Patentpools - ein problematisches Placebo
Ein Gastkommentar von Florian MĂĽller, GrĂĽnder der Kampagne NoSoftwarePatents.com, zu verschiedene Initiativen von Unternehmen, die Patente "zum Schutz" von Open-Source-Projekten "spenden" wollen.
- JĂĽrgen Kuri
Gastkommentar von Florian MĂĽller, GrĂĽnder der Kampagne NoSoftwarePatents.com
Vergangenes Jahr schreckten der Versicherungsdienstleister OSRM, die Stadt MĂĽnchen und Microsoft-Chef Steve Ballmer einige auf, als sie das Risiko thematisierten, das von Softwarepatenten fĂĽr Open Source ausgeht. In diesem Jahr gab es verschiedene Initiativen von Unternehmen, die Patente "zum Schutz" von Open-Source-Projekten "spenden" wollten. Organisationen wie die OSDL und das Open Invention Network bĂĽndeln bzw. katalogisieren nun patentrechtliche Versprechungen.
Von Anfang an stand ich diesen "Spenden" mit großer Skepsis gegenüber. Zuviel Unehrlichkeit steckt hinter diesen durchsichtigen Versuchen, sich bei der Community lieb Kind zu machen und die Kunden zu beruhigen. Auch wenn manche dieser Projekte noch keine klaren Konturen haben: Bis jetzt hat keines auch nur einen einzigen triftigen Grund zur Annahme geliefert, mehr zu sein als ein Placebo. Es wird gerne der Eindruck erweckt, hier bekäme Open Source eine kugelsichere Weste angelegt. In Wirklichkeit ist es aber etwa so, wie wenn Sie eine Münze in einer Tasche haben und darauf hoffen, dass ein etwaiges Projektil genau von diesem Geldstück abgelenkt wird. Ungünstigerweise befindet sich die Münze noch nicht einmal an einer Stelle, an der man normalerweise angeschossen würde...
Selbstverständlich sollte sich die Open-Source-Welt so gut schützen, wie es unter den bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen möglich ist. Diese sind gerade in den USA sehr unschön. Billige PR-Tricks sind aber kein Ersatz für eine wirkliche Problemlösung. Die patentrechtlichen Zusagen, die ich bislang gesehen habe, wiesen bei näherem Hinsehen eine Reihe von Haken auf:
- Manche der "gespendeten" Patente sind von einem Wert, der praktisch Null beträgt. Unter den 500 Patenten, die IBM im Januar beisteuerte, befanden sich sogar einige, die überhaupt nichts mit Software zu tun haben, und viele standen kurz vor Ablauf ihrer bezahlten Gültigkeitsdauer, ohne dass deren kostenpflichtige Verlängerung tatsächlich garantiert war.
- Die Zusagen beziehen sich im Allgemeinen nur auf bestimmte Open-Source-Lizenzen (mitunter auch kaum gebräuchliche) und einzelne Projekte wie beispielsweise den Linux-Kernel (der nur einen kleinen Teil einer standardmäßigen Linux-Konfiguration ausmacht).
- Manche dieser Versprechungen werden ausdrücklich auf Widerruf gemacht. Andere haben Schlupflöcher, z. B. unscharf definierte Bedingungen, unter welchen der Patentinhaber trotz allem eine Klage anstrengen darf.
- Die bisherigen Zahlen von eingebrachten Patenten sind vernachlässigbar im Verhältnis zur Gesamtzahl bestehender Softwarepatente, und sogar dann, wenn man sie nur mit den Zahlen der Patente vergleicht, welche die "großzügigen Spender" selbst halten. Auch langfristig wird es hunderttausende von Softwarepatenten in der Welt geben, für die niemals irgendein Versprechen bezüglich Open Source abgegeben werden wird. In seinen Reden zieht Richard Stallman oft eine Parallele zwischen Softwarepatenten und Minen in einem Park: Auch wenn 90.000 Minen in einem Park liegen anstatt 100.000, handelt es sich längst noch nicht um einen Platz für einen sicheren Spaziergang.
Selbst wenn man davon absieht, dem geschenkten Gaul ins Maul zu schauen, gibt es ganz grundlegende Probleme, die auch die besten Patentversprechen nicht zu lösen vermögen:
- Man kann in der täglichen Programmierpraxis nicht ständig in einer Patentdatenbank nachsehen, ob darin genau die Algorithmen vorhanden sind, die man gerade benötigt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein Programmierer das allen Ernstes täte! Und selbst wenn die Algorithmen A und B von den Patenten in so einem Pool abgedeckt werden, kann es immer noch ein Patent C geben, das genau diese spezielle Kombination von A und B monopolisiert, aber sich nicht im Pool befindet.
- Versprechungen, die sich ausschließlich auf Open Source beziehen, sind nicht sonderlich wertvoll. Software, die unter der BSD-Lizenz steht, wird sehr oft in Closed-Source-Produkten verwendet. Ein Projekt wie PostgreSQL, das sich schon durch ein IBM-Patent zum Austausch eines Caching-Algorithmus gezwungen sah, könnte seine programmtechnischen Entscheidungen nicht alleine auf Open-Source-Erwägungen abstellen. Des weiteren gibt es duale Lizenzmodelle für GPL-Software (MySQL ist ein bekanntes Beispiel) und Firmen, die Closed-Source-Software vertreiben, um damit ihre Open-Source-Entwicklungsarbeit zu finanzieren.
