Lasst die Spiele beginnen

Die virtuelle Realität nimmt Kurs auf den Massenmarkt. Nun müssen die Programmierer und Filmschaffenden nachziehen.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Boris Hänßler

Die virtuelle Realität nimmt Kurs auf den Massenmarkt. Nun müssen die Programmierer und Filmschaffenden nachziehen.

Lieber Gott, ich komme!“ Das Kind hatte schnell raus, was wirklich spannend an virtueller Realität ist. Es stand vor einer Leinwand und steuerte sich mit einem Controller pflichtbewusst durch die Anlage, dann aber bewegte es sich plötzlich nach oben, als wären ihm Flügel gewachsen. Es flog durch das Fenster hinaus, näherte sich dem Himmel. Eigentlich entwickeln Forscher am Karlsruher Institut für Technologie die virtuelle Umgebung, damit Firmen Produktionsanlagen testen können. Als die Öffentlichkeit sich eine Anlage ansehen durfte, war daher die Auffahrt in den Himmel nicht unbedingt Teil des Plans. Aber sie war auch nicht ausgeschlossen. Gott sei gegrüßt!

Für die Technikbranche hat der Glaube an den Erfolg der virtuellen Realität (VR) tatsächlich fast religiöse Ausmaße erreicht. Nach langer Anlaufzeit, die in den 1990er-Jahren begann, sehen VR-Anhänger jetzt endlich das virtuelle Zeitalter vor sich: Es soll die Welt so umkrempeln wie einst das Internet. VR verspreche neue Computerspiele, eine neue Art der Kommunikation, neue Film- und Konzerterlebnisse und nicht zuletzt eine neue Arbeitswelt. Die Branche könne laut Marktforscher TrendForce dieses Jahr mit dem Verkauf von 14 Millionen VR-Geräten rechnen. 2020 sollen es 38 Millionen sein.

Ihren Blick richtet die IT-Fachwelt vor allem auf Facebook. Das Unternehmen hatte für rund zwei Milliarden Dollar Oculus Rift gekauft, den Hersteller eines Head-Mounted Displays, das uns in hoher Qualität in Welten eintauchen lässt, die wir bislang nur eindimensional von vorn betrachten durften.

Andere Unternehmen ziehen nach: Google erlaubt auf YouTube 360-Grad-Videos und wirbt für Cardboards – Papp- oder Plastikschuber für das Smartphone, die man sich auf die Nase setzt, um virtuelle Realität über Linsen zu erleben. Samsungs Gear VR funktioniert nach dem gleichen Prinzip. Sony bringt mit Morpheus dieses Jahr eine VR-Brille für die PlayStation 4 auf den Markt. Auch HTC und Valve werden ihr Vive-Modell an erste Kunden verschicken. Dieses System arbeitet mit externen, in Ecken postierten Sensoren, die den Raum mittels Laserstrahlen abtasten, sodass die Bewegungen des ganzen Körpers im Raum – nicht nur die Kopfbewegung wie bei Oculus Rift – in die virtuelle Welt übertragen werden können.

So viel zur Hardware, doch welcher Inhalt ist überhaupt für VR geeignet? Philip Rosedale, der Erschaffer von „Second Life“, einem virtuellen Social Network, in dem Menschen durch Avatare interagieren, spielen oder Handel betreiben, lässt das derzeit gerade testen. Er gründete High Fidelity und entwickelt eine Open-Source-VR-Plattform, mit der Entwickler experimentieren dürfen. Seine Vision: Er möchte den bisher eher hölzernen Avataren in virtuellen Welten mehr Leben einhauchen. Kameras sollen die Gesichter der Nutzer aufzeichnen, und die Mimik soll dann auf die Avatare übertragen werden. Mit Bewegungstrackern wie Razer Hydra und Leap Motion lassen sich auch Hände und Körperbewegung für die virtuelle Welt erfassen.

Die Fokus-Artikel im Einzelnen:

Seite 84  -  Trend:        Wo steht die Entwicklung der VR?

Seite 88  -  Immersion:         Mit allen Sinnen in künstlichen Welten

Seite 90  -  Interview:         Ist unser Ich-Bewusstsein nur ein virtuelles Modell?

Seite 92  -  Industrie:         VR hält Einzug in die Automobil-Produktion

Seite 94  -  Archäologie:         Historische Schätze in ganz neuen Dimensionen

Seite 96  -  Spiel und Freizeit:     Fliegen wie ein Vogel, Spielen gegen Schielen (ksc)