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Näherungsweise

Test: VW Arteon 2.0 TSI

Fahrberichte Martin Franz
VW Arteon

(Bild: Florian Pillau)

Der VW Arteon wird als eigenständiges Coupé vermarktet, doch die Basis bleibt stets erkennbar. Dies muss kein Fehler sein, wie ein Test mit dem 280-PS-Vierzylinder zeigt. Dazu kommen Talente, mit denen auf den ersten Blick kaum einer rechnet

Es ist schon viele, viele Jahre her, da war ich jede Woche Mitfahrer in einem der letzten Passat Fließheckmodelle, die gebaut wurden. Angetrieben wurde der Wagen von einem 2,2-Liter-Fünfzylinder mit K-Jetronic, der 136 PS leistet – die der Fahrer zum Gaudi, auch dem seiner jugendlichen Mitfahrer, oftmals komplett abrief. Nach fast 30 Jahren Pause hat VW wieder etwas Ähnliches im Sortiment, auch wenn die Bemühungen, die Eigenständigkeit des Arteon zu betonen, dem Zeitgeist entsprechend üppig sind. Doch der ist dem Passat in vielerlei Hinsicht ziemlich ähnlich, was nicht unbedingt schlecht sein muss.

Annäherung

Der Arteon bekam eine Hülle, die mit etwas Wohlwollen durchaus als eigenständig betrachtet werden kann. Sie wird vermutlich mehr Zuspruch bekommen als die eines VW Passat Stufenheck, was meiner Ansicht nach freilich nicht so schwer ist. Hierzulande war der nie mehrheitsfähig, global mag er seine Berechtigung haben. Ob man den Arteon nun ernsthaft als Coupé sehen möchte, sei jedem Betrachter überlassen. Meines Erachtens reicht das Weglassen von Scheibenrahmen dafür nicht. Ganz sicher verfängt das aber in einigen Köpfen, womit sich ein Auto mit Fließheck schlicht und ergreifend einfacher vermarkten lässt. Nach allem was wir derzeit wissen, werden sich Passat und Arteon im kommenden Sommer noch ähnlicher. Dann wird der Passat leicht überarbeitet.

Der Aufbau bringt aber keine praktischen Nachteile mit sich, was ihn durchaus zu einer überlegenswerten Alternative zum Passat macht. Durch seine große Heckklappe ist der riesige Arteon-Kofferraum sehr gut zu beladen. Mit 563 Litern ist er nur unwesentlich kleiner als der der Limousine, aber viel einfacher zu bestücken, sofern nicht gerade eine niedrige Garagendecke den Öffnungselan bremst. An den Kombi reicht er freilich nicht heran. Der ist mit 650 Litern nochmals deutlich größer.

Viel Platz

Der Arteon kontert mit einem grandiosen Platzangebot für die Insassen. Vor allem hinten ähnelt die Beinfreiheit fast der im Skoda Superb Combi [1]. Das lernt beispielsweise ein langbeiniger Papa mit einem Kleinkind, das mit ausgestreckten Beinchen hinter ihm sitzen muss, schnell schätzen. Anders ausgedrückt: Wenn zwei Menschen mit solch langen Beinen wie den meinen gut hintereinander sitzen können, muss schon ordentlich Raum da sein. Da sind die 5,1 cm mehr Radstand gegenüber dem Passat schon zu spüren. Dafür ist die Kopffreiheit hinten deutlich geringer als im Passat: Zum Stufenheck fehlen ihm nur rund 2,5 cm, zum Kombi aber fast 7 cm. Das 1180 Euro teure Schiebedach soll die Kopffreiheit im Arteon nicht weiter beschneiden, da es über die Dachhaut öffnet.

