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Speicherkraftwerk

Test: Mercedes GLE 350de

Fahrberichte Christoph M. Schwarzer
Mercedes GLE 350de

Mercedes kombiniert in einem großen SUV einen Vierzylinder-Diesel und eine für einen Plug-in-Hybriden ungewöhnlich große Batterie. Das Ergebnis überzeugt in einer Hinsicht voll und ganz, zeigt aber auch Grenzen auf.

Der Mercedes GLE 350 de ist eine Ansammlung des Ungewöhnlichen: Er kombiniert einen Vierzylinder-Dieselmotor mit der Kraft einer E-Maschine zu 235 kW (320 PS) Systemleistung und 700 Nm Drehmoment. Die elektrische Energie kommt aus einer Batterie mit einer Bruttokapazität von 31,2 kWh. Und dort hinein geht es gemächlich mit Wechselstrom (AC) oder schnell mit Gleichstrom (DC): Mit bis zu 60 kW Ladeleistung ist der Speicher in rund einer halben Stunde auf 100 Prozent aufgeladen. Abgerundet wird das Paket mit einem mechanischen Allradantrieb sowie einer Anhängelast von bis zu 2,7 Tonnen, wer das Airmatic-Fahrwerk und elektrisch verstellbare Rücksitze ordert, kann bis zu 3,3 Tonnen ziehen. Der GLE 350 de ist außerdem als Geländewagen (M1G) und nicht als Pkw-SUV zugelassen. Exotischer Luxus in Alleinstellungsposition ab 75.565 Euro.

Der stärkste Eindruck an diesem Auto ist fraglos der des überragenden Komforts. Das beginnt beim durchweg niedrigen Geräuschniveau, setzt sich über den Abrollkomfort des Airmatic-Fahrwerks fort und geht bis zu kleinen, aber feinen Details: So schaltet sich das Licht über dem Beifahrersitz ein, sobald man sich hinüberbeugt, um zum Beispiel die Parkscheibe aus dem Handschuhfach zu holen.

Mehr als die Hälfte elektrisch

Die Parkscheibe ist in Hamburg notwendig, wenn man werktags zwischen 9 und 20 Uhr an öffentlichen Ladesäulen Strom ziehen will. Zwei Stunden sind tagsüber erlaubt, nur nachts ist der Zugang unlimitiert. Nicht mehr zeitgemäß: Rein rechtlich wäre es in der Elbmetropole zulässig, mit einem E-Kennzeichen vor einer Säule zu parken, ohne zu laden. Dieses Privileg aus der Frühzeit der Elektromobilität sollte dringend abgeschafft werden, und es wurde im Fall des Testwagens nie genutzt.

Für den GLE 350 de war der Platz vor der Ladestation dennoch eine bequeme Möglichkeit, das Auto nach 18 Uhr abzustellen: Im dicht besiedelten Gebiet wäre es sonst ziemlich mühselig, für ein 4,92 Meter langes und ohne Spiegel 2,02 Meter breites Auto zur Rushhour einen ausreichenden Parkraum zu finden. Das fördert die Ladedisziplin bei diesem Plug-in-Hybriden – weit mehr als die Hälfte der Testkilometer wurde batterieelektrisch zurückgelegt.

Etwas weniger als vier Stunden vergehen an einer AC-Ladesäule bis zur Vollladung. Die Leistung beträgt hier 7,2 kW. Wie viel von den 31,2 kWh Bruttokapazität netto tatsächlich nutzbar sind, verrät Mercedes nicht. Auf Anfrage von heise/Autos heißt es, man könne von durchschnittlich 70 bis 75 Prozent ausgehen. Eine Größenordnung, die sich auf Basis der Kilowattstundenzahl an der (meistens noch nicht eichrechtskonformen) Ladesäule bestätigen lässt: An DC-Standorten ließen sich gut 23 kWh nachladen, an AC-Säulen waren es über 25 kWh, was den Umwandlungsverlusten geschuldet ist.

