Wissenschaftliche Informationsversorgung

Der erschwerte Zugang zu elektronisch veröffentlichten Forschungsergebnissen und die drohenden Einschränkungen in der laufenden Runde der Urheberrechtsrechtsreform brennen Wissenschaftlern und Bildungseinrichtungen derzeit auf den Nägeln. Die Führung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung indes misst den Problemen offenbar weniger Bedeutung bei.

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Von
  • Richard Sietmann
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Unter Wissenschaftlern regt sich Widerstand gegen das digitale Geschäft mit der öffentlichen Hand. Jedoch fanden weder Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn oder einer ihrer Staatssekretäre noch ein Vertreter des zuständigen Fachreferats den Weg auf die andere Straßenseite, als sich Mitte Mai in unmittelbarer Nachbarschaft des BMBF die IuK-Initiative der wissenschaftlichen Fachgesellschaften traf: Drei Tage lang beschäftigte sich die Versammlung mit den „Herausforderungen an das Publizieren und die Informationsversorgung in den Wissenschaften“. So blieb es einer Vertreterin des Projektträgers „Neue Medien in der Bildung + Fachinformation“ vorbehalten, die Positionen des Ministeriums zu umreißen.

„Das Ziel ist der möglichst offene Zugang zu wissenschaftlichen Informationen, dabei müssen wir allerdings das Urheberrecht beachten, und das setzt der Privatkopie relativ enge Grenzen“, beschrieb Christa Schöning-Walter die Ausgangslage in dem politisch tiefgehängten Konflikt mit dem Justizministerium, das bei der Urheberrechtsreform die Feder führt. So wird es die im „Ersten Korb“ mit der Umsetzung der EU-Urheberrechts-Richtlinie geschaffene Sonderregelung für Wissenschaft und Bildung zur Nutzung von Privatkopien in Intranets von Forschungs- und Bildungseinrichtungen „in Zukunft voraussichtlich nicht mehr geben“ - die Aufhebung oder Verlängerung der zeitlichen Befristung des dafür eingerichteten Paragrafen 52a ist in dem anstehenden Zweiten Korb nicht vorgesehen. Und der Kopienversand per E-Mail durch Bibliotheken wird selbst in der eingeschränkten Form des Versands per Faksimile, der keine digitale Weiterverarbeitung ermöglicht, nur noch dann zulässig sein, wenn die Wissenschaftsverlage selbst keine eigenen Online-Zugriffe auf die Artikel anbieten.

Der Logik der Urheberrechtsreform zufolge soll der Zugang zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen nur noch zu den Tarifen und Bedingungen der Wissenschaftsverlage erfolgen. Eine vom BMBF in Auftrag gegebene Studie hat deutlich werden lassen, dass sich die Nutzer noch mit weiteren Beschwernissen auseinander setzen müssen, wenn die Inhaber der Leistungsschutzrechte mit DRM-Systemen künftig auch die Nutzung der Veröffentlichungen detailliert kontrollieren sollten - eine Perspektive, die das Ministerium offenbar ebenso verunsichert wie die davon Betroffenen. „Wir hoffen, dass diese Systeme möglichst nicht Einzug in das wissenschaftliche Informationswesen halten“, meint Schöning-Walter, „aber wir sind nicht Herr des Verfahrens.“ Wenn sich die Einführung des Digital Rights Management schon nicht vermeiden lässt, weil die Inhaber der Leistungsschutzrechte darauf bestehen, dann wolle man wenigstens auf ein möglichst einheitliches Verfahren in Deutschland hinarbeiten, „sodass die mit öffentlichen Mitteln finanzierten Informationsangebote alle nach dem gleichen Prinzip funktionieren“.

Das Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“, das neben den großen Wissenschaftsorganisationen wie der Max-Planck-Gesellschaft und der Hochschulrektorenkonferenz inzwischen 220 Institutionen und Forschungsgesellschaften sowie rund 3000 Einzelunterzeichner unterstützen, hat für das laufende Reformvorhaben bereits zahlreiche Änderungswünsche angemeldet, um die schlimmsten Auswirkungen abzumildern. Die Chance dazu bietet sich nach der Verabschiedung des Kabinettsentwurfs in den parlamentarischen Beratungen. Den Geburtsfehler der Novellierung allerdings - dass sie vor allem auf die Belange der Film- und Phono-Industrie zugeschnitten ist und „in der jetzigen Form alle Nutzungsarten in einen Paragrafen rührt“, wie der Oldenburger Physiker Eberhard Hilf auf der IuK-Tagung kritisierte - werden die Abgeordneten auf der Plattform des Kabinettsentwurfs kaum korrigieren können.

