Die Nacht, in der die Daten starben

Welchen Einfluss hatte digitales Doping auf den US-Wahlkampf? Diese Frage wird uns im nächsten Jahr bei der Bundestagswahl mehr beschäftigen, als uns lieb sein kann.

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Als ich Dienstagabend zu Bett ging, erklärten mir die Öffentlich-rechtlichen: Hillary Clinton müsse nur noch einen einzigen von rund einem halben Dutzend Wackel-Staaten gewinnen, dann sei sie praktisch durch. Als ich Mittwochmorgen das Radio anschaltete … Den Rest kennen Sie.

„Data died tonight“, twitterte Mike Murphy, Analyst beim Nachrichtensender NBC. Selbst Daten-Guru Nate Silver, der schon oft bemerkenswert richtig lag, sah Clinton noch am Morgen der Wahl mit einer Wahrscheinlichkeit von 71,4 Prozent als neue Präsidentin. Der Mensch hat sich wieder einmal als unberechenbarer erwiesen, als es uns die Big-Data-Fraktion weismachen will. Das kann man auch – Trump hin oder her – ganz beruhigend finden.

Was damit noch nicht geklärt ist: Welchen Einfluss hatte digitales Doping auf den Wahlkampf? Diese Frage wird uns im nächsten Jahr bei der Bundestagswahl mehr beschäftigen, als uns lieb sein kann.

Schon früh haben gerade die Demokraten auf Big Data zur Unterstützung ihrer Kampagnen gesetzt. Bei Obama hat das zwei Mal glänzend funktioniert, bei Clinton nun offensichtlich nicht mehr. Auch dies hat eine beruhigende Seite: Selbst mit den schlauesten Leuten, den größten Datenbanken und den ausgefuchstesten Algorithmen lassen sich Wahlsiege nicht einfach herbeiprogrammieren. Über den Nutzen von Big Data im Wahlkampf ist durch die Clinton-Niederlage übrigens wenig gesagt: Vielleicht hätte sie ohne ja noch höher verloren.

Eine weitere häufig geäußerte Sorge beim Thema Wahlkampf und Daten: Konzerne wie Google und Facebook könnten ihre Nutzer manipulieren – etwa, indem Facebook nur Anhänger einer bestimmten politischen Richtung eine Wahlaufforderung zukommen lässt. Diese Gefahr sollte man durchaus ernst nehmen. Da ich dem Silicon Valley – abgesehen von Peter Thiel – eine gewisse Distanz zu Donald Trump unterstelle, schließe ich aus dessen Wahlsieg: Die Konzerne haben es entweder nicht gemacht, oder es hat nichts gebracht. Beides wäre eine gute Nachricht.

Der Algorithmus, der die eigenen Filterblasen sauber hält, funktioniert hingegen wie eh und je: Der Online-Journalist Wolfgang Blau wundert sich, dass unter seinen 2700 Facebook-Freunden aus verschiedenen politischen Spektren nicht ein einziger die Trump-Wahl bejubelte. „Ich nehme an, dass es ein anderes Segment von Facebook-Nutzern gibt, die nur triumphierende und keine besorgten Posts sehen.“

Noch beunruhigender finde ich folgende Zahl: Forscher der University of Southern California haben herausgefunden, dass sich allein auf Twitter 400.000 Social Bots in die politische Debatte einmischen und für 20 Prozent aller Wahlkampf-Tweets sorgen. Sie lassen sich nur schwer von menschlichen Posts unterscheiden. 75 Prozent von ihnen unterstützten Trump.

In der mazedonischen Kleinstadt Veles hat sich nach Recherchen von Buzzfeed sogar eine ganze Industrie gebildet, die von Angriffen auf Hillary Clinton lebt. Das Geschäftsmodell funktioniert so: Junge Leute stellen skandalheischende erfundene oder geklaute Geschichten auf eigens dafür eingerichtete Webseiten mit amerikanisch klingenden Namen wie WorldPoliticus.com, TrumpVision365.com oder USConservativeToday.com.

Dann posten sie die Geschichten auf Facebook, um Traffic auf ihre Seiten zu lenken. Dort können sie dann Geld mit Werbebannern verdienen. Buzzfeed hat rund hundert solche Seiten ausgemacht. Vier ihrer fünf erfolgreichsten Meldungen waren falsch. Trotzdem erzeugten sie gemeinsam mehr als eine Millionen Shares, Reaktionen oder Kommentare auf Facebook.

Ob Clinton oder Trump die USA reagieren, ist den mazedonischen Clickfischern laut Buzzfeed völlig egal. Warum dann also diese Fixierung auf Clinton? Ganz einfach: Clinton-Bashing erzeugt erfahrungsgemäß mehr Traffic. Vielleicht sollte man künftig in Mazedonien nachfragen, wenn man eine gute Wahlprognose haben möchte. (grh)