Gleichnis

An anderer Stelle sind die Unterschiede geradezu erstaunlich gering. Das Armaturenbrett stammt eins zu eins aus dem Passat. VW hat sich hier Aufwand an einer Stelle gespart, wo man es eigentlich nicht unbedingt erwartet hätte, blickt doch der Fahrer auf diese Landschaft öfter als auf das Äußere. Hier hätte VW die Eigenständigkeit des Arteon vergleichsweise einfach betonen können, doch diese Chance ist vertan. Schade eigentlich, denn so wurden auch kleine Schwächen übernommen, wie das etwas zu tief eingebaute Display in der Mittelkonsole. Etwas frischer Wind hätte dem Auto an dieser Stelle gutgetan, zumal die ganz grundsätzliche Gestaltung – man wagt es kaum zu schreiben – aus dem Jahr 2005 stammt. Seit dem wurden zwar immer mal wieder Details verändert, doch ein völlig neues Design gab es nicht mehr.

Auch im Innenraum hat der Arteon ein paar kleine Schwächen geerbt. Die Inhalte des Head-up-Displays werden auf eine kleine Scheibe gespiegelt, andere Hersteller lösen das mit einer direkten Projektion in die Frontscheibe eleganter. Die Verarbeitung im Testwagen war fast makellos, nur um die Führung der Kopfstützen war der Bezug unsauber vernäht. Das haben wir vor kurzem so schon im Skoda Kodiaq [2] gesehen. Außerdem finde ich die hintere Verkleidung der Kopfstützen auch hier unwürdig. Aus diesem Kunststoff baut VW ansonsten vermutlich nur Verkleidungen am Unterboden.

Aufpreispflichtig ist auch das Display als Kombiinstrument. Es ist vergleichsweise einfach zu konfigurieren - andere Hersteller verbauen dort größere Hürden. Zwei Dinge aber nerven auch bei längerem Gebrauch: Die ungleiche Tachoskalierung bis und ab 60 km/h und die fitzeligen Anzeigen für Kraftstoffvorrat und Temperatur des Kühlwassers. Dass VW die beiden Anzeigen noch einbaut, finde ich durchaus liebenswert. Doch wenn schon dieser Aufwand betrieben wird, dann sollten sie einfacher abzulesen sein.

Drehregler vermisst

Das teure Infotainmentsystem wurde vor einem Jahr aller Drehregler und fühlbaren Tasten beraubt. Das schaut gut aus, doch so schnell wie mit einem Drehregler verstellt man die Lautstärke nun halt nicht mehr. Noch mehr nervt mich allerdings, dass nun der kurze Zoom zur Orientierung viel umständlicher ist. Gut gefallen hat mir das Soundsystem. Es gibt feiner tönende Anlagen, doch mit dem, was VW hier von Dynaudio verbaut, kann man schon sehr zufrieden sein. Deutlich besserer Klang kostet dann auch erheblich mehr.

Im Testwagen waren elektrisch verstellbare Ergo-Sitze verbaut, die alle als sehr bequem empfanden. Leider behandelt VW die Beifahrer etwas stiefmütterlich: Anders als auf der Fahrerseite lässt sich dort weder die Länge der Sitzfläche verstellen noch gibt es eine Massagefunktion – schade eigentlich. Vorbildlich sind die Kopfstützen, die sowohl in vertikaler wie in horizontaler Position sicher arretieren. Leider ist das noch immer keine Selbstverständlichkeit.

Schöner Schein

Das Licht hat sich noch ein paar Zeilen verdient. Auch hier war der Testwagen mit der maximal möglichen Ausstattung versehen, die ich trotz erheblicher Zusatzkosten jedem Käufer wärmstens ans Herz lege. Unter den Assistenten gab es meines Erachtens bei diesem Thema in den vergangenen Jahren den größten Fortschritt. Die adaptiven Scheinwerfer sind etwas weniger hektisch als im Volvo XC60 [3], wenn es darum geht, den Gegenverkehr zu maskieren. Sie blenden weicher auf und ab, was auf Dauer noch angenehmer ist. Es ist schon großes Kino, wenn ein Auto vor einem fährt und gewissermaßen im Schatten bleibt, während der Straßenrand links und rechts ausgeleuchtet wird. Die starren Halogenleuchten in meinem Auto wirken im Vergleich dazu wie der Versuch, mit einer Kerze auf dem Cockpit die Straße auszuleuchten.

