15.000 mögliche Virenübertragungen drohen durch den Klimawandel

Die Erwärmung treibt Säugerarten in neue Habitate und erhöht das Risiko, dass Viren auf neue Wirte überspringen und auch Menschen neue Krankheiten bescheren. ​

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Ratte

Ratten gelten als potenzielle Überträger von Krankheiten.

(Bild: Julian Stratenschulte)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
Inhaltsverzeichnis

Mindestens 10.000 Virenarten können Menschen potenziell befallen. Die meisten sind uns noch nicht begegnet und zirkulieren bisher nur zwischen wilden Tierarten. Das wird sich allerdings durch den Klimawandel deutlich ändern, schreibt ein Team um Colin Carlson und Gregory Albery von der Georgetown University in Washington DC im Fachjournal "Nature".

Gemeinsam mit Kooperationspartnern aus den USA und Südafrika prognostizieren sie aufgrund ausführlicher Simulationen, dass die rapiden Umweltveränderungen bis 2070 bis zu 15.000 neue Virusübertragungen zwischen Tierarten verursachen können. Das wäre auch selbst dann der Fall, wenn es bei einer Erwärmung von zwei Grad bleibt.

Der Grund: Die höheren Temperaturen und damit einhergehende Umweltveränderungen treiben immer mehr Spezies in neue Habitate mit anderen Tierarten, denen sie nie zuvor begegnet sind. Dabei "werden viele Tiere ihre Parasiten und Krankheitserreger in die neuen Umgebungen mitbringen", schreiben die Forscher. Die geografischen Verschiebungen, die selbst in Best-Case-Szenarien 100 Kilometer oder mehr betragen sollen, werden den Austausch von Viren zwischen den Tierarten erleichtern.

Das wiederum kann die Übertragung von Krankheitserregern von Wildtieren auf den Menschen, den sogenannten zoonotischen Spillover, begünstigen, und damit das Risiko erhöhen, dass neu auftretende Infektionskrankheiten in den nächsten 50 Jahren von Tieren auf Menschen übergehen. "Diese Arbeit liefert noch mehr unumstößliche Beweise, dass die kommenden Jahrzehnte nicht nur heißer, sondern auch kranker sein werden", sagt Albery.

Nur wenige Studien haben sich bisher im großen Maßstab damit beschäftigt, wie Klimaveränderungen den Austausch von Viren und neu auftretende Krankheiten beeinflussen könnten. Colin Carlson und Kollegen haben nun weltweit untersucht, wie sich die geografischen Verbreitungsgebiete von 3.870 höheren Säugetierarten bis 2070 als Reaktion auf verschiedene Klimaszenarien verändern könnten. Sie modellierten dabei Erwärmungen von zwei bis mehr als vier Grad.

Mithilfe eines Musters für die Virenverbreitung prognostizierten sie für eine Untergruppe von 3.139 Säugetierspezies mögliche Virus-Sprünge über Speziesgrenzen hinweg. Zu solchen Ereignissen könne es den Modellierungen zufolge bei kürzeren Ausbreitungsdistanzen der Tiere in mindestens 4.000 Fällen kommen und bei größeren Distanzen bis zu 15.000-mal. Das bedeutet nicht jedesmal die Übertragung eines neuen Virus. Vielmehr käme es wiederholt zu Übertragungen zwischen denselben Spezies oder derselben Viren, was das Risiko des Festsetzens im neuen Wirt erhöht.

Zwar sei zu erwarten, dass es überall auf der Welt zu neuen Begegnungen zwischen Säugetierarten kommen kann, schreiben die Forscher. Dies werde aber, auch über verschiedene Erwärmungsgrade und über verschiedene Ausbreitungsgeschwindigkeiten unterschiedlicher Tierarten hinweg, ziemlich verlässlich im tropischen Afrika und in Südostasien konzentriert sein: in Gebieten mit hoher menschlicher Bevölkerungsdichte, in Biodiversitäts-Hotspots und – auf der Suche nach optimalen Temperaturen – in höher gelegenen Gebieten. In Bergregionen werden aus verschiedenen Richtungen kommende Tiere zu einer größeren Artendiversität aufeinandertreffen.

"Wir sind wahrscheinlich schon mitten in diesen Veränderungen, die wir nicht verfolgen, und sie machen das Pandemierisiko zu jedermanns Problem", sagt Carlson. Hinzu kommt den Autoren zufolge, dass es das Spillover-Risiko nicht senken werde, wenn die Erderwärmung unterhalb von zwei Grad bleiben sollte.

Die neuen Virusübertragungen würden vor allem auf Fledermäusen zurückgehen, die viele Viren ohne zu erkranken beherbergen können, und als fliegende Tiere auch Distanzen zwischen Spezies mit kleinen Ausbreitungsradien überbrücken können. Fledermäuse gelten auch als eine der wahrscheinlichsten Ursprungstiere für das SARS-Cov-2-Virus. Bei direkten Übertragungen zwischen zwei Säugetierarten ist die Übertragungswahrscheinlichkeit umso größer, je näher sie phylogenetisch verwandt sind. Dann ist die Ähnlichkeit von Zellrezeptoren und Immunsystemen am größten.

Welche Virenfamilien oder -arten sich am wahrscheinlichsten bis zum Menschen ausbreiten und von welchen Tierarten sie überspringen, ließ sich wegen zu hoher Komplexität nicht einzeln modellieren. "Wenn man versucht, das Wetter vorherzusagen, verfolgt man die Wolken an und nicht die einzelnen Regentropfen", umschreibt Albery den Fokus der Studie.

Es gibt auch Gebiete wie das Amazonas-Becken und ein kleiner Teil des Zentralafrikanischen Beckens, in denen es den Forschern zufolge fast keine Neubegegnungen zwischen zuvor nicht überlappenden lebenden Spezies geben wird. Das sind Orte mit einem sehr homogenen Klima, dessen Erwärmung den rein endemischen und vielen kleineren Tierspezies kein rechtzeitiges Ausweichen erlauben würde.

Ist aber der Klimawandel eine treibende Kraft bei der artenübergreifenden Übertragung von Viren, und erhöht sich dadurch das Risiko der Übertragung von Infektionskrankheiten auf den Menschen, dann ist den Autoren zufolge eine gezielte Überwachung in zukünftigen Hotspots entscheidend, um neu auftretende Infektionskrankheiten zu identifizieren. "Dazu brauchen wir auch eine Gesundheitsinfrastruktur, um Tiere wie Menschen zu schützen", sagt Albery.

Das erhöhte Spillover-Risiko "ist auch ein weiterer Grund, sich weiter auf die Verringerung der Treibhausgasemissionen, den Schutz der Regenwälder und all die Dinge zu konzentrieren, von denen wir schon vorher wussten, dass sie wichtig sind“, sagt Carlson. Das dürfte das Risiko der Virensprünge allerdings höchstens verlangsamen. "Denn die Hauptnachricht ist: Das passiert, es lässt sich selbst durch die bestmöglichen Klimawandelszenarien nicht mehr verhindern", warnt sein Kollege Albery.

(jle)