- Die Patentspenden gehen stets nur von Firmen aus, die ohnehin nicht beabsichtigen, Klagen gegen Open-Source-Projekte zu erheben. Diejenigen Patentinhaber, die etwas im Schilde fĂĽhren, sei es aus strategischen oder rein finanziellen Motiven, geben erst gar keine solchen Zusagen ab. Es schadet zwar nicht, wenn man es von seinen VerbĂĽndeten schriftlich bekommt, dass sie einen nicht angreifen wollen, aber die Zahl der Feinde reduziert sich dadurch nicht.
- Wenn eine Firma verspricht, bestimmte Patente nicht gegen Open-Source-Projekte einzusetzen, heißt dies immer noch nicht, dass diese Patente von Open-Source-Projekten für Widerklagen eingesetzt werden dürften. Allerdings funktioniert das Spiel mit Patenten so wie der Kalte Krieg, nämlich durch gegenseitige Abschreckung. Hätte die Sowjetunion etwa versprochen, 5% ihres atomaren Waffenbestandes nicht einzusetzen, aber die NATO keine einzige eigene Nuklearwaffe gehabt, dann würden wir heute wahrscheinlich nicht in Freiheit leben.
- Im Regelfall können die Spenderfirmen auch gar keine Patente für den Aufbau eines Abschreckungspotenzials stiften, da diese Patente längst von bestehenden Cross-Licensing-Verträgen aus dem Spiel genommen wurden. Wenn nun eine neue Gesellschaft (wie z. B. das Open Invention Network) damit beginnen sollte, Patente ohne eine solche Vorbelastung aufzukaufen, könnte sie in der Tat eines Tages an ein Unternehmen wie Microsoft eine Lizenz gewähren und sich darunter zusichern lassen, dass Microsoft nicht mit eigenen Patenten gegen Linux vorgehen wird. Das könnte durchaus einen bedeutenden Unterschied machen (wenn auch nur für Linux), würde gleichwohl immer noch nicht gegen "Patent-Trolle" wirken, die gar keine eigenen Produkte haben. Ein strategischer Aggressor könnte aber, ohne dass es sich nachweisen ließe, die Fernsteuerung über einen solchen "Patent-Troll" übernehmen.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Nur auf der politischen Ebene lässt sich das Problem lösen, und zwar durch Gesetze, die reine Programmlogik von der Patentierbarkeit auszuschließen. Bekanntlich behaupten viele, dies wäre nicht realistisch durchsetzbar, aber diese liegen allesamt falsch. Wie oft wurde uns erzählt, dass die europäische Softwarepatent-Richtlinie "so oder so" kommen würde? Und dann wies das Europäische Parlament den Vorschlag mit 648 zu 32 Stimmen ab. Der Deutsche Bundestag und der spanische Senat haben sich einstimmig hinter unsere Kernforderungen gestellt. Im Koalitionsvertrag der neuen schwarz-roten Bundesregierung steht sogar: "Dem Trend zur Abschottung von Märkten, u. a. auch mit Hilfe des Patentrechts, wollen wir mit internationalen Vereinbarungen begegnen." Die Zeit ist wirklich reif dafür.
Manche Juristen behaupten, Softwarepatente seien ein unabänderliches Schicksal, weil sie ein Eigeninteresse daran haben, diese zu erhalten. Zweifellos ist es eine schwierige, aber keinesfalls eine unlösbare Aufgabe, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu unseren Gunsten zu verändern. In jeder parlamentarischen Demokratie ist das grundsätzlich zu schaffen.
Gerade auf dem Gebiet der Software dient das Patentwesen nicht mehr dem Interesse der Allgemeinheit. In Europa begehen viele Patentämter und -gerichte sogar systematische Rechtsbeugung, indem sie Softwarepatente illegalerweise erteilen bzw. aufrecht erhalten. In einer perfekten Demokratie wären Softwarepatente schon längst Vergangenheit, sowohl auf der Ebene der Gesetzgebung – hier haben die USA gegenüber Europa noch einen Nachholbedarf – als auch in der Praxis der Patentämter und -gerichte. In den suboptimalen Demokratien, in denen wir leben, können bestimmte Gruppen ihre Partikularinteressen verteidigen, da sie über viel Einfluss und große Mittel verfügen. Doch die Zustimmung der Wähler ist immer noch die wertvollste Währung in der Politik.
Wenn all die Konzerne, die Patente für Open Source "gespendet" haben, sich zu einer ernsthaften Kampagne entschließen würden, wäre die Abschaffung von Softwarepatenten auf weltweiter Basis keine Utopie. Solange sie dies aber nicht tun, muss man ihnen misstrauen. Manche könnten sogar klammheimlich mit solchen Patentpools die effektive Kontrolle über die Open-Source-Welt anstreben. Wir müssen dem geschenkten Gaul in Zukunft also nicht nur in sein zahnloses Maul, sondern auch in seinen hölzernen Bauch schauen.
Florian Müller gründete die Kampagne NoSoftwarePatents.com. Für seine politische Arbeit gegen Softwarepatente wird er von der Fachzeitschrift Managing Intellectual Property unter den "50 einflussreichsten Personen im geistigen Eigentum" aufgeführt. Er ist aktuell ein Aspirant auf den Titel "Europäer des Jahres", der am 29. November vergeben wird.
Die englische Version des Kommentars von Florian MĂĽller ist auf Slashdot erschienen.
Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online):
(jk)