Auf dem Quantensprung

Neben kleinen Forschungsgruppen arbeiten immer mehr große Konzerne an der Entwicklung von Quantencomputern. Beginnt nun bald eine neue Ära der Informationstechnik?

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Von
  • Tom Simonite

Neben kleinen Forschungsgruppen arbeiten immer mehr große Konzerne an der Entwicklung von Quantencomputern. Beginnt nun bald eine neue Ära der Informationstechnik?

Man braucht nicht immer milliardenteure Beschleuniger. Manchmal tut es auch ein kleines Stück tiefgekühltes Metall, um die Physik entscheidend voranzubringen. Im Jahr 2012 meldete ein Team von Forschern um den niederländischen Physiker Leo Kouwenhoven, es hätte zum ersten Mal ein Teilchen nachgewiesen, dessen Existenz bereits 1937 vorhergesagt wurde: das sogenannte Majorana-Fermion. Die Entdeckung könnte den beteiligten Forschern den Nobelpreis verschaffen – und sie ist vielleicht das entscheidende Puzzleteil für eine völlig neue Generation von Quantencomputern.

Microsoft hatte die Arbeiten gefördert, und Craig Mundie, damals strategisch verantwortlich für Microsofts Forschung und Entwicklung, zeigte sich begeistert. Schließlich könnte die obskure Entdeckung ein Projekt entscheidend voranbringen, das der Software-Gigant seit beinahe zehn Jahren betreibt – über das er jedoch erst seit Kurzem öffentlich spricht: die Konstruktion eines „topologischen Quantencomputers“. Weil die Hardware dieses Quantenrechners viel unempfindlicher gegen Störungen wäre als die bereits existierenden Prototypen, könnte Microsoft damit schaffen, was Forscher und Unternehmen seit den 1990er-Jahren versuchen: Den – theoretisch – unglaublich mächtigen Quantencomputer endlich praxistauglich zu machen.

Der Softwarekonzern, von vielen Kunden und Branchenbeobachtern als kraftloser alter Dinosaurier eines vergangenen Zeitalters wahrgenommen, steigt damit in ein Rennen ein, für das die kleine Computerschmiede D-Wave den Startschuss gegeben hat. Seit 2011 verkauft das kanadische Unternehmen die nach eigenen Angaben weltweit ersten kommerziellen Quantencomputer. Was sie wirklich können, ist nach wie vor Gegenstand einer hitzigen Debatte. Aber die Großen der Branche nehmen das Thema ernst genug, um mitzumischen. Der französische Telekommunikationsriese Alcatel-Lucent ist in die Forschung eingestiegen. Im Juli 2014 verkündete IBM, in den kommenden fünf Jahren drei Milliarden Dollar in die Erforschung von „Post Silizium“-Technologien stecken zu wollen. Ein Teil dieses Geldes – wie viel, verrät IBM nicht – geht in die Entwicklung von Quantencomputern, deren Erforschung der Konzern in den letzten Jahren stetig ausgebaut hat. Und nur zwei Monate später, im September 2014, verkündete Google, einen eigenen Quantenprozessor entwickeln zu wollen. „Die prinzipielle Machbarkeit der Technologie wurde gezeigt“, kommentiert Frank Wilhelm-Mauch, Professor für Quanten- und Festkörpertheorie an der Universität des Saarlandes. „Nun geht es darum, die Technologie weiter zu verbessern.“

Damit ist der Wettlauf in vollem Gange. Wer ihn gewinnt, könnte das Digitalzeitalter auf eine völlig neue Stufe heben. Quantencomputer sind so etwas wie der Heilige Gral der Informationstechnik. Sie könnten einige der schwierigsten Probleme der Informatik tausendfach schneller lösen als die schnellsten mit heutiger Technologie denkbaren Rechner. Sie könnten komplexe Moleküle simulieren und so die Entwicklung neuer Medikamente massiv beschleunigen, die Effizienz von Solarzellen drastisch steigern. Vor allem aber könnten sie die künstliche Intelligenz revolutionieren. Was großen Rechnerclustern heute lediglich ansatzweise gelingt – gesprochene Sprache verstehen, übersetzen, Bilder und Videos analysieren –, werden Quantenrechner sehr viel schneller, genauer und in einer größeren Tiefe meistern.

Denn tiefe neuronale Netze und andere jetzt schon recht erfolgreiche maschinelle Lernverfahren funktionieren umso besser, je größer die Datenmenge ist, mit der sie trainiert werden. Mit konventionellen Rechnern kostet das viel Zeit, auf Quantenrechnern ginge diese Lernphase extrem schnell. Denn diese Maschine untersucht eine Vielzahl möglicher Rechenwege parallel, weil sie mit sogenannten Qubits arbeitet – überlagerten Quantenzuständen. Ein Bit eines herkömmlichen Computers hat entweder den Wert Null oder Eins. Ein Qubit hingegen nimmt beide Werte gleichzeitig an. Ein Quantencomputer, der zwei Register aus Qubits miteinander verknüpft, rechnet also mit vielen Werten gleichzeitig. Bei bestimmten Arten von Problemen wächst dieser Geschwindigkeitsvorteil exponentiell mit der Menge zu verarbeitender Daten. Je schwieriger das Problem, je mehr Daten zu verarbeiten sind, desto größer ist der Vorsprung eines Quantenrechners.

(wst)