DC-fähiger Plug-in-Hybrid

Der Vorteil an diesem begrenzten Ladefenster: Zum einen profitiert die Dauerhaltbarkeit der Batterie, zum anderen ist die Ladeleistung und damit die Ladegeschwindigkeit bei Gleichstrom hoch. Die DC-Werksangabe von 20 Minuten auf bis zu 80 Prozent Ladestand (abgekürzt SOC für State of Charge) sowie 30 Minuten auf 100 Prozent war jederzeit nachvollziehbar. Auffällig: Selbst bei einem SOC von 97 Prozent lag die ablesbare Ladeleistung noch bei über 32 kW. An der Ladekurve wurde also gewissermaßen das langsame Ende abgeschnitten.

Das führte in der Lebensrealität dazu, dass auch auf Autobahnraststätten gerne eingestöpselt wurde. Inzwischen sind die meisten Rastplätze mit mindestens 50 kW starken DC-Säulen ausgerüstet, und ein glücklicher Zufall wollte es, dass im knapp zweiwöchigen Testzeitraum kein einziger Standort blockiert oder ohne Funktion war. Ein Umstand, der leider immer noch erwähnt werden muss, weil er nicht die Regel ist, sondern die Ausnahme.

Minimal 63 km

In Norddeutschland beherrschten während des Tests viel Wind und Regen den Alltag. Der niedrigste Reichweitenwert betrug bei 5 Beaufort (in Böen 8) Gegenwind vom Kaltstart durch die City bis zur Autobahn A1 Richtung Bremen 63 Kilometer. Der höchste lag – immer noch bei grimmigen äußeren Bedingungen – bei 78 km. Das ist etwas weniger, als es die ausstattungsspezifische WLTP-Reichweite [1] von 82 km erhoffen lässt, aber mehr als bei den meisten anderen Plug-in-Hybriden. Der Stromverbrauch hochgerechnet auf 100 km und auf Basis von angenommenen 23 kWh Nettokapazität lag also zwischen etwa 29 und 36 kWh.

Sinnvoll für wen?

Niedrigere Werte waren auf der Landstraße ablesbar. Der GLE ist eben ein Riesenauto, das trotz gutem Luftwiderstandsbeiwert (cW 0,29) die große Stirnfläche nicht verleugnen kann, und 2655 kg Gewicht (inklusive Normfahrer und Gepäck) zeigen, dass die Konkurrenz in der Liga von Range Rover, Porsche Cayenne und Toyota Land Cruiser [2] zu suchen ist.

Gute Verbrauchswerte - gemessen am Format

Mit Geschmeidigkeit funktioniert der Übergang zum Diesel-hybridischen Betrieb. Der Selbstzünder läuft zwar deutlich rauer als der Elektromotor, aber der akustisch-vibratorische Schock, den frühe Dieselhybride ausgelöst haben, findet nicht statt. Im GLE 350 de passt alles zusammen, und die beinahe ruckfreie Fortbewegung unterstreicht das komfortabel-luxuriöse Grundgefühl. Die Bremsenergierückgewinnung bleibt selbstverständlich auch im Hybridmodus erhalten, und so ergeben sich Verbrauchswerte, die für ein Fahrzeug dieser Größen- und Gewichtsklasse gut sind: Bei Richtgeschwindigkeit liegt der Dieselkonsum bei etwa neun Litern. Minimal waren es auf Bundesstraßen 5,7 Liter. Zweistellig wird es erst, wenn man wirklich schnell fährt. Das ist machbar – entspricht aber nicht dem Wesen dieses Autos, mit dem man beim entspannten Gleiten immer noch zügig unterwegs ist.

