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Der BMW C Evolution punktete eher beim Fahren als beim Nutzen

Freude am Alltag?

Motorrad Clemens Gleich
Der Antrieb ist toll, ohne Modifikatoren. Es macht Spaß, sich mit dem C Evolution von Ampel zu Ampel zu beamen.

Irgendwann sagte jemand in einer der vielen Diskussionen über den C Evolution: "Vielleicht doch lieber BMW C1-E?" Denn die Stärke des C Evolution ist das Fahren, zulasten nüchternen Alltagsnutzens

Stuttgart, 24. Oktober 2014 – Vier Wochen mit dem Elektrogroßroller BMW C Evolution haben einige ungewöhnliche Wünsche entfacht. Am Ende diskutierten wir sogar wieder über das Konzept des C1-E, das BMW als Prototypen eine Weile spazierenfuhr, bevor sie den C Evolution bauten. Aber fangen wir mit dem Guten an – oder lieber gleich mit dem Besten.

Das Beste am C Evolution [1] ist sein Antrieb. Drehgriff auf Anschlag, weg ist man von der Ampel. Gern stellt sich der Elektroeimerfahrer neben Motorradfahrer, die interessiert gucken: Oh, was ist das denn? Ein Roller mit giftgrünem Dings? Und dann hat sich der Giftgrüneimer schon an die nächste Ampel gebeamt, bevor der Motorradfahrer Getriebe, Kupplung und Drehzahl sortiert hat – alles in Stille bis auf das typische UFO-Wummern beim Beschleunigen.

Das Drehmoment stuften überraschend viele Kollegen als "gefährlich" ein, weil es so unerwartet komme. Das lasse ich mal als Gegenmeinung so stehen, teilen tu ich sie nicht. Die Drehmomentdosierung am Drehgriff ist so viel weicher und einfacher als bei einem drehmomentstarken Hubkolbenmotor, dass ich das befürchtete Szenario weder glaube noch bisher davon gehört habe: dass Anfänger sich sofort vom Händlerparkplatz in die Hecke katapultieren. Meine Ansicht bleibt: Es ist toll, dass es für A1 solche Fahrzeuge gibt. Der Roller hat immer 48 PS, obwohl er mit 15 PS Dauerleistung homologiert wurde. Irgendwann werden Staub bartelnde Gesetzeschreiber diese Lücke schließen, und bis dahin wünsche ich mir, dass jeder Hersteller sie maximal ausnutzt.

Reichweite bis Eis essen und Duke fahren

Die Reichweite langt für den Betrieb im Ballungsraum gut aus. Außer den eigenen Erfahrungen aus Stuttgart bestätigen das Gespräche mit einem Münchner Kollegen, der ebenfalls mit einem C Evolution unterwegs war. Oft schafft man 110 oder 120 km im rein innerstädtischen Verkehr, bis nichts mehr geht. Ganz am Ende kriecht das Gerät mit Reichweite 0 im Notmodus noch 5 km, bevor sich die Batterie ganz abschaltet. Selbst bei zwei Fahrten über die Umgehungsstraße um Stuttgart nach Leonberg mit 120 km/h kam ich noch über 100 km weit. Anders sieht es erst überland aus. Realistisch sind in diesem Betrieb 80 km, aber auch die nur bei sehr runder, vorsichtiger Fahrt. Bei Knallgas sind es eher 60 km. Überland zum Spaß fahren lohnt sich im C Evolution nicht. Es macht Spaß, aber eben nur sehr, sehr kurz. Wo will ich denn hinfahren? Dann lieber im Ballungsraum einmal schön Solitude fahren, dann im Keller einstöpseln und Eis auf dem Balkon essen. Oder meine Duke fahren.

Superpraktisch ist der Rückwärtsgang. Die Altvorderen verdrehen hier ihre Augen gen Himmel, aber die Altvorderen haben es halt auch noch nie ausprobiert. Jedes Motorrad über 150 kg sollte sowas haben, dann würden weibliche Kunden [2] auch ein bisschen weniger darauf bestehen, beidseitig mit dem flachen Fuß auf den Boden kommen zu müssen. Die extremen Steigungen in Stuttgart erfordern intelligente Vorausschau beim Rangieren, die beim C Evolution einfach entfällt. Er fährt rückwärts praktisch jede Steigung hoch, die er vorwärts schafft – auch mit Beifahrer.

Als einzige Kritik am Fahrverhalten möchte ich die extreme Hecklastigkeit im Zweipersonenbetrieb äußern. Zu zweit wird das Vorderrad im Verhältnis zum Hinterrad so leicht, dass die Fahrt eirig und unruhig wird. Das war aber bei den Zweizylinder-C-Rollern ganz genauso.

Freude am Fahren, Unfreude am Nutzen

Der Antrieb ist gut gelungen, trägt jedoch auch zu den Minuspunkten bei, die auffallen, ganz konkret im Teil "Praxisnutzen". Da ist zuerst das hintere Staufach. Die anderen BMW-C-Großroller verstauen unterm Sitz zwei Integralhelme, was für mich die größte Existenzberechtigung der Fahrzeugklasse Großroller überhaupt ist. Da passt dann auch richtig Einkauf rein in diese Fächer. Im Evolution nimmt der Batterieträger allen Platz weg, sodass nicht einmal ein Integralhelm hineinpasst. BMW-Freunde behaupten mir gegenüber immer wieder, da passe ein Integralhelm hinein, bisher konnte ich jedoch noch kein einziges passendes Modell finden. Bildbelege von BMW-Freunden gerne erwünscht an cgl@heise.de.