Der Unterschied ist brutal, und er geht offenbar nicht zulasten der anderen Verkehrsteilnehmer. Während in den kürzlich gefahrenen Peugeot 308 und Honda Civic [4] der Fernlichtassistent hin und wieder manuell überstimmt werden musste, war die Erkennung von anderen Verkehrsteilnehmern im VW nahezu perfekt. Beschwerden von Anderen gab es keine. Raum für Verbesserungen bleibt freilich auch im VW: In Ortschaften könnte automatisch abgeblendet werden, schließlich kennt das Auto ja seine Position. VW koppelt das laut Anleitung an die Geschwindigkeit: Die Fernlichtautomatik schaltet sich ab ca. 60 km/h ein und unterhalb von etwa 30 km/h wieder aus.

Im Testwagen war die stärkste Maschine installiert, die VW im Arteon derzeit anbietet. Der allseits bekannte Zweiliter-Vierzylinder leistet hier 280 PS und bietet ein maximales Drehmoment von 350 Nm. Beides liegt über einen sehr breiten Drehzahlbereich an. Doch der Maschine ist anzumerken, wie sehr der Turbolader ihr auf den Sattel helfen muss. Das Turboloch ist erheblich größer als beispielsweise im VW Golf mit dem neuen 1,5-Liter-Vierzylinder [5]. Das fällt umso mehr auf, weil es, liegt eine ausreichend hohe Drehzahl einmal an, sehr munter vorangeht. Die möglichen Fahrleistungen liegen erwartungsgemäß weit oberhalb dessen, was sich im öffentlichen Straßenverkehr unter normalen Umständen legal nutzen lässt.

Doch das zögerliche Ansprechverhalten ist stark gewöhnungsbedürftig, wenngleich das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe vieles kaschiert. Es schaltet meistens zum passenden Zeitpunkt und so sanft, dass man eine Wandlerautomatik vermuten könnte.

Keine Stimme

Wenn der Fahrer des eingangs beschriebenen Passat den Fünfzylinder forderte, war die für damalige Verhältnisse sehr nachdrückliche Beschleunigung nicht das einzige Highlight, das uns Buben erfreute. Der Fünfzylinder mit seiner knurrigen Tonlage ab 3000/min war ein richtiger “Euphoniker”. Es gibt nicht wenige Menschen, die meinen, diesseits eines Achtzylinders habe ein Fünfzylinder die schönste Stimme. Das bietet der Arteon nicht: Sein Vierzylinder bietet keine herausragende Tonlage, sondern gewöhnliches Vierzylinder-Gebrumm. VW ist damit nicht allein, die stärksten Vierzylinder-Benziner von Mercedes und BMW klingen ebenso gewöhnlich bis belanglos. Ich finde das bedauerlich, denn das Übermaß an Leistung tröstet manch einen zwar vielleicht, doch dieses Plus wäre für mich zu wenig, um den Aufpreis gegenüber den kleinen Maschinen zu rechtfertigen. Nochmals bessere Fahrleistungen reichen angesichts dessen, was schon mit 200 PS möglich ist, für mich als Argument nicht aus.

Kein Filter

VW verspricht im NEFZ 7,3 Liter, an die wir unter winterlichen Verhältnissen und mit einer 20-Zoll-Bereifung bis auf einen halben Liter herankamen. Doch unter acht Liter sind es realistisch im Alltag selten, mehr als zehn dagegen häufig. Insgesamt kamen wir auf einen Schnitt von 10,3 Liter. VW bietet als einer der Ersten Partikelfilter für Benziner ab Werk an, allerdings nicht für diese Maschine. Wie überall ist das auch hier kein feiner Zug, denn 2018 wird der Filter auf breiter Front kommen – wer jetzt kauft, muss auf eine Nachrüstlösung hoffen. Oder darauf, dass die nächste Sau, die im großen Stil durchs mediale Dorf getrieben wird, nicht die Feinstaubbelastung ist. Denn dann könnte jemand darauf kommen, dafür auch direkt einspritzende Benziner verantwortlich zu machen.