Die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Informationswissenschaft und -praxis, Gabriele Beger, plädierte auf der Bonner Veranstaltung für eine eigenständige Schranke des Urheberrechts, die nach dem Vorbild der USA ein „Fair Use für Bildung und Wissenschaft“ einführen würde (siehe Kasten „Fair Use“). Damit würden die Wissenschafts- und Bildungszwecke nicht mehr als Sonderfälle etwa im Rahmen der Privatkopie-Regelung abgehandelt, sondern klar als generelles Privileg ausgewiesen. Dass der Gesetzgeber sich das Bemühen um Klarheit zu Eigen macht, räumt Beger jedoch ein, sei derzeit wohl nur eine vage Hoffnung.

Ein solches „Fair Use“ würde den fairen Gebrauch eines erworbenen Werkes regeln; es löst aber nicht das Problem, dass es beim Recherchieren im Internet immer schwieriger wird, die einschlägige Literatur zu sichten: Wer beim Browsen jedes Mal die Zugangsgebühr für den Volltext entrichten muss - je nach Fachgebiet verlangen Wissenschaftsverlage bis zu 20 oder gar 30 Euro oder Dollar pro Artikel -, stößt sehr schnell an Grenzen. Weltweit propagieren deshalb immer mehr Wissenschaftler unter dem Banner des „Open Access“ den für jedermann freien und uneingeschränkten Zugang zu den Ergebnissen der öffentlich finanzierten Forschung. Doch als Autoren müssen sie heute in der Regel akzeptieren, dass Fachzeitschriften, in denen sie ihre Forschungsergebnisse veröffentlichen wollen, von ihnen das uneingeschränkte Verwertungsrecht an der Publikation verlangen. Ein Ausweg könnte das gesetzlich verbriefte Recht zur Zweitveröffentlichung auf einem für jedermann zugänglichen Instituts- oder Archivserver sein - ein Modell, durch das die Verlage wiederum ihr Mausklick-Geschäft gefährdet sehen.

Zur Förderung des Open Access hatte die Kultusministerkonferenz eine dienstrechtliche „Anbietungspflicht“ im Urhebergesetz empfohlen. Danach sollten Wissenschaftler verpflichtet werden, ihrer Hochschule „ein nicht ausschließliches Nutzungsrecht“ an einem im Rahmen ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit entstandenen Werks einzuräumen. In den Expertenrunden des Bundesjustizministeriums (BMJ) machten Staatsrechtler jedoch erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken geltend. Die vom Grundgesetz garantierte Wissenschaftsfreiheit umfasse auch das Recht, über das Ob, die Art und den Zeitpunkt der Veröffentlichung frei zu entscheiden. Seitens des BMJ fand der dienstrechtliche Ansatz kein Wohlwollen und das Problem des freien Zugangs zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen blieb in dem Gesetzentwurf zum Zweiten Korb der Urheberrechtsreform unberücksichtigt.

Auf der Bonner IuK-Tagung schlug Gerd Hansen, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Münchner Max-Planck-Institut für geistiges Eigentum, nun an Stelle der dienstrechtlichen Verpflichtung als etwas mildere Alternative ein gesetzlich eingeräumtes Optionsrecht vor, um das stecken gebliebene Anliegen doch noch auf den Weg zu bringen. Danach sollte jedem Wissenschaftler nach einer gewissen Schonfrist für die Verlage das vertraglich unabdingbare Recht zur Zweitveröffentlichung auf der eigenen Website, der seines Instituts oder einem Archivserver zustehen. Durch dieses Zweitveröffentlichungsrecht im Internet könnten wissenschaftliche Ergebnisse somit halbwegs zeitnah den Fachkollegen ebenso wie der Allgemeinheit frei zugänglich werden - sofern der Bundestag den Vorschlag aufgreift und ihn Gesetz werden lässt.

Wissenschaftler legten einen Vorschlag zum „Fair Use“ für Bildung und Wissenschaft vor, der in einer Neufassung des §52a des Urheberrechts freien Zugang zu Forschungsergebnissen gewährleisten soll:

(1) Zulässig ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung von Werken im Rahmen des Unterrichts, des wissenschaftlichen Gebrauchs und zu Archivzwecken durch eine natürliche Person und durch Bibliotheken, Archive und Bildungseinrichtungen.

(2) Der Gebrauch muss geboten sein und auf einen Kreis von Personen nach Abs. 1 beschränkt werden. Die Anwendung darf nicht die normale Verwertung unangemessen beeinträchtigen. Für die Anwendungen nach Abs. 1 ist eine angemessene Vergütung zu zahlen. Die Vergütung kann nur durch eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden. (jk)