Prozessorgeflüster

IBM ist auf dem Weg zu Petaflop-Computern - nicht mit BlueGene, sondern mit Cell -, Sun skizziert den Niagara 2 und Intel baut ab, verkauft dies und das, aber nicht die Halbleitersparte. Das tat einst Motorola, und um Freescale tobt jetzt eine Bieterschlacht im Free-Style-Ringen.

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Von
  • Andreas Stiller

Während sich die Sony Playstation 3 zumindest bei uns in Europa bis ins nächste Jahr verspätet (was laut Sony nicht an Produktionsproblemen mit dem Cell-Prozessor, sondern mit den blauen Laser-Dioden liegt) macht IBM zum einen mit dem Cell-Opteron-Supercomputer „Roadrunner“ - also mit meep-meep - von sich reden, zum andern aber auch mit wee-wee („Pipi machen“), denn so werden im angloamerikanischen Raum die neuen Nintendo-Konsolen Wii ausgesprochen. Für diese ist jetzt die Volumenauslieferung der PowerPC-Prozessoren namens „Broadway“ angelaufen, höchste Zeit, damit Nintendo noch rechtzeitig ins Weihnachtsgeschäft kommt. Broadway ist im Wesentlichen eine verbesserte und auf 729 MHz beschleunigte Fassung des Vorgänger-Prozessors Gekko, der die aktuellen Nintendo-Konsolen antreibt.

Doch während sich Wii weniger durch pure Rechenpower als vielmehr durch ein attraktives Bedienkonzept auszeichnen will, ist der geringfügig größere und teurere Roadrunner weniger handlich und dafür massiv aufs Zahlenknacken ausgerichtet. Denn IBM gewann mit dem Hybrid-Angebot die erste große Ausschreibung im Rahmen der amerikanischen Petaflop-Offensive. Am Los Alamos National Laboratory sollen 32 000 Prozessoren die Petaflop/s-Grenze durchbrechen: 16 000 Cell-B.E.-Chips zusammen mit 16 000 Opteron-Cores.

Die Opterons will IBM in handelsübliche Server (x3755) verpacken und die Cell-Chips in jetzt zur Auslieferung anstehende BladeCenter-H-Systeme. Ende des Jahres soll der Aufbau in einer 1100 m2 großen Halle beginnen und 2008 abgeschlossen sein. Bis dahin sind sicherlich AMD-Quadcores als Option eingeplant und wahrscheinlich auch neue Cell-Prozessoren. Denn anders lässt sich die avisierte Gleitkommaperformance von 1,6 Petaflop/s kaum realisieren.

Derzeitige Opterons, etwa die im schnellsten damit bestückten Supercomputer Tsubame im Tokioer Technologieinstitut, kämen mit 16 000 Kernen vielleicht gerade mal auf 0,07 PFlop/s, gemessen in echter DP-Linpack-Leistung. Sie tragen also nicht so arg viel zur Gesamtrechenleistung bei und dienen wohl mehr als Versorgungsstationen für die Cell-Kollegen. Aktuelle Cell-B.E.-Prozessoren wären jedoch allenfalls bei Berechnungen in einfacher Genauigkeit (Single-Precision) zu einer solchen Petaflop-Leistung in der Lage - doch einfache Genauigkeit wird im wissenschaftlichen Lager und somit auch für die Rangfolge in der Top500-Liste kaum ernst genommen. Mit doppelter Genauigkeit und einem damit denkbaren theoretischen Wert von immerhin 25 GFlop/s pro Cell-Prozessor ist man jedoch immer noch weit von obigem Ziel entfernt - und so steht zu vermuten, dass IBM schon die neue Cell-Plus-Generation eingeplant hat, mit optimierter FPU für doppelte Genauigkeit sowie vergrößertem lokalem Speicher.

