Zweibeiner und Rettungsroboter

Das Ziel ist klar definiert: Im Jahre 2050 soll eine Roboter-Equipe gegen Kicker aus Fleisch und Blut antreten, um die Fußball-WM zu gewinnen. In der „Humanoid League“ des RoboCup2003 stellen sich die ersten Team-Mitglieder vor - doch die meisten müssen noch auf die Bühne getragen werden.

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Von
  • Hans-Arthur Marsiske
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Es ist das erste Mal, dass in Europa humanoide Roboter beim RoboCup in den Wettbewerb traten. Insgesamt acht Teams hatten sich registriert, einer der Roboter hatte allerdings den Weg nach Padua nicht gefunden: Arne (Anthropomorphic Robot of New Era), ein Projekt, an dem die Firma New Era seit 2001 arbeitet, befindet sich aufgrund von Transportproblemen immer noch in seiner Heimat St. Petersburg. Bevor es 2050 ans Eingemachte geht, müssen die zweibeinigen Blechmänner der Humanoid League zuerst einfachere Aufgaben bewältigen: Auf einem Bein stehen - oder einfach „nur“ den Ball erkennen.

Der Vorsprung Japans ist enorm: Das Nachfolgemodell von Hondas Asimo hat mit den Wettbewerbsaufgaben in den Kategorien „Stehen“, „Gehen“ und „FreeStyle“ keinerlei Probleme. Beim einminütigen Stehen auf einem Bein kann er sogar noch mit den Armen winken und seine beachtliche Mimik demonstrieren. „Wir haben uns beim Design dieses Roboters einen zehn- bis elfjährigen Jungen vorgestellt, der sich für Fußball begeistert“, erklärt Teamleiter Shuji Imura von der Honda International Technical School (HITS). Mit 120 Zentimetern Körpergröße und einem Gewicht von 45 Kilogramm kommt der Roboter diesem Ideal tatsächlich schon recht nahe.

Die übrigen Roboter haben mit dem einbeinigen Stehen größere Schwierigkeiten. Robo-Erectus von der Singapore Polytechnic braucht mehrere Anläufe, bis er den richtigen Schwerpunkt gefunden hat und stabil steht. Thomas Christaller vom Fraunhofer-Institut für Autonome Intelligente Systeme (AIS), Moderator des Wettbewerbs, fordert die Zuschauer auf, es selbst einmal zu versuchen. Das Halten der einbeinigen Position ist für den Menschen sogar schwieriger: „Sie haben Muskeln, der Roboter dagegen hat Motoren, die er blockieren kann.“ Dazu muss der Roboter allerdings erst einmal einen stabilen Schwerpunkt finden. Isaac vom italienischen Politecnico di Torino schafft es nicht und fällt schon beim Versuch, das Bein zu heben, immer wieder hin.

Auch Tao-Pie-Pie von der kanadischen University of Manitoba schwankt stark und scheint mit dem frei schwebenden Bein immer wieder den Boden zu berühren. Der Versuch wird jedoch vom Schiedsrichter als gültig gewertet. Tao-Pie-Pie ist mit einer Größe von lediglich 33 Zentimetern der kleinste Teilnehmer im Wettbewerb der Humanoiden. Geradezu liebevoll geht Teammitglied Sara McGrath mit ihm um, hält bei den Gehversuchen schützend die Hände um das kleine Maschinchen, damit es sich bei einem Sturz ja nicht verletzt.

„Seit der letzten Weltmeisterschaft ist Tao-Pie-Pie durch eine Kamera erweitert worden“, erklärt Team-Leiter Jacky Baltes. Eigentlich schade, denn wenn er stattdessen eine Glühbirne auf den Schultern hätte, könnte man glauben, Daniel Düsentriebs Helferlein sei zum Leben erwacht. Aber auch die auf zwei Achsen bewegliche Kamera hat ihren Reiz: Wie bei einem Huhn ruckt sie hin und her, wenn Tao-Pie-Pie sich in seiner Umgebung orientiert. „Er kann durch einen PC oder auch durch einen PDA gesteuert werden“, sagt Baltes. Allein die bordeigene Rechenkapazität reicht jedoch schon aus, um ihn selbstständig um einen farbigen Pfeiler herum laufen zu lassen, wenn auch recht tapsig.

Sehr viel geschmeidiger sind die Bewegungen von Senchans von der Osaka University. Der Roboter wiegt geschmeidig die Hüften beim Laufen, balanciert mit den Armen ständig das Gleichgewicht aus, sodass keinerlei Instabilität zu erkennen ist. Ein weiterer Beleg für den großen Vorsprung der Japaner.

