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Noch mehr Tote durch Schlangenbisse

Inge Wünnenberg

100.000 Menschen sterben weltweit jedes Jahr an Schlangenbissen. Nun, da der französische Pharmakonzern Sanofi Pasteur die Herstellung des Antiserums "Fav-Afrique" eingestellt hat, droht die Zahl der Toten zu steigen.

Die Suche nach einer geeigneten Therapie für eine sonst tödliche Krankheit setzt Forscher oft unter Druck. Denn die Not der Betroffenen ist groß. Ähnlich ist es bei den Opfern von Schlangenbissen. Während in Deutschland beinahe über jeden Vorfall in den Zeitungen berichtet wird, sterben jedes Jahr weltweit etwa 100.000 Menschen quasi von der globalen Öffentlichkeit unbemerkt an den Folgen eines Schlangenbisses. Allein in den Ländern Afrikas südlich der Sahara sind es 30.000 Tote im Jahr, schätzt die Nothilfeorganisation Ärzte ohne Grenzen [1].

Die Zahlen könnten allerdings in naher Zukunft noch steigen. Denn in diesem Jahr wird der Region im Süden Afrikas das wichtigste Antiserum ausgehen, das nicht auf eine einzelne Schlangenart spezialisiert war. "Fav-Afrique" vom französischen Pharmakonzern Sanofi Pasteur war vielmehr vielfältig einsetzbar gegen die Gifte der zehn häufigsten Schlangen Afrikas – darunter Vipern, Mambas und Kobras.

Doch seit einigen Jahren wird das Präparat nicht mehr hergestellt und 2016 läuft die Haltbarkeit der Restbestände ab. An der Herstellung solcher Gegengifte hat sich seit Ende des 19. Jahrhunderts wenig geändert, seit der französische Arzt Albert Calmette das Verfahren entwickelte: Das aus Schlangen gewonnene Gift wird Pferden oder Schafen in immer größeren Dosen gespritzt. Dies führt zur Bildung von Antikörpern, die an die Toxine binden und sie neutralisieren. Am Ende produzieren die Tiere große Mengen Antikörper, die dann aus ihrem Blut gewonnen werden.

Obwohl die Produktion von den Experten vielfach als sicher, wirksam und günstig eingeschätzt wird, wie das Magazin Spektrum [2] auf seiner Webseite berichtet, hat sich die Herstellung für Sanofi Pasteur nicht mehr gelohnt. Zu viele Konkurrenzprodukte hätten sich verbeitet, sodass die Nachfrage nach "Fav-Afrique" auf ein Sechstel zurückgegangen sei, teilte das Pharmaunternehmen dem Deutschlandfunk [3] mit. Doch glaubt man Ärzte ohne Grenzen, ist die "Wirksamkeit und Sicherheit" jener Gegengifte bislang noch nicht ausreichend nachgewiesen.

Wie es nun weitergeht, ist ungewiss. Auch die Spezialisten für Schlangenbisse sind sich uneins, wie ihre Zusammenkunft im Rahmen der Weltgesundheitsversammlung im vergangenen Mai zeigte. Einige sehen den Ausweg in der synthetischen Biologie, andere wollten mit Hightech-Tools eine neue Generation von Breitbandgegengiften entwickeln. Kritiker dieser Alternativen glauben, solche Gegengifte müssten Zehntausende von Dollars kosten, um sie überhaupt produzieren zu können.

Letztlich aber ist unglaublich, dass es überhaupt zu einer solch prekären Situation kommen konnte. Dass die Herstellung des einzigen Gegengifts für eine größere Anzahl der in Afrika möglichen Schlangenbisse, von dem wir laut Ärzte ohne Grenzen heute wissen, das es wirksam und sicher ist, eingestellt wurde. Vielleicht wird es in vielen Jahren einige Mittel geben, die mit den modernsten Methoden hergestellt sein werden. Nur: Was werden sie kosten – und wie viele Menschen werden bis dahin an Schlangenbissen sterben, für die gerade kein wirksames Antiserum zur Verfügung steht? (inwu [4])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3493779

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/fehlende-antiseren-gegen-schlangenbisse
[2] http://www.spektrum.de/news/zu-wenig-gegengift-gegen-schlangenbisse/1425538
[3] http://www.deutschlandradiokultur.de/afrika-ohne-antiserum-kein-gegengift-bei-schlangenbissen.976.de.html?dram%3Aarticle_id=363459
[4] mailto:inwu@heise.de