Harley nicht mehr zu spüren sind, würde in die Firmengeschichte eingehen, weil Horden wütender Biker die Zentrale in Milwaukee stürmen würden. Wer sänftenartigen Komfort ohne den Hauch einer Vibration haben möchte, soll sich bitteschön eine glattgelutschte BMW kaufen! Wer Harley-Davidson fährt, erwartet Ungeschliffenheit.

Viel Motor, wenig Sport

Das Beste an einer Harley-Davidson ist und bleibt der böllernde 45-Grad-V2, der mit einer Urgewalt vorwärts zieht, wie ein angestochener Bison. Die beiden faustgroßen Kolben legen lange Wege bei jedem Arbeitstakt zurück, man kann im Leerlauf die Kurbelwellenumdrehungen beinahe mitzählen. Die Sitzhaltung durch den flachen Drag-bar-Lenker verleiht der Forty-Eight sogar den Anflug von Sportlichkeit, die man aber nur so lange ausnutzt, bis die 48 schon bei moderater Schräglage mit einem hässlichem Kratzen in der Kurve aufsetzt. Danach zügelt der Fahrer sein sportliches Temperament schlagartig.

Die unter den Lenker montierten Rückspiegel sehen nicht nur cool aus, sondern gewähren tatsächlich eine erstaunlich gute Sicht nach hinten, denn kein Ellenbogen ist im Weg. Eine weitere Innovation erwartet den Besitzer im kleinen Cockpit. Das einsame Rundinstrument beinhaltet ein schmales digitales Display, in dem per Knopfdruck am Lenkerende jetzt auch der Modus „Ganganzeige“ abgerufen werden kann. Eine Information, die den meisten Harley-Fahrern absolut wurscht ist. Vielleicht schon eher von Interesse ist, dass sich auch die Drehzahl digital darstellen lässt.

Klassisches Heck ohne Rücklicht

Am zeitlos klassischen Heck vermisst der Laie das obligatorische Rücklicht. Dass dieses in die modernen LED-Blinker im Bullet-Design integriert ist, zählt zu den optischen Highlights. Wer in die Tiefen der Elektrik abtaucht, wird auf ein neues CAN-Datenbussystem stoßen, das mit einer reduzierten Anzahl von Kabeln und Sicherungen arbeitet. Anscheinend gab es in der Vergangenheit Probleme mit Überhitzung, deshalb kommt nun ein neuer Spannungsregler mit modifizierten Kühlrippen zum Einsatz, die eine verbesserte Wärmeabfuhr sicherstellen sollen.

Derartig für 2016 gerüstet, hat die Forty-Eight gut Chancen, erneut der Bestseller im deutschen Harley-Davidson-Programm zu werden. Da hilft ihr der – für Harley-Verhältnisse – günstige Einstiegspreis von 12.345 Euro mit der Lackierung „Vivid Black“ natürlich ungemein, die Farboption „Pearl/Denim“ kostet 300 Euro Aufpreis. Wer die auffällige Metallic-Lackierung „Hard Candy Custom“ möchte, kann unter sechs Farben wählen, blättert allerdings 500 Euro extra hin. Wobei es wohl kaum bei der Summe bleibt, denn der Zubehörkatalog ist so dick wie das New Yorker Telefonbuch und jeder Harley-Besitzer will seine Maschine ganz individuell zusammenstellen.


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