Sonys Dream Robot (SDR) trat nicht im Wettbewerb an. Diskret präsentieren Sony-Mitarbeiter den etwa 60 Zentimeter großen und sieben Kilo schweren Roboter wiederholt und unangekündigt zwischen den Turnierwettkämpfen. Die Fähigkeiten des ansprechend gestalteten Modells, das im Nacken über einen Tragegriff verfügt, sind erstaunlich: Der Zweibeiner kann sich selbstständig hinlegen und auch wieder aufstehen. Sein Gang ist sehr stabil. Sollte ein Sturz trotzdem nicht mehr vermeidbar sein, nimmt er automatisch eine Position ein, die den Schaden minimiert. Er verfügt über insgesamt 38 Bewegungsachsen und eine Vielzahl verschiedener Sensoren, unter anderem vier taktile Sensoren an jedem Fuß. Gegenwärtig scheint Sony unter den RoboCup-Teilnehmern das Interesse an der Einrichtung einer eigenen Liga mit SDRs, analog zur Liga der vierbeinigen Aibos, zu sondieren.

Eine zunehmende Dynamik bei der Entwicklung humanoider Roboter zeigt sich auch in der Gründung einer eigens auf dieses Thema ausgerichteten Fachzeitschrift: Das „International Journal of Humanoid Robotics“ (www.worldscinet.com/ijhr.html) soll erstmals im März 2004 erscheinen. Für die im Juni 2004 erscheinende zweite Ausgabe ist ein Schwerpunktheft zum Thema „Fußball spielende humanoide Roboter“ geplant.

Neben den Humanoiden war auch der Wettbewerb der Rettungsroboter „RoboCupRescue“ erstmals in Europa zu sehen. Hierbei geht es darum, die Roboter durch Räume fahren zu lassen, in denen Zustände nach einer Katastrophe nachgestellt werden. Die Roboter sollen die Situation genau erfassen und möglichst viele menschliche Opfer identifizieren. Diese werden durch Schaufensterpuppen simuliert, die sich teilweise bewegen, Geräusche von sich geben oder bloß Wärme abstrahlen. An manchen Stellen steht auch eine Gasflasche, die Kohlendioxid abgibt, um die Gegenwart eines Menschen zu signalisieren. Viele Opfer sind durch umgestürzte Möbel oder Schutt teilweise verdeckt, was die Identifizierung zusätzlich erschwert.

Verantwortlich für die Gestaltung der künstlichen Katastrophengebiete war Adam S. Jacoff vom National Institute of Standards and Technology (NIST) in Gaithersburg, Maryland, USA. „Wie bei früheren Wettbewerben haben wir drei Räume mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden: den gelben, orangen und roten Raum“, sagt er. Obwohl es im gelben Raum einen glatten Fußboden ohne Schwellen und relativ breite Wege gibt, ist die Aufgabe nicht leicht zu lösen. Der Roboter des Teams NAJI von der Islamic Azad University of Qazvin im Iran bleibt aufgrund von Kommunikationsproblemen schon nach ungefähr zwei Metern an einer Wand stecken. Ein zweiter Versuch scheitert an der Hardware: Weil die Räder auf der rechten Seite komplett ausfallen, ist keine Geradeausfahrt mehr möglich. Das Team der Internationalen Universität Bremen schafft beim ersten Versuch nicht einmal den Start - der Roboter hat sich vor der Tür beim Warten in der Sonne überhitzt.

Wie soll es dann erst in den anderen Räumen werden? Im orangenen Raum gibt es mehrere Ebenen, von denen die obere nur über eine Treppe oder eine mit Dachziegeln belegte Rampe erreichbar ist. Auf dem Boden liegen verstreut einige Ziegelsteine, Kabel, Möbel und eine Metallröhre. „Wir orientieren uns bei der Gestaltung an den örtlichen Gegebenheiten“, erklärt Jacoff. „Bei der letzten Weltmeisterschaft in Japan haben wir mehr Holz und Reispapier verwendet. Hier in Italien wird dagegen mehr mit Stein gearbeitet.“ Von diesen Steinen wurden für den roten Raum sogar einige zertrümmert, um sie als lose Schutthaufen auf mehreren Ebenen zu verteilen. Zu Beginn des Turniers glaubt kaum jemand, dass es einem der Roboter gelingen könnte, diesen schwierigsten Raum zu durchqueren - zumal es für jede Beschädigung der Aufbauten und Berührung oder gar Verletzung menschlicher Opfer Punktabzüge gibt.

