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Der neue Sandero ist nach wie vor preisgünstig, aber technisch auf Höhe der Zeit

Wie schlägt sich der neue Dacia Sandero?

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In Form gebracht: Mit ansprechendem Äußeren rollt die nächste Sandero-Generation an den Start.

Kein Neuwagen auf dem deutschen Markt ist billiger: Schon ab 6990 Euro bekommt man einen Dacia Sandero. Wie steht es um die Qualitäten der zweiten Generation? So viel sei vorweggenommen: Technisch ist er auf der Höhe der Zeit

Malaga (Spanien), 19. November 2012 – Ganz Europa spricht in diesen Tagen von Rettungsschirmen. Renaults Rettungsschirm kommt seit 2004 aus Rumänien und heißt Dacia. In den vergangenen acht Jahren konnte die Billigmarke ihren Absatz um den Faktor 15 erhöhen. Neue Modelle zum Kampfpreis halten die Mutter Renault über Wasser. Eine Analyse der US-Investmentbank Morgan Stanley zeigt das deutlich: In den kommenden Jahren wird Dacia etwa 80 Prozent zum operativen Gewinn im Autogeschäft des Konzerns beisteuern. Einen gehörigen Anteil daran hat der Sandero: Allein in Deutschland wurden seit seinem Debüt vor vier Jahren 96.000 Fahrzeuge verkauft. Nun wird der Sandero samt seinem Ableger Sandero Stepway komplett erneuert. Wir haben den günstigen Kleinwagen unter die Lupe genommen.

Gar nicht mehr armselig

Beim Sandero, dem Sandero Stepway und der nicht in Deutschland angebotenen Limousine Logan handelt es sich um den ersten Generationswechsel in der jüngeren Geschichte von Dacia. Im Fall des Sandero äußerst sich das unter anderem einen Längenzuwachs um rund vier Zentimeter auf jetzt 4,06 Meter. Überraschend: Entgegen dem allgemeinen Trend wurde die Breite um 1,3 Zentimeter verringert. Eine durchdachte Sache ist die großzügige Bodenfreiheit von über 16 Zentimeter plus Steinschlagschutz am Unterboden und in den Radhäusern. Ganz klar, der Sandero ist für grobe Straßenverhältnisse in Ost- und Südeuropa konstruiert. Aber unter uns: Deutsche Straßen sind auch nicht mehr viel besser. Unübersehbar ist die ansehnliche Optik des Sandero. Geschickt gesetzte Blechfalze sowie eine neue Front- und Heckpartie machen den Wagen richtig attraktiv. Dabei bleibt der Dacia aus Kostengründen angenehm sachlich, große Fensterflächen sorgen für gute Sichtverhältnisse. Wir würden uns allerdings stabile Bügeltürgriffe statt der verwendeten Klapplösung wünschen. Ebenfalls eher unpraktisch: Zum Öffnen der Heckklappe gibt es keinen eigenen Griff, was für schmutzige Finger sorgen kann. Unter dem Strich sind das aber nur Kleinigkeiten. Fakt ist: Nach Armut sieht der neue Sandero nicht mehr aus.

Navi zum Kampfpreis

Dieser Eindruck setzt sich im Innenraum fort. Unsere Hand streicht zwar über kostengünstiges Hartplastik, doch die Kunststofflandschaft ist durchaus appetitlich angerichtet. In der von uns gefahrenen Topversion Laureaté zieren Chromrahmen die Instrumente, hinzu kommen im Bereich der Mittelkonsole Zierleisten in Metalloptik. Dort stoßen wir auf ein Highlight des neuen Sandero in Gestalt des Multimediasystems samt Navigation. Es lässt sich per Sieben-Zoll-Touchscreen simpel bedienen, statt eines CD-Laufwerks gibt es einen USB-Anschluss. Die Navigation erfolgt besser als bei manch teuerem System. Der Preis ist nämlich ein echter Hammer: Gerade einmal 180 Euro ruft Dacia auf, für nochmals 99 Euro kommt Kartenmaterial für Europa dazu. Macht zusammen 279 Euro. Es gibt Hersteller, bei denen man hier hinten noch eine Null anfügen muss. Leider ist das Knüller-Navi nur für die Topversion des Sandero erhältlich, ebenso wie der erste echte Tempomat von Dacia. Der ist mit 230 Euro ebenfalls günstig, im Preis inklusive ist sogar ein Lederlenkrad mit Bedientasten für die Geschwindigkeitsregelung. Radio und Co. werden hingegen über den altbekannten Satelliten hinter dem Lenkrad gesteuert. Die Schalter der vorderen elektrischen Fensterheber sind unpraktisch in der Mittelkonsole montiert, die sauber einrastenden Drehregler der Klimaanlage sitzen eine Spur zu tief und das Navidisplay ist je nach Sonneneinstrahlung kaum ablesbar.