Lobenswert ist einmal mehr die automatische Rekuperation. Sie verstellt – gesteuert über den Abstand zum Vordermann – die Bremsenergierückgewinnung von null auf scharf (bis 1800 Nm). Diese automatische Verzögerung wirkt intuitiv und so vorbildlich, dass sie wahrscheinlich von anderen Herstellern übernommen werden wird. Die Fahrautomatisierungssysteme sind auch sonst auf hohem Niveau. Die Abstandsregelung funktioniert perfekt, auf der Autobahn wird niemals rechts überholt, und der Fahrspurwechsel kann über den Blinker eingeleitet werden. Abstriche gab es trotzdem: Die Hands-off-detection ist zu sensibel und die Verkehrszeichenerkennung mit Geschwindigkeitsübernahme war nicht unter allen Umständen fehlerlos. Das kann und sollte besser werden.

Dass Mercedes dem GLE 350 de eine große Batterie gibt und sie dankenswerterweise DC-ladefähig macht, ist auch ein Ergebnis der gesetzlichen Vorgaben. Plug-in-Hybridautos müssen in Deutschland und anderen EU-Ländern Mindestauflagen erfüllen, um förderfähig zu sein. Für ein E-Kennzeichen etwa muss entweder die Reichweite über 40 km betragen, oder der CO2-Wert muss unter 50 Gramm pro Kilometer liegen. Nach dem aktuellen Verfahren WLTP wohlgemerkt, nicht nach NEFZ. Im WLTP wiederum werden die Daten ausstattungsindividuell erhoben. Der Testwagen war branchenüblich mit sehr vielen Extras versehen, was im Fahrzeugschein unter Position V.7 zu einem CO2-Wert von 46 g / km führt.

Für Kaufkräftige und Eigenstromerzeuger

Vom Mercedes GLE Baureihe V167 werden pro Monat gut 1000 Exemplare neu zugelassen. Angesichts des Grundpreises, der sich mithilfe der 78-seitigen Preisliste mühelos um mehrere 10.000 Euro erhöhen lässt, kann davon ausgegangen werden, dass die Unterhaltskosten für die Käufer zweitrangig sind. Die Kundschaft rekrutiert sich eher nicht aus Dienstwagenberechtigen, denen SUVs oder Geländewagen dieser Größe durch unternehmensinterne Car Policies meistens untersagt sind. Wahrscheinlicher sind gutverdienende Selbstständige, die von der auf 0,5 Prozent reduzierten Pauschalbesteuerung des geldwerten Vorteils der privaten Nutzung [3] profitieren.

Es gehört wenig Fantasie dazu, sich die Nutzergruppen vorzustellen: Gut situierte Landwirte, die selbst Strom erzeugen und regelmäßig schwere Anhänger ziehen. Geschäftliche Vielfahrer, die neugierig auch den technischen Fortschritt sind. Mediziner, die im knappen Wochenende in die Berge oder ans Meer wollen. Und alle anderen, bei denen Geld eine untergeordnete Rolle spielt, weil so viel davon vorhanden ist.

Bisher waren die Zulassungszahlen des Mercedes GLE 350 de gering. Der Plug-in-Hybrid wurde erst im September 2019 vorgestellt. Für die CO2-Flottenbilanz 2020 [4] der Daimler AG ist es besser, wenn die Autos jetzt erst auf die Straße kommen. Der Mercedes GLE 350 de könnte für die Fans von rein batterieelektrischen Antrieben eine Provokation sein. Im Alltag kommt er der Vision vom Besten aus zwei Welten wegen der DC-Schnellladefähigkeit und dem sparsamen Dieselmotor jedenfalls näher als viele andere Plug-in-Hybride. Und anders als bei besonders preisgünstigen Modellen von Mercedes gibt es hier noch die traditionellen Tugenden – ein solides, hochwertiges und detailverliebt gebautes Stück Technik.

Der Hersteller hat den Testwagen kostenfrei zur Verfügung gestellt und überführt. Der Autor hat die Fahrenergiekosten getragen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4658188

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Plug-in-Hybrid-Verbrauchsermittlung-im-WLTP-4225028.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Toyota-Land-Cruiser-Rueckblick-auf-60-Jahre-Offroad-Klassiker-1230602.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Plug-in-Hybride-vor-einem-Boom-4589635.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Der-CO2-Flottengrenzwert-2020-4614480.html