Im Unterschied zu den Fußball-Ligen beim RoboCup ist in der Rescue League Fernsteuerung der Roboter zugelassen. Gleichwohl wird eine möglichst große Autonomie der Roboter angestrebt. „Was in einem typischen Katastrophengebiet in der Regel wenig vorhanden ist, sind Menschen“, sagt Andreas Birk, Leiter des Bremer Teams, dem einzigen aus Deutschland im Wettbewerb. „Idealerweise sollte daher ein Helfer alle Roboter gleichzeitig bedienen können. Dafür müssen sie aber über einen hohen Grad an Autonomie verfügen.“ Die Maschinen könnten dann selbstständig das Katastrophengebiet untersuchen und sich beim menschlichen Bediener melden, sobald sie etwas Interessantes gefunden haben.

Eine autonome Opfererkennung durch die Roboter scheint derzeit noch recht weit in der Zukunft zu liegen. Die meisten Teams erstellen sogar die Karten der Katastrophenumgebung noch manuell anhand der übermittelten Kamerabilder. Nur die Bremer arbeiten mit einer automatischen Kartierung, was ihnen in dem komplizierten Bewertungssystem genügend Punkte einbrachte, um einen vierten Platz zu erreichen. Der erste Platz ging an das Team „Robrno“ von der Brno University of Technology, Tschechien, gefolgt von den Teams „Cedra“ von der Sharif University of Technology, Teheran, und „IUTMicrobot“ von der iranischen Isfahan University of Technology. Immerhin erhielten die Bremer vom Wettbewerbsleiter Adam S. Jacoff ein Sonderlob: „Schaut euch das an“, sagte er zu den Teams, die ihre Karten manuell erstellt hatten, „im nächsten Jahr solltet ihr das auch können.“

Die Forschungen, die André Treptow an der Universität Tübingen für die Fußball-Ligen beim RoboCup betreibt, könnten indessen die Fähigkeiten bei der autonomen Erkennung von Objekten im visuellen Bereich verbessern. Er hat ein System entwickelt, das statt des bislang verwendeten orangefarbenen Balls einen gewöhnlichen Fußball anhand der Schwarzweiß-Kontraste erkennt - eine wichtige Voraussetzung für den angepeilten Fußballsieg im Jahre 2050.

Hierzu wird der Roboter zunächst nach einem Adaboost-Lernverfahren trainiert, bei dem ihm 550 positive und 5000 negative Beispiele präsentiert werden. Auf dieser Grundlage werden kleine Ausschnitte des Kamerabildes in zufälliger Reihenfolge untersucht und hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass sie den Ball zeigen, bewertet. Die Samples mit den höchsten Wahrscheinlichkeitswerten werden erneut untersucht. Bei 200 Samples pro Bild und einer Auswahl von 60 Mustern schafft das System derzeit mit einem Pentium-III-850-MHz-Prozessor 25 Bilder pro Sekunde. Auch ein teilweise verdeckter Ball soll auf diese Weise zu erkennen sein. Zukünftig wollen die Tübinger die Zuverlässigkeit des Systems weiter verbessern, indem sie auch die Objektform bewerten.

Bei der Vorführung auf dem Spielfeld wirkte der Roboter noch etwas langsam. Bis zur RoboCup-WM 2006, die in Deutschland stattfindet, könnte die Technologie aber weit genug fortgeschritten sein, um einen normalen Fußball zum Standard in der „Middle Size League“ des RoboCups zu machen. Dass Roboter jedoch selbstständig einen Menschen ausschließlich aufgrund von visuellen Informationen erkennen, ist in diesem Jahrzehnt kaum zu erwarten.

Neben dieser Arbeit zur Verwendung eines gewöhnlichen Fußballs unter wechselnden Lichtverhältnissen waren in den Fußball-Ligen des RoboCups insbesondere Ansätze zum gezielten Pass-Spiel bemerkenswert. In der Middle Size League demonstrierte das Team Philips eine Vorrichtung zum Stoppen des Balls, das Team Persia zeigte, wie Roboter durch Zurückweichen den Ball annehmen können. In der Small Size League verwendeten die Berliner FU-Fighters gezielte Pässe sogar im regulären Spiel.

Weitere Verfeinerungen sind noch erforderlich, dennoch zeigen diese Experimente wie auch das deutlich schnellere Tempo der Spiele insgesamt, dass der RoboCup seine Funktion als Entwicklungsmotor der mobilen Robotik weiterhin erfüllt. Im Vergleich mit dem Fernziel, bis zum Jahr 2050 die Fußballweltmeisterschaft zu gewinnen, mag sich das bisher Erreichte zwar bescheiden ausnehmen - insbesondere im Hinblick auf die Leistungen der humanoiden Roboter. Ein Mensch braucht immerhin rund 20 Jahre, bis er auf Weltklasseniveau Fußball spielen kann - die Roboter haben noch doppelt so viel Zeit. (sha) (sha)