Radiofrühling

Längst ist die Hörerschaft dem guten alten UKW-Radio untreu geworden und bedient sich am reichlich vorhandenen Hörfutter der Social Networks und Webradio-Stationen oder nutzt die Online-Angebote der klassischen Radiomacher. Ob mit iPhone oder WLAN-Radio: Wer in die Vielfalt von „Radio Internet“ eintauchen möchte, ist nicht an den PC gefesselt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 36 Kommentare lesen
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Sven Hansen

Das Radio erfindet sich neu. Schauplatz des Geschehens ist jedoch nicht das klassische UKW-Band: Hier machen sich die Platzhirsche der öffentlich-rechtlichen und privaten Sender seit Jahren mit dem „Besten“ der 80er und 90er und gebetsmühlenartig eingehämmerten Sender-Jingles gegenseitig die angeblich werberelevante Zielgruppe der ewig 14- bis 29-Jährigen streitig. Der Innovationsfaktor tendiert hart gegen Null.

Die wirklich frischen Radioblumen blühen im Internet: innovativ und interaktiv – manchmal auch skurril bis chaotisch. Beflügelt wird der Radiofrühling gleich durch mehrere Faktoren. Da ist zum einen die bessere Internetversorgung: entweder per WLAN über die DSL-Flatrate in den eigenen vier Wänden oder unterwegs per „Datenflat“ fürs Handy, Net- oder Notebook. Hinzu kommt, dass man nicht mehr vor dem PC hocken muss, um „Radio Internet“ zu lauschen: Neben WLAN-Geräten in Form von Koffer- oder Küchenradios, Radioweckern oder Streaming-Clients verstehen sich immer mehr Handys auf die Wiedergabe von Audio-Streams aus dem Internet. Unangefochtene Nummer 1: Apples iPhone, dass mit zahlreichen kostenlosen Radio-Anwendungen aus dem App Store punkten kann.

Nicht zuletzt sind es die Dienste selbst, die die Hörer mit frischen Angeboten locken. Dabei nutzen sie die Möglichkeiten des Internet voll aus und gehen weit über das hinaus, was das klassische Radio per UKW zu bieten hat. Der zu Tode komprimierte Gurgelsound der Anfangstage ist überwunden – die meisten Anbieter erreichen dank hoher Bitrate oder effizienterer Audio-Komprimierung mühelos UKW-Qualität.

Die klassischen Radiomacher nutzen ihre Präsenz auf der UKW-Skala nach Kräften, um die analoge Hörerschaft auf ihre Webportale im Internet zu lotsen. Hier erwartet den Hörer leichte Kost: Neben einem Live-Stream des aktuellen Programms gibt es meist eine Abspielliste zu sehen, in der man sich über die bisher gespielten Titel informieren kann. Auf seinen lokalen UKW-Radiofavoriten muss man auch nach einem Umzug oder am Urlaubsort nicht verzichten.

Zudem bieten viele „UKW“-Stationen neuerdings zusätzlich Spartenkanäle an: So findet sich zum Beispiel beim Sender Hit Radio Antenne (hitradio.de) unter anderem ein Comedy-Format und ein Stream mit Filmmusik.

Hier und da experimentieren Anbieter mit speziellen Formaten fürs Internet. Der WDR geht mit 1Live Kunst täglich auf Sendung: Auf dem Plan steht Kulturberichterstattung und Popmusik für die junge Internet-Hörerschaft. Momentan produziert der WDR täglich nur ein vierstündiges Programm, das über den Tag als Schleife ausgestrahlt wird.

Neben den Online-Ablegern der klassischen Radioanbieter gibt es zahlreiche Webradios, die ihren Audiostrom ausschließlich über das Internet an den Mann und die Frau bringen. Einer der großen Anbieter ist rautemusik.fm mit gleich neun verschiedenen Live-Streams. Während in „Main“ Massenkost der 80er und aktuelle Hits geboten werden, versorgen die restlichen Kanäle wie eXTreMe (Rock), JaM (Hip-Hop, Rap), FunkY (Dance, Electro) oder Goldies (Oldies der 60er und 70er) kleinere Zielgruppen. Das Projekt finanziert sich über Bannerwerbung auf der Homepage und kurze Werbeeinblendungen.

Ebenfalls einen Besuch wert sind die spezialisierten Angebote von top100station.de, soulsender.de oder sonett77.com. Bei letzterem Portal lassen sich DJ-Sets stilsicher über einen Web-Player in Vinyl-Optik abspielen – virtuelles Knacksen und Laufgeräusche inklusive. Komplette DJ-Sessions gibt es auch bei play.fm auf die Ohren. Das österreichische Portal hat zwar keinen Live-Stream im Angebot, man kann jedoch auf zahlreiche Mixes von bekannten DJs wie Kruder/Dorfmeister, Newcomern oder ambitionierten Hobby-DJs zugreifen.

Wie schnell man mit einem zielgruppengerechten Radioangebot Hörer gewinnen kann zeigt das Fußballportal 90elf.de. Die Hamburger haben die Audiorechte für die Internetübertragung der ersten und zweiten Bundesliga erworben und bieten an Spieltagen die Übertragung aller Spiele in voller Länge mit einer zusätzlichen Konferenzschaltung. Die Kommentatoren arbeiten meist vom Sendezentrum in Leipzig aus, einzelne Spiele werden auch live aus dem Stadion kommentiert. Während in der Hinrunde an Spieltagen rund 150 000 Zuhörer 90elf lauschten, kann der Dienst in der Rückrunde schon doppelt so viele Zugriffe verzeichnen.

Als „Radio von überall“ versteht sich das Webradio quu.fm. Die Morning-Show –Start um 10 Uhr – kommt live aus Bangkok, am Mittag geht es aus Berlin und Hamburg weiter. Ab Mai soll es ein abendliches DJ-Set aus New York geben. Dazu kommen Shows von Ex-Promis wie Bärbel Schäfer, Michel Friedman oder MTV-Urgestein Ray Cokes. Der Audiostream lässt sich über den Spodtronic-Client für Symbian Series 60 auch auf Nokia Handys abrufen (siehe unten in c't 11/2009 auf S. 124).

Auf journalistische Qualität und musikalische Vielfalt setzt auch byte.fm. Im Vollprogramm wechseln sich moderierte Sendungen mit DJ-Sets und Mitschnitten von Live-Konzerten ab. Der Sender arbeitet ohne Werbung und finanziert sich momentan über Sponsoring-Verträge. Über achtzig Moderatoren aus dem gesamten Bundesgebiet arbeiten dem Sender zu – darunter bekannte Radiomacher wie Klaus Walter, dessen beliebte Musiksendung „Der Ball ist rund“ vom Hessischen Rundfunk nach fast 25 Jahren abgesetzt wurde.

Vollanbieter wie one.fm, Digitally Imported (di.fm) oder Sky.fm stellen eine große Zahl von Spartenangeboten ins Netz, lassen sich den Abruf in höherer Qualität jedoch teils im Abo-Modell bezahlen. So bietet Digitally Imported der Premium-Kundschaft für 5 US-Dollar im Monat eine Bitrate von 265 kBit/s im MP3-Format an – der Gratiszugriff ist auf 96 kBit/s beschränkt.

Den vollständigen Artikel finden Sie in c't 11/2009.

www.ctmagazin.de/0911118 (sha)