Diese sekundäre Rolle, die der Praxisnutzen in der Entwicklung offenbar einnahm, zieht sich weiter. Der Deckel des Staufachs bleibt nicht von allein offen, weil das Fahrer-Sitzpolster ihn zudrückt. Hört sich egal an, nervt im Alltag aber ungemein. Beim Aufsteigen haben Zweiradfahrer meist nur eine Hand frei, an der anderen hängt schon der Helm. Wie kann das BMW bei den Vorserienmodellen nicht aufgefallen sein?

Dann die Fahrzeugbreite. Unten an den Trittbrettern baut der Evolution ziemlich breit. Ein Forenschreiber kommentierte, das sei egal, weil durchschlängeln doch eh verboten sei. Das sehe ich als Realpolitiker anders. Wenn ich mich im Stau hinten anstellen möchte, kaufe ich einen Twizy [3]. Der hat wenigstens ein Dach. Ein Roller muss sich durchschlängeln können, denn das ist im Einsatzgebiet "städtische Fortbewegung" sein größter Vorteil, noch vor dem Parken. Wenn ich Vorschläge machen sollte zur nächsten Modellgeneration, dann: schmaler bauen.

Wie schmaler bauen? Genauso wie praktischer bauen: Man könnte den Akku verkleinern. Ja, wirklich. Zum Landstraßenfahren taugt er eh nicht, in der Stadt reicht es immer dicke, und ein C Evolution wird für Niemanden ein Erstfahrzeug sein. Er muss die Überlandfahrt nicht können. Ein kleinerer Akku würde Platz schaffen für mehr Stauraum und größere laterale Luftspalten zu den anderen Verkehrsteilnehmern. Man könnte ihn idealerweise so bauen, dass er nicht die Funktion einer Heizung für den Fahrersitz übernimmt. Jetzt im Spätherbst war das meistens toll. Im Sommer würde es mich nerven.

Die Motorleistung würde ich so lassen, realistisch betrachtet würde eine solche Alternative jedoch etwas schwächer motorisiert werden. 15 PS Dauerleistung, klar, aber die reale Leistung dann vielleicht bei 30 PS? Bei einem Akku von 5 bis 6 kWh? Mit großem Staufach, dessen Deckel offen bleibt beim Beladen? Sie sehen, an welcher Stelle der Einwurf zum BMW C1 E [4] kam. Hier in der Praxis. Dort stirbt er auch gleich wieder.

Denn als nutzwertig praktisches Stadtfahrzeug taugt heute kein Elektroroller, kein Elektroauto. Diese KFZ sind für "nutzwertig praktisch" schlicht unwirtschaftlich bei den derzeitigen Preisen. Mein popeliger 50er trägt viel mehr Nutzlast bei viel kleinerem Fahrzeugpreis. Selbst die reinen Bewegungsenergiekosten überzeugen nicht. Beispiel: der C Evolution hat inklusive Ladeverluste an der Steckdose gemessen zwischen 5,0 (hauptsächlich Stau) und 10,1 (hauptsächlich Landstraße) kWh auf 100 km gebraucht, über den Gesamtschnitt waren es 8,7 kWh pro 100 km. Bei 29 Cent pro kWh kosten 100 km also rund 2,50 Euro reine Fortbewegungsenergiekosten. Der Zoomer [5] verbraucht gemessen 1,6 l auf 100 km. Das läuft in etwa auf dasselbe hinaus, mit dem Unterschied, dass der schnelle BMW-Roller in der Anschaffung das Fünf- bis Zehnfache eines praktischen, aber langsamen Fuffzigerles kostet. Das kauft niemand, der Geld sparen will.

Elektrisch angesprochen vor dem Other Place

Deshalb ist die Auslegung, wie sie ist, diese Betonung des Fahrerlebnisses, wahrscheinlich besser als eine nutzwertigere. Ein Antrieb, den gestandene Motorjournalisten als "gefährlich" druckvoll bezeichnen, eine Reichweite, die auch hyperurbane Trips erlaubt, und eine Aufmachung, die wie der BMW i3 [6] die Zukunft verkauft statt den besten Nutzwert. Ich meine: Ganz nüchtern nutzwertig ist ein E-Golf [7] das deutlich bessere Elektroauto. Aber dann fahre ich nur einen Golf. Für 35.000 Euro. Da reizt die Captain-Future-Kabine des i3 meinen Kaufnerv doch mehr. Ditto C1-E versus C Evolution [8]. Das Beschleunigen ist die Kauf-Killer-Applikation des C Evolution. Praktisch haben wir schon.

Und damit ist es passiert: Ich freue mich auf die elektrische Harley [9]. Damit werde ich das machen, was man mit Harleys halt so macht: Bier holen oder die fünf Meter zur Kneipe, am besten zum Other Place [10] in Stuttgart-City rollen, in der Sonne Kaffee trinken, das Motorrad anschauen und hoffen, dass einen jemand drauf anspricht. Mit dem elektrischen Großroller hat das gut geklappt.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-2431266

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/i1-Spur-2181974.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Frauen-haben-kurze-Beine-2077786.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Der-Renault-Twizy-in-der-Praxis-1753792.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/BMW-laesst-C1-als-Elektroroller-aufleben-813280.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Gekauft-Honda-Zoomer-1580999.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Made-im-Speckguertel-1976055.html
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Ausfahrt-im-VW-e-Golf-Geladener-Bestseller-2293958.html
[8] https://www.heise.de/autos/artikel/BMW-C-Evolution-die-schnellste-125er-2342533.html
[9] https://www.heise.de/autos/artikel/Stromschlag-2235665.html
[10] http://www.theotherplacestuttgart.de/