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Streit ums künstliche Leben

Niels Boeing

Die Gemeinde der synthetischen Biologen lässt eine Selbstverpflichtung ausarbeiten - und 35 Bürgerrechtsgruppen kanzeln das Vorhaben als arrogantes Manöver ab. Wer gehorcht hier eigentlich mehr den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie?

Wie sieht verantwortungsvolle Wissenschaft aus? Die neue Zunft der synthetischen Biologen [1] wollte auf der kürzlich abgehaltenen Konferenz „Synthetic Biology 2.0“ [2] in Berkeley wohl mit gutem Beispiel vorangehen. Drei Wissenschaftler der Goldman School of Public Policy von der Universität Berkeley hatten deshalb eine 70-seitige Selbstverpflichtung für die Synth-Bio-Gemeinde ausgearbeitet. Titel: „From Understanding to Action: Community-Based Options for Improving Safety and Security in Synthetic Biology“ [3].

Teil des Entwurfs waren Vereinbarungen, nach denen etwa ein System eingeführt werden sollte, in dem dubiose Bestellungen von Genmaterial bei entsprechenden Herstellern festgestellt und überwacht werden könnten. Die Gemeinde wurde außerdem dazu angehalten, zweifelhafte Forschungsarbeiten an eine zu schaffende Clearingstelle zu melden.

Eigentlich ein vernünftiger Schritt: Denn zu riskant erscheint vielen die Forschung an künstlichen Mikroorganismen, deren Techniken gar zu unvorhersehbaren neuen B-Waffen führen könnte.

Doch wer gedacht hätte, die Szene der Biotech-Kritiker würde hier einmal applaudieren, hatte sich getäuscht. In einem Offenen Brief [4] forderten 35 Bürgerrechtsgruppen die Konferenz auf, den Entwurf fallen zu lassen. Begründung: Die Wissenschaftler würden sich zu ihrem eigenen Richter aufspielen, so Sue Mayer von GeneWatch UK. Die Selbstverpflichtung diene nur dem Ziel, eine öffentliche Debatte sowie Regulierungsschritte seitens staatlicher Behörden von vorneherein abzuwürgen. Schon einmal, auf der berühmt-berüchtigten Asilomar-Konferenz von 1975, hätte die damals noch junge Zunft der Gentechniker mit einer Selbstverpflichtung die Öffentlichkeit an der Nase herumgeführt.

Diese Begründung erstaunt mich, gelinde gesagt. Seit Jahren wird, gerade unter Verweis auf das moralische Scheitern der am Manhattan-Projekt beteiligten Schöpfer der Atombombe, von Wissenschaftlern ethische Reflexion und aktive Technikfolgenabschätzung gefordert. Nun ist einer der seltenen Fälle eingetreten, in dem ein noch junges Forschungsgebiet dieser Aufforderung nachkommt – ich wünschte, die Nanotech-Gemeinde wäre schon so weit –, und plötzlich ist es der falsche Ansatz.

Es mag ja sein, dass die Naivität der synthetischen Biologen darin besteht, nicht die eigene Forschung an sich zu problematisieren, wie Jim Thomas von der ETC Group nicht zu unrecht meint. Sicher können auch mit den besten Absichten konstruierte künstliche Mikroorganismen sich als ebenso gefährlich entpuppen wie sinistre B-Waffen. Aber die Vorwürfe der Kritiker an die Autoren des Entwurfs sind bestenfalls unverständlich.

Einmal abgesehen davon, dass die Teilnehmer der Konferenz den Entwurf durchfallen ließen, hätte man hier ein Instrument an der Hand, mit dem die Community auch von außen kontrolliert und an ihren eigenen Ansprüchen gemessen werden könnte. Eine Selbstverpflichtung würde zudem mitnichten eine öffentliche Debatte im Keim ersticken, und es wäre den beteiligten Gruppen unbenommen, trotz einer akzeptierten Selbstverpflichtung auf eine scharfe Regulierung des neuen Forschungsgebiets zu drängen.

Stattdessen werden Schützengräben ausgehoben, indem sich die Kontrahenten nun bequem verschanzen und sich gegenseitig Unverständnis und Anmaßung vorwerfen können. Auch das Spiel der Kritiker gehorcht offenbar zuerst den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie: Laut schreien ist einfacher als radikale UND konstruktive Opposition.

Vielleicht bin ich naiv. In diesem Fall bitte ich um Aufklärung. Bis dahin bin ich erst einmal enttäuscht von GeneWatch, ETC Group und den anderen 33 Unterzeichnern des Offenen Briefs. (wst [5])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-272544

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/hintergrund/Biomaschinenbau-278447.html
[2] http://pbd.lbl.gov/sbconf/
[3] http://gspp.berkeley.edu/iths/UC%20White%20Paper.pdf
[4] http://www.genewatch.org/Press%20Releases/pr89.htm
[5] mailto:wst@technology-review.de