Roadrunner - so lautete übrigens mal vor Urzeiten (1988) der Codename für urige Workstations von Sun mit 386-Prozessor, ja ja, die gabs auch mal: Sun 386i/150 und 250. Damals konnte man mit Müh und Not und dank des virtuellen Modus des Prozessors einen 8088-PC darauf emulieren. Heute setzt Sun lieber auf die voll kompatiblen Opteron-Server, bastelt aber weiterhin noch an der SPARC-Architektur. Der ursprünglich geplante UltraSPARC IIIi+ (Serrano) wurde aber, so scheints, gestrichen, jedenfalls sind die neuen Sun-Fire-Einstiegsserver V125/V215/V245/V445 noch mit dem IIIi (Jalapeno) bestückt. Aber bei dem Multicore-Prozessor Niagara soll es kräftig vorangehen: als Version 2 mit acht Threads pro Core. Vor allem aber wurde an der reichlich kritisierten Gleitkommaschwäche des Niagara gearbeitet: Bald bekommt jeder Kern seine eigene FPU sowie einen Krypto-Coprozessor.

Acht Kerne wie bei Niagara auf einem Chip, das hat die Konkurrenz noch nicht - nur vier in einem Modul, aber die haben es in sich. Von Intels Quad-Core Kensington sind jetzt die ersten Benchmark-Ergebnisse im Internet aufgetaucht. Die Kollegen von Toms Hardware haben den Musterchip auch auf 3,3 GHz hochgepusht, er benötigt damit zum Beispiel beim H.264-Encoder-Benchmark nur 1:49 Minuten. Zum Vergleich: Der Core 2 Duo x6800 braucht für den gleichen Job 3:27 Minuten.

Offizielle News von Intel gibts auch: So ist jetzt das Business-Programm vPro angelaufen, mit neuen Büro-Plattformen rund um den Q965-Chipsatz (s. S. 22, c't 20/06). Ansonsten sind von Intel aber eher traurige Nachrichten zu vermelden. Geschäftsführer Otellini hat den Abbau von über 10 000 Arbeitsplätzen verkündet - zunächst vornehmlich im Management, Marketing und der internen EDV. Außerdem sind weitere Verkäufe von Sparten geplant. So trennte man sich jetzt auch vom Bereich der optischen Netzwerkkomponenten, den die kalifornische Firma Cortina Systems akquirierte. Dieser Verkauf betrifft nur zu einem geringen Maße die kleine Intel-Niederlassung in Braunschweig, die sich inzwischen weitgehend von optischen Netzwerkkomponenten getrennt hat und jetzt überwiegend für das Prototyping im Rahmen der Multicore-Entwicklung verantwortlich zeichnet.

In den großen Produktionsstandorten wie Leixlip in Irland und Kiryat Gat in Israel sitzen die Arbeitnehmer indes weiterhin auf heißen Kohlen, denn bei der Herstellung will Intel erst im nächsten Jahr „aufräumen“. Wirtschaftlich sieht es derzeit tatsächlich nicht so topp aus. Zwar ist Intel im Halbleitergeschäft mit über sieben Milliarden Dollar Quartalsumsatz immer noch einsam und allein an der Spitze, hat aber gegenüber der Konkurrenz gut zwölf Prozent an Boden verloren. Vor allem die koreanische Firma Hynix konnte sich deutlich verbessern (+17 Prozent).

Und im Halbleitermittelfeld auf den Plätzen 8 und 9 bahnt sich vielleicht eine neue Fusion an. Jedenfalls bemüht sich das Investmenthaus Kohlberg Kravis Roberts & Co. zusammen mit anderen Investoren um Freescale - mit einer Bieterschlacht, wie sie die Wall Street lange nicht mehr gesehen hat. Nur Minuten vor dem Zuschlag an ein konkurrierendes Konsortium rund um Telecom-Investor Blackstone Group haben KKR und Co. ein neues Angebot unterbreitet - man spricht von 16 Milliarden Dollar. Die Geschäftsführung von Freescale will das Angebot jetzt erst einmal prüfen und hat die Bieterfrist um 30 Tage verlängert. Kürzlich hat KKR mit einer anderen Investorengruppe die Philips-Halbleiter-Sparte übernommen. Und die hat jetzt auch einen neuen Namen bekommen: NXP für Next Experience. An die ruhmvolle über 50-jährige Geschichte der Firma erinnert jetzt nur noch die Unterzeile: Founded by Philips. (as) (as)