Genügend Platz

Kein Grund zur Klage bieten die Platzverhältnisse: Sowohl über dem Kopf als auch neben den Armen bleibt genügend Luft. Allerdings sind die Sitze für Fahrer und Beifahrer ein echter Schwachpunkt des Sandero. Sie sind zu weich gepolstert, zudem ist die Lehne etwas kurz geraten, was den Langstreckenkomfort deutlich schmälert. Im Fond sitzt man bequem, nur bei weit nach hinten geschobenen Vordersitzen wird es eng. Aber vergessen wir nicht, der Sandero spielt in der Kleinwagenklasse. Dort kann sich das Kofferraumvolumen absolut sehen lassen: Zwischen 320 und 1200 Liter Stauraum bietet das Heck. Zum Vergleich: In den VW Polo passen im Normalzustand nur 280 Liter Gepäck. Die Lehnen der Rücksitze sind geteilt umlegbar, dann entsteht eine leicht schräge Fläche. Leider kann die Sitzfläche nur im Ganzen umgeklappt werden. Punktabzüge gibt es für die Ladekante aus nacktem Blech, die den Kostendruck bei der Produktion zeigt.

Überraschungs-Kraft-Ei

Unter der Motorhaube steckt eine echte Überraschung: Außer dem alt bewährten 75-PS-Einstiegs-Otto ist auch der brandneue, aus dem ganz frischen Renault Clio bekannte Turbobenziner mit 0,9 Liter Hubraum und 90 PS im Programm. Das kleine Motörchen entpuppt sich als wahrer Freudenspender, zumal der Sandero inklusive 75-Kilogramm-Fahrer nur knapp über eine Tonne wiegt. Leise und flott beschleunigt der Dreizylinder auf Tempo 100, das klassische Rasseln von drei Töpfen ist kaum wahrnehmbar. Dazu passt das mit Ausnahme des Rückwärtsgangs gut schaltbare Fünfgang-Getriebe. Erst bei rund 120 km/h geht dem Motor langsam die ganz große Puste aus. Macht aber nichts, weil die Windgeräusche jetzt sowieso dominieren. Auch an Steigungen verlässt die 900er-Maschine der Mut, die serienmäßige Schaltanzeige bittet um einen niedrigeren Gang. Im Unterschied zum Clio ist beim Sandero kein Start-Stopp-System an Bord. Stattdessen gibt es eine Eco-Taste, welche Motorleistung, Drehmoment und Klimaanlage drosselt. Der Spareffekt beim Verbrauch soll gut zehn Prozent betragen. Mit einem kräftigen Tritt aufs Gaspedal sind dann alle Pferdestärken wieder versammelt.

Ausgewogen ist das Sandero-Fahrwerk, nur grobe Stöße sind im Innenraum spürbar. Netterweise entzieht sich Dacia der allgemeinen Mode einer straffen Abstimmung. So etwas würde auf rumänischen Rumpelpisten auch wenig Sinn ergeben. Etwas mehr Zielgenauigkeit könnte hingegen die Lenkung vertragen, speziell in der Mittellage wirkt sie zu indifferent. Alle Sandero und Sandero Stepway haben jetzt neben vier Airbags ein ESP serienmäßig an Bord. Zu verdanken ist das der ESP-Pflicht, die seit November 2011 für alle Autos gilt, die neu homologiert werden. Eingreifen muss das System aber nur selten, selbst in zügig gefahrenen Kurven bleibt der Sandero sicher beherrschbar.

