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Lamborghinis Flaggschiff bekommt ein extrem schnelles automatisiertes Schaltgetriebe

Schalt-Blitz: das ASG im Lamborghini Aventador

Technik ggo

Ein großer Nachteil auto­matisierter Schaltgetriebe besteht in den langen Zugkraft­unter­brechungen. Im ISR-Getriebe des Lamborghini Aventador sorgen unab­hängige Schalt­stangen für rasante Gang­wechsel von nur 50 Millisekunden

Rivoli (IT) / Lightthorne (UK), 22. März 2011 – Für Autofahrer und Technikinteressierte ist die Entwicklung der Getriebetechnik in den letzten Jahren erfreulich: Seit sich Doppelkupplungsgetriebe etabliert haben, sind Wettbewerb und Auswahl größer geworden. Beispiel BMW: Dort setzte man bei sportlichen Modellen zunächst auf automatisierte Schaltgetriebe (ASG), um dann in den letzten Jahren doch auf Doppelkupplungsgetriebe (DKG) umzuschwenken. Das ist wohl auch vernünftig so, denn selbst die sportlichen M-Modelle von BMW werden vorwiegend im Alltag bewegt. Die lästigen Zugkraftunterbrechungen eines ASGs sind da normalerweise nicht erwünscht.

Einfach, sportlich

Trotzdem ist das ASG nicht überholt und behält in mindestens drei Bereichen seine Berechtigung. Weil es kostengünstiger ist als ein DKG, ist es besonders bei günstigen Autos ein tragbarer Kompromiss, zumal es weniger den Verbrauch beeinträchtigt wie das ebenfalls günstige, aber weniger effiziente CVT. Bei Parallelhybriden kann es ebenfalls eine sinnvolle Lösung sein, weil sich die Zugkraftunterbrechungen mit elektromotorischer Unterstützung kaschieren lassen. Schließlich ist es für den Supersportbereich geeignet, weil dort Bauraum und Gewicht eine große Rolle spielen und die kleinen Schaltpausen sogar als sportliches Merkmal akzeptabel sein können.

Emotional schalten

Deswegen bekommt auch der neue Lamborghini Aventador [1] ein ASG, hier mit der Bezeichnung Lamborghini-ISR-Getriebe. Entwicklungsziel von Lamborghini, so heißt es, war es, "das emotionalste Schaltgefühl der Welt zu schaffen", womit sicher nicht gemeint ist, einen völlig ruckfreien Übergang zwischen den Gängen zu schaffen. Also ein ASG, aber ein Besonderes, worauf das Kürzel ISR hindeutet: Es steht für "Independent Shifting Rods" oder unabhängige Schaltstangen, die deutliche kürzere Schaltzeiten möglich machen als sonst beim automatisierten Schaltgetriebe.

Nicht eins nach dem anderen

Lamborghini beschreibt die Besonderheit in vereinfachter Form so: Bei einem normalen Getriebe liegen die Gänge, zum Beispiel 2 und 3, nebeneinander. Beim Schalten wird nun über die Schaltstange die Schaltmuffe mit Synchroneinheit vom 2. über Neutral zum 3. Gangrad geschoben. Der eine Gang muss also herausgenommen werden, bevor der nächste eingelegt werden kann. Das kann ISR besser: Die Gangräder sind voneinander getrennt, die Schaltmuffen werden von voneinander unabhängigen Schaltstangen betätigt. Während der eine Gang herausgenommen wird, kann somit der andere fast gleichzeitig eingelegt werden. So schaltet das Getriebe laut Lamborghini etwa 40 Prozent schneller als das e.gear-Getriebe im Modell Gallardo.

Das heißt natürlich, dass die geöffnete Kupplung schneller wieder schließen kann und die Zugkraftunterbrechung kürzer ausfällt, laut Lamborghini kaum 50 Millisekunden. Für das bei vielen Autos mit ASG gewohnte Kopfnicken bleibt da kaum genügend Zeit. Das gilt übrigens für sämtliche Schaltvorgänge vom 1. bis zum 7. Gang, weil sämtliche aufeinanderfolgenden Gänge von jeweils unterschiedlichen Schaltstangen betätigt werden.

Die Sport-Spezialisten

Das Lamborghini-ISR-Getriebe stammt nicht von einem der "Großen" wie Getrag, sondern von dem italienischen Getriebespezialisten Graziano, der zum Oerlikon-Konzern gehört. Graziano ist ein kleiner Anbieter, der auf Getriebe für Sportwagen spezialisiert ist. Zweiter im Bunde ist die britische Firma Vocis, ebenfalls eine Oerlikon-Tochter. Während bei Graziano eher die Mechaniker zugange sind, kümmert sich Vocis um Fragen der Getriebesteuerung. Vocis besteht auf der Feststellung, dass ohne eine saubere Abstimmung der Getriebesteuerung die von Lamborghini gewünschte Schaltqualität nicht möglich wäre.

Doch gerade Vocis hat in der Vergangenheit gezeigt, dass ein sportliches Schaltgefühl auch mit Doppelkupplungsgetrieben möglich wäre, was uns seinerzeit bei einer Demonstration ziemlich amüsierte [2]. Und auch das M-DKG von BMW, zugeliefert von Getrag [3], kennt etwas ruppigere Modi, um den Sportsgeist mehr zu befriedigen als quasi ruckfrei schaltende Getriebe, welche DKGs durchaus sein können.

Leicht, kompakt …

Dass Lamborghini dennoch das ASG bevorzugt, hat wie bereits eingangs erwähnt, vor allem Packaging- und Gewichtsgründe. Bei einem Motor, der 690 Nm Drehmoment stemmt, müssen selbst nass laufende Kupplungen ziemlich großzügig dimensioniert werden. Eine zweite Kupplung wie beim DKG wäre hier also schon ein deutlicher Gewichtsnachteil. Das ISR-Getriebe wiegt nur 79 Kilogramm (Lamborghini nennt nur 70 kg), ist leichter als die Vorgängerversion und erlaubt laut Graziano dankt seiner Kompaktheit einen außergewöhnlich schmalen Getriebetunnel.

… und knackig

Das Lamborghini-ISR-Getriebe ist ein schönes Beispiel dafür, warum je nach Anwendungszweck eine Wandlerautomatik, ein DKG oder ein ASG die beste Lösung sein kann. Beim Aventador stehen eben wenig Gewicht, kompakte Maße und ein sportliches Schaltgefühl im Vordergrund. Der einzige Vorteil eines DKGs bestünde in diesem Fall in einem geschmeidigen Schaltkomfort. Aber der ist hier gar nicht gefragt – sondern ein knackiger, spürbarer Schaltvorgang.

Die verkürzten Schaltvorgänge könnten dennoch auch für andere Fahrzeugklassen interessant sein, sofern die Konstruktion ASGs nicht übermäßig verteuert. Wenn das Konzept der unabhängigen Schaltstangen auch in der Großserie möglich ist und die Getriebe nicht übermäßig verteuert, könnte das Pendel zur Abwechslung wieder einmal in Richtung automatisierter Schaltgetriebe schwingen.


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https://www.heise.de/-1212543

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Lamborghini-stellt-neues-Spitzenmodell-Aventator-vor-1200089.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Neues-Schaltgefuehl-Das-DSG-zeigt-Zaehne-465725.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Varianten-des-Doppelkupplungsgetriebes-1127289.html