Als ich den Testwagen erstmals auf dem Parkplatz der Redaktion sah, stellte ich mich innerlich auf harte Zeiten ein. Denn eine 35er Flankenhöhe auf einer 20-Zoll-Felge bedeutet, etwas überspitzt formuliert, dass nur ein dünner Gummibezug auf dem Rad montiert ist. Als Federelement fällt der Reifen damit praktisch aus. Doch an dieser Stelle überrascht der Arteon wirklich. Ihm französische Nachgiebigkeit vergangener Tage zu bescheinigen, wäre zwar stark übertrieben, doch der Arteon bietet weit mehr als nur Restkomfort. Die Federung spricht fein an und filtert kleine Verwerfungen gekonnt heraus. Sie sind wesentlich häufiger und damit entscheidender für den Gesamteindruck als die Reaktion auf grobe Unebenheiten. Die sind im Arteon spürbar, aber auch hier zeigt der Wagen einen Komfort, den ich ihm nicht zugetraut hätte. Dabei bleibt der Wagen trotzdem handlich, was auch seiner guten Lenkung zu verdanken ist.

Leise

Da der Arteon selbst bei 160 km/h noch angenehm leise ist, lässt es sich auch dann ganz passabel reisen, wenn der Weg nicht Ziel, sondern Last ist. Im Testwagen, dies sei nicht verschwiegen, war allerdings auch das 550 Euro teure „Akustikpaket“ eingebaut. Es enthält Verbundglasscheiben, die Windgeräusche besser dämmen sollen.

VW bietet den Arteon derzeit mit jeweils drei Benzinern und Dieselmotoren an, die teilweise mit drei Ausstattungslinien kombiniert werden können. Allerdings gibt es dabei einige Einschränkungen: Die Basisversion lässt sich nur mit den 150-PS-Motoren ordern. Die teureren Linien „Elegance“ und „R-Line“ gibt es wiederum nicht mit dem 150 PS-Benziner. Dem werden so eine ganze Reihe von Optionen vorenthalten. Dazu zählen beispielsweise Head-up-Display, Schiebedach, Abstandstempomat, adaptives Fahrwerk, das gute Licht, das große Navi, Digitalradio und Soundsystem - all das und noch mehr gibt es für die Basis-Ausstattungslinie nicht. Kein feiner Zug von VW, den Kunden so zu den teuren Linien und Motoren lotsen zu wollen.

Herzhafte Ansage

Mit dem von uns gefahrenen 280-PS-Benziner kostet der Arteon mindestens 50.100 Euro. Der dafür mitgelieferte Ausstattungsumfang ist eher übersichtlich. Für diese Summe selbst für eine Klimaautomatik extra zu kassieren, ist schon eine herzhafte Ansage. Der umfangreich, wenngleich nicht voll ausgestattete Testwagen kam auf einen Listenpreis von mehr als 65.000 Euro.

Andererseits wird der Arteon ohnehin nicht als Modell für besonders kühle Rechner positioniert. Er ist deutlich teurer als ein in etwa vergleichbarer Passat, was natürlich zum Konzept gehört. VW vermarktet ihn als eigenständiges Modell – oberhalb vom Passat. Dass er sich von dem an kaum einer Stelle so recht absetzen kann, macht nachdenklich. Doch andererseits es gibt in dieser Klasse durchaus weniger gut gemachte Ausgangsbasen als den Passat.

Die Kosten für die Überführung wurden von VW übernommen, jene für Kraftstoff vom Autor.


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Im-Test-Skoda-Superb-Combi-1-4-TSI-ACT-3305923.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Im-Test-Skoda-Kodiaq-2-0-TDI-3891046.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Test-Volvo-XC60-D4-3862511.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Im-Test-Honda-Civic-1-0-VTEC-Turbo-CVT-3898332.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Test-VW-Golf-1-5-TSI-ACT-3751530.html