Robuster Bruder

In Sachen Beliebtheit ist der Stepway der Star im Sandero-Programm. 60 Prozent der Kunden wählten bisher die Variante mit der robusten Optik. Man kann das verstehen, denn der Stepway verbindet handfeste Vorteile mit einem interessanten Aussehen. Vier Zentimeter mehr Bodenfreiheit gegenüber dem Sandero und Seitenschweller plus Radläufe aus Kunststoff können im Alltag durchaus hilfreich sein. Hinzu kommen 16-Zoll-Räder, eine Dachreling und Schürzen im SUV-Look. Für eine Stepway-Testrunde stand der Diesel mit 90 PS bereit. Er gefällt mit flottem Antritt, der jedoch von einem unüberhörbaren Turbopfeifen unterlegt wird. Auf der Autobahn bleibt der Selbstzünder hingegen akustisch unauffällig und kann, wenngleich eher geruhsam, noch Tempo nachlegen. Trotz der Höherlegung und der größeren Räder bleibt der Fahrkomfort auf demselben guten Niveau wie beim normalen Sandero. Allerdings spielt der Diesel mit etwas über zehn Prozent Verkaufsanteil im Sandero-Angebot eine Nischenrolle. Der Grund dürfte der Preis sein, der fast 2000 Euro über dem gleich starken Benziner liegt. Eine interessante Alternative für Vielfahrer ist der mit Flüssiggas betriebene 75-PS-Benziner, den es nur im Sandero gibt. Der kostet in guter Ausstattung nur 9790 Euro.

Preisansage

Das Preisbeispiel zeigt, dass Dacia auch beim neuen Sandero nicht zum Wucher neigt. Im Gegenteil: Günstiger geht es kaum. 10.090 Euro ruft die Marke für den 90-PS-Turbobenziner in der Sandero-Topversion Laureaté auf. Inklusive sind hier unter anderem elektrische Fensterheber vorne, eine Zentralverriegelung mit Funkbedienung, ein Radio mit USB-Anschluss und Bediensatellit am Lenkrad, aber auch Nebelscheinwerfer sowie ein Bordcomputer, jedoch noch keine Klimaanlage. Den kompletten Luxus bietet die für den Stepway erhältliche Prestige-Variante. Hier ist Vollausstattung angesagt: Navisystem mit Freisprecheinrichtung, Klimaanlage, Einparkhilfe hinten, Tempomat oder auch elektrische Fensterheber hinten. Typisch für Dacia: Es werden nur sinnvolle Extras angeboten, die der Kunde braucht. Das vereinfacht nicht nur die Produktion, sondern senkt auch die Aufpreise. Hochgerüstet auf das Level des Stepway Prestige, kostet der normale Sandero 11.540 Euro, also 450 Euro weniger als der Stepway. So lohnt sich der Griff zum Stepway, drei Jahre Garantie stärken das Vertrauen in den kompakten Preisknüller. Im Januar 2013 rollt der neue Sandero zum Händler, im gleichen Jahr soll ein Sandero Kombi als Nachfolger des Logan MCV erscheinen.

Wagen fürs Volk?

Wir fassen zusammen: Die nette Stepway-Optik plus modernem Motor und kompletter Ausstattung bietet Dacia für 11.990 Euro an. Sie wollen wissen, was es für das Geld bei VW gibt? Einen Polo schon mal gar nicht, der beginnt als Fünftürer mit Magerausstattung und 60 PS bei 13.220 Euro. Vergleichbar mit dem Sandero Stepway ist der VW CrossPolo. Alle mal festhalten: Mit ebenfalls 90 PS und vergleichbaren Extras inklusive kostet dieser fast 9000 Euro mehr. Dafür könnte man sich bei Dacia noch einen einfachen Sandero holen. Ja, gibt's denn bei Volkswagen gar nichts für 12.000 Euro? Doch: Einen VW Move Up mit 75 PS und fünf Türen – ohne Radio, ohne Klimaanlage, mit nur zwei Jahren Gewährleistung.


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