Ausgezählt
Der Bericht des ZDF-Magazins ‘WISO’ über den per ‘Verfallsdatum’ unbrauchbar gewordenen Canon BJC-600 eines Ingenieurs löste eine Welle von Unmut und Empörung unter Besitzern von Canon-Druckern aus.
- Tim Gerber
- Ulrich Hilgefort
Seit vier Jahren ist Willi E. Besitzer eines seinerzeit rund 1300 Mark teuren Canon-Tintendruckers vom Typ BJC-600. In diesem Frühjahr hatte das Gerät angefangen, nach jeder Druckseite die Warnung auszugeben, der Resttintentank sei bald voll; dieser Tank speichert die bei der Druckkopfreinigung anfallenden Tintenreste. Einige Wochen später behauptete der Drucker, dass der Tank nun voll sei, und quittierte den Dienst. Der sachkundige Ingenieur schraubte das Gerät auseinander und sah nach, doch weder Tank noch Auffangfilz waren sonderlich verschmutzt. Sicherheitshalber reinigte er alles - vergebens, der Drucker ließ sich nicht wieder in Betrieb nehmen. Auch im Handbuch des Gerätes war keinerlei Information über diesen Zustand zu finden. Also wandte sich Willi E. an die Canon-Hotline mit der Bitte um Informationen, wie er den Drucker reanimieren könne. Doch mit diesem Ansinnen ließ man ihn im Regen stehen. Verärgert erstattete er Strafanzeige wegen des Verdachts des Betruges und der Nötigung bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart [1].
Über diese Geschichte hatte WISO in einem 2:20-Minuten-Beitrag am 14. August berichtet. Insgesamt, teilte die WISO-Redaktion mit, habe man 78 solcher Fälle recherchiert, nach der Sendung hätten sich weitere 64 Zuschauer mit Canon-Druckerproblemen gemeldet [2].
Canon bestätigte uns, dass die Drucker des Typs BJC-600 ab Werk mit einem Zähler für die ausgegebenen Tintentröpfchen ausgestattet ist. Der setzt das Gerät nach cirka 15 000 Druckseiten (je nach Art der Drucke) vorsorglich außer Betrieb, um ein Auslaufen der Tinte zu verhindern, unabhängig davon, ob der Auffangtank nun tatsächlich voll ist oder nicht. Dann müsse der Drucker in eine Fachwerkstatt, wofür laut WISO zirka 300 DM zu veranschlagen seien. Den Preis für das Auffrischen des Resttintentanks beziffert Canon dagegen auf 77,95 DM zuzüglich Versandkosten, die man auf mindestens 30 Mark veranschlagen muss.
Nicht einmal diesen Service bekommt man ohne Probleme. Ein von Canon enttäuschter Computerhändler schrieb uns, er habe viele Kunden, denen er seinerzeit den BJC-600 wegen der vom Druckkopf unabhängig austauschbaren Tintentanks emp-fohlen habe, auf Grund mangelnder Unterstützung durch Canon verloren. Bei Kunden-geräten, die er mit vollem Resttintentank vertrauensvoll an eine Canon-Vertragswerkstatt eingesandt hatte, habe die Werkstatt im Kostenvoranschlag stets defekte Druckköpfe diagnostiziert - und schon für diese Diagnose eine Gebühr von zirka 70 Mark verlangt. Auf die Zahlung habe die Werkstatt nur verzichtet, wenn die notwendige ‘Entsorgung’ des defekten Druckers der Vertragswerkstatt überlassen wurde. Wir haben die Werkstatt um eine Stellungnahme gebeten, bis Redaktionsschluss aber keine Antwort erhalten.
Tatsächlich überstehen Drucker dieser Klasse [3] eine nur begrenzte Lebensdauer. Canon spricht pauschal von ‘langlebig’. Epson nennt konkrete Zahlen: 75 000 Seiten oder fünf Jahre, je nach dem, was zuerst eintritt. Canon behauptet, es käme ‘sehr selten’ vor, dass einer ihrer Drucker überhaupt dieses Verfallsdatum erlebe; meist sei das Gerät schon lange vorher aus anderen Erwägungen ausgemustert worden. Bei Epson habe man ‘das überhaupt noch nicht erlebt’; schließlich verfüge man über die ‘längsten Erfahrungen’ im Tintendruckerbereich. Marktführer Hewlett-Packard verweist auf das andere Konstruktionsprinzip seiner Geräte; bei HP-Druckern der Consumer-Klasse gebe es keinen Resttintentank. Über konkrete Informationen darüber, bei welchen Canon-Modellen man mit welcher Lebensdauer rechnen kann, verfügt offenbar nicht einmal die Pressestelle von Canon Deutschland. Anscheinend zieht es das japanische Mutterhaus vor, alle Detailinformationen selbst den eigenen Kollegen gegenüber ‘unter der Gehäuseklappe’ zu halten.
Aufgeschraubt
Die Reparatur sei zu komplex, um sie den Anwender selbst durchführen zu lassen, sagt Canon. Bei der von WISO herausgefundenen Tastenkombination zum Zurücksetzen des Verfallsdatumszählers (‘Power’, ‘Form Feed’ und ‘Print Mode’ während des Einstecken des Netzkabels) könnten ‘versehentliche Umprogrammierungen vor-genommen werden, die das Gerät erheblich stören und beeinträchtigen’.
Sicher ist: Das unter dem Druckkopf angebrachte Vlies zur Aufnahme der Resttinte ist irgendwann voll. Zudem ist es mit einem Katalysator getränkt, der die Tinte gerinnen lässt. Ist diese Substanz verbraucht, besteht die Gefahr, das Tinte ausläuft. Doch wann dieser Zeitpunkt erreicht ist, lässt sich auf elektronischem Wege nicht ohne erheblichen Aufwand ermitteln. Also installiert man einen Zähler, der die vorgenommenen Reinigungsvorgänge auf-summiert. Ist eine bestimmte, auf Erfahrungswerten basierende Grenze erreicht, blockiert der Drucker. Nun wäre es an der Zeit, das Vlies zu wechseln, den Zähler zurückzusetzen - und weiter zu drucken.
An einem dem 600er sehr ähnlichen BJC-610 machten wir die Probe aufs Exempel. Der Drucker ließ sich mit weni-gen Handgriffen öffnen. Unser Exemplar hat nur einige hundert Druckseiten hinter sich, doch das Vlies hat bereits eine ordentliche Tintenmenge geschluckt. Ob dieser Eingriff für einen Canon-Vertragshändler zu ‘anspruchsvoll’ ist, können wir nicht beurteilen. Ein halbwegs erfahrener Elektronikbastler ist damit jedenfalls nicht überfordert - vorausgesetzt, er verfügt über die notwendigen Informationen und Ersatzteile ...
Das Handtuch, bitte
Angesichts des ruinösen Preiskampfes im Druckermarkt verwundert es kaum, dass für einen aufwändigen Service kein wirtschaftlicher Spielraum mehr bleibt. So lautet der Hauptvorwurf an Canon nicht, einen Drucker mit begrenzter Lebensdauer zu verkaufen, sondern über diese Begrenzung Stillschweigen zu wahren. Nur deshalb war es möglich, dass eine Vertragswerkstatt eine fragwürdige Reparaturpraxis entwickelte. Von einem Markenhersteller wie Canon hätte man mehr Umsicht beim Umgang mit Informationen und der Instruktion und Kontrolle der eigenen Vertragswerkswerkstätten oder der Hotline verlangen dürfen. (tig)
Literatur
[2] http://www.zdf.de/ratgeber/WISO/Archiv/Themen_2000/39791/index.html
[3] Ulrich Hilgefort, Stefan Labusga: Pixelzauber, Tintendrucker bis 400 Mark, c't 18/2000 